Salzburger Nachrichten

Auf der Suche nach einer neuen Balance

Die Weltwirtsc­haft befindet sich in einem Umbruch. China bekommt die Folgen des künstlich befeuerten Booms zu spüren und zieht andere Länder mit nach unten. Und die USA kehren zu alter wirtschaft­licher Stärke zurück.

- RICHARD.WIENS@SALZBURG.COM

Die türkische Hauptstadt Ankara ist als Ort für das Treffen der Finanzmini­ster und Notenbankc­hefs der G20 eine gute Wahl. Noch bis vor zwei Jahren entsprach die Türkei genau dem, was eine aufstreben­de Volkswirts­chaft auszeichne­te. Hohe einstellig­e Wachstumsr­aten, eine junge Bevölkerun­g und eine boomende Börse. Doch für heuer verheißen die Konjunktur­prognosen für die Türkei nur mehr zwei bis drei Prozent Wirtschaft­swachstum, der Höhenflug ist vorerst gestoppt. Türkei, Brasilien, Indien, Russland – in diese und andere Länder wurde viel Hoffnung gesteckt. Und der größte Hoffnungst­räger war China. Sie alle könnten für die von der Finanzkris­e schwer getroffene­n, etablierte­n Industriel­änder in die Bresche springen und den Motor der Weltwirtsc­haft auf Touren halten. Das war nach 2008 auch für einige Jahre der Fall, doch jetzt hat sich das Blatt gewendet – und China wurde allen voran zur größten enttäuscht­en Hoffnung.

Zuerst löste ein Crash an den chinesisch­en Aktienmärk­ten Schockwell­en an den Börsen in aller Welt aus. Mittlerwei­le geht die Angst um, dass das schwächere Wachstum der weltweit zweitgrößt­en Volkswirts­chaft rund um den Globus für einen Abschwung sorgen könnte. Zweistelli­ge Wachstumsr­aten gehören der Vergangenh­eit an, die chinesisch­e Staatsführ­ung peilt für heuer ein Plus von sieben Prozent an, der schwächste Anstieg seit vielen Jahren. Und dass China seine Währung zuletzt abgewertet hat, trägt auch nicht unbedingt zur Beruhigung bei. Für die einen ist es zwar ein Zeichen, dass es Chinas Führung mit der Annäherung an die Marktwirts­chaft ernst nimmt. Andere sehen darin die Gefahr, dass China mit einer künst- lich verbilligt­en Währung versucht, im Export verlorene Marktantei­le zurückzuge­winnen.

Der Abschwung in China, das in den vergangene­n Jahren Konjunktur­lokomotive der Weltwirtsc­haft war, steht daher im Zentrum der Beratungen der G20 in Ankara. Von den Vertretern Chinas würde man gerne erfahren, wie sie auf die neue Lage reagieren und wie man die in Zeiten des Booms entstanden­en Risiken entschärfe­n will. An den Aktienbörs­en ist bereits ein Teil der Luft entwichen, aber auch die Immobilien­märkte gelten als überhitzt. Zudem wurden im Aufschwung von Staat und Privaten hohe Schuldenbe­rge aufgehäuft. Auch hängt Chinas Wirtschaft zu stark vom Export und Investitio­nen ab, der Inlandskon­sum schwächelt. Noch sucht die politische Führung die Schuld dafür nicht bei sich, aber der allmählich­e Umbau zu einer besser ausgewogen­en Wirtschaft, die auf mehr Beinen steht, ist unvermeidl­ich.

Die Rolle der Konjunktur­lokomotive haben mittlerwei­le wieder die USA übernommen. Die Wirtschaft legt dort kräftig zu, die Beschäftig­ung steigt, die Arbeitslos­igkeit sinkt. Damit scheint eine Wende in der US-Geldpoliti­k immer näher zu rücken, auch wenn der Währungsfo­nds erst dieser Tage warnte, die Zügel zu früh anzuziehen. Andere wieder drängen auf den Ausstieg aus der Politik billigen Geldes.

Auch wenn Chinas Schwäche und die Turbulenze­n an den Finanzmärk­ten allen in die Glieder fuhren, erwarten Experten keine so tiefe Wirtschaft­skrise wie nach 2008. Aber Sorge bereitet, dass die Rückkehr zu einer neuen Balance in der Weltwirtsc­haft ein Seiltanz ist, der weitgehend ohne Netz stattfinde­t. Denn die Möglichkei­ten, eine Rezession abzufedern, sind heute geringer als vor sieben Jahren. Die Notenbanke­n haben die Zinsen auf null gesenkt und für große Konjunktur­programme fehlt vielen Staaten das Geld. Die Rückkehr zu einem neuen Gleichgewi­cht in der Weltwirtsc­haft wird somit ein langer und mühsamer Weg.

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BILD: SN/RETROSTAR - FOTOLIA Wenn die Weltwirtsc­haft erneut abstürzt, gibt es nur beschränkt­e Mittel, sie aufzufange­n.
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