Auf der Suche nach einer neuen Balance
Die Weltwirtschaft befindet sich in einem Umbruch. China bekommt die Folgen des künstlich befeuerten Booms zu spüren und zieht andere Länder mit nach unten. Und die USA kehren zu alter wirtschaftlicher Stärke zurück.
Die türkische Hauptstadt Ankara ist als Ort für das Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der G20 eine gute Wahl. Noch bis vor zwei Jahren entsprach die Türkei genau dem, was eine aufstrebende Volkswirtschaft auszeichnete. Hohe einstellige Wachstumsraten, eine junge Bevölkerung und eine boomende Börse. Doch für heuer verheißen die Konjunkturprognosen für die Türkei nur mehr zwei bis drei Prozent Wirtschaftswachstum, der Höhenflug ist vorerst gestoppt. Türkei, Brasilien, Indien, Russland – in diese und andere Länder wurde viel Hoffnung gesteckt. Und der größte Hoffnungsträger war China. Sie alle könnten für die von der Finanzkrise schwer getroffenen, etablierten Industrieländer in die Bresche springen und den Motor der Weltwirtschaft auf Touren halten. Das war nach 2008 auch für einige Jahre der Fall, doch jetzt hat sich das Blatt gewendet – und China wurde allen voran zur größten enttäuschten Hoffnung.
Zuerst löste ein Crash an den chinesischen Aktienmärkten Schockwellen an den Börsen in aller Welt aus. Mittlerweile geht die Angst um, dass das schwächere Wachstum der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft rund um den Globus für einen Abschwung sorgen könnte. Zweistellige Wachstumsraten gehören der Vergangenheit an, die chinesische Staatsführung peilt für heuer ein Plus von sieben Prozent an, der schwächste Anstieg seit vielen Jahren. Und dass China seine Währung zuletzt abgewertet hat, trägt auch nicht unbedingt zur Beruhigung bei. Für die einen ist es zwar ein Zeichen, dass es Chinas Führung mit der Annäherung an die Marktwirtschaft ernst nimmt. Andere sehen darin die Gefahr, dass China mit einer künst- lich verbilligten Währung versucht, im Export verlorene Marktanteile zurückzugewinnen.
Der Abschwung in China, das in den vergangenen Jahren Konjunkturlokomotive der Weltwirtschaft war, steht daher im Zentrum der Beratungen der G20 in Ankara. Von den Vertretern Chinas würde man gerne erfahren, wie sie auf die neue Lage reagieren und wie man die in Zeiten des Booms entstandenen Risiken entschärfen will. An den Aktienbörsen ist bereits ein Teil der Luft entwichen, aber auch die Immobilienmärkte gelten als überhitzt. Zudem wurden im Aufschwung von Staat und Privaten hohe Schuldenberge aufgehäuft. Auch hängt Chinas Wirtschaft zu stark vom Export und Investitionen ab, der Inlandskonsum schwächelt. Noch sucht die politische Führung die Schuld dafür nicht bei sich, aber der allmähliche Umbau zu einer besser ausgewogenen Wirtschaft, die auf mehr Beinen steht, ist unvermeidlich.
Die Rolle der Konjunkturlokomotive haben mittlerweile wieder die USA übernommen. Die Wirtschaft legt dort kräftig zu, die Beschäftigung steigt, die Arbeitslosigkeit sinkt. Damit scheint eine Wende in der US-Geldpolitik immer näher zu rücken, auch wenn der Währungsfonds erst dieser Tage warnte, die Zügel zu früh anzuziehen. Andere wieder drängen auf den Ausstieg aus der Politik billigen Geldes.
Auch wenn Chinas Schwäche und die Turbulenzen an den Finanzmärkten allen in die Glieder fuhren, erwarten Experten keine so tiefe Wirtschaftskrise wie nach 2008. Aber Sorge bereitet, dass die Rückkehr zu einer neuen Balance in der Weltwirtschaft ein Seiltanz ist, der weitgehend ohne Netz stattfindet. Denn die Möglichkeiten, eine Rezession abzufedern, sind heute geringer als vor sieben Jahren. Die Notenbanken haben die Zinsen auf null gesenkt und für große Konjunkturprogramme fehlt vielen Staaten das Geld. Die Rückkehr zu einem neuen Gleichgewicht in der Weltwirtschaft wird somit ein langer und mühsamer Weg.