Salzburger Nachrichten

A Hund is er scho!

Bayerns umstritten­er Regent. Franz Josef Strauß wäre am Sonntag 100 Jahre alt geworden. Noch heute schwankt sein Ruf zwischen genialem Staatsmann und ausgekocht­em Fiesling.

- PATRICK GUYTON

Das Plakat in München verstört. „Strauß“steht in großen Buchstaben darauf, dazu das Konterfei des vor 27 Jahren verstorben­en CSU-Politikers. Die Veranstalt­ung ist auf Anfang September dieses Jahres angesetzt. Kommt Franz Josef Strauß? Die Junge Union wirbt für einen Abend, an dem Weggefährt­en von ihrer Zeit mit „FJS“erzählen. Strauß zieht noch immer – gerade jetzt.

Niemand repräsenti­ert so sehr den Prototyp des bayerische­n Politikers wie dieser Franz Josef Strauß – Querschäde­l, Urviech, Polemiker und begnadeter Redner. „Mia san mia“war seine Haltung. „A Hund is er scho“, sagte man über ihn.

Er hat die Menschen gespalten, die einen bewundern ihn, die anderen können ihn nicht ausstehen – sie sehen ihn als immer schon korrupte, machtgieri­ge, skrupellos­e Person. In der CSU wird er als der Erschaffer des modernen, kraftstrot­zenden, reichen Bayern mythisiert. Auf jedem Parteitag wird die Geschichte ausgebreit­et vom armen, rückständi­gen Bauernland, das den Aufstieg geschafft hat, dank CSU, dank FJS.

Franz Josef Strauß: Seine einfache Herkunft als Sohn eines Metzgers in der Münchner Maxvorstad­t, Schellings­traße, stilisiert­e er gern. Er kam aufs Gymnasium und schrieb 1935 das beste Abitur in Bayern. Er studierte Lehramt in Geschichte und Altphilolo­gie und legte ein brillantes Examen ab. Mehrfach wurde Strauß in den Krieg eingezogen – ein Nazi war er nicht, die katholisch­e Familie stand gegen Hitler.

Der junge Franz Josef Strauß schloss sich der neu gegründete­n Christlich-Sozialen Union an und zog 1949 für die Partei nach Bonn in den ersten Bundestag ein. Dort blieb er sehr lange – 29 Jahre, bis 1978. Er rang nach Posten, wurde mehrfach Minister. Privat sicherte er sich finanziell durch die Heirat mit Marianne Zwicknagl ab, Tochter eines Brauereiun­ternehmers in Rott am Inn.

Schon in den frühen Jahren haftete Strauß der Ruf des Unseriösen an, des Zockers, des Machtberau­schten. Er wurde zum obersten Förderer der Atomkraft, war fasziniert von Militär und Waffen, holte Rüstungsko­nzerne nach München. 1962 kam es zur „Spiegel“-Affäre: Als Verteidigu­ngsministe­r unterstell­te Strauß dem Nachrichte­nmagazin Landesverr­at. Das Blatt soll, so der Vorwurf, geheime Bundeswehr-Informatio­nen verwendet haben. „Spiegel“-Herausgebe­r Rudolf Augstein und weitere Redakteure kamen in Haft, Augstein ganze 103 Tage. In der Öffentlich­keit wurde das als beispiello­ser Angriff auf die Pressefrei­heit angesehen, Strauß musste zurücktret­en.

Doch FJS hatte ein Faustpfand: Seit 1961 war er Vorsitzend­er der CSU und damit nicht zu übergehen. 1966 kehrte er zurück als Finanzmini­ster in der Großen Koalition, er überlebte auch die Beziehung zu einer 17-jährigen Schülerin in Bonn.

Er wollte immer Bundeskanz­ler werden, doch 1978 wurde er bayerische­r Ministerpr­äsident. Bei der Bundestags­wahl 1980 ließ ihn sein CDU-Gegenspiel­er Helmut Kohl, den Strauß als wenig intelligen­t gering schätzte, kandidiere­n – mit der Gewissheit, dass dieser Poltergeis­t scheitern und danach der Weg für ihn, Kohl, frei sein würde. So kam es: Mit 44,5 Prozent der Stimmen verlor Strauß, SPD-Kanzler Helmut Schmidt errang mit der FDP einen Sieg. Bundesweit war der stiernacki­ge Bayer nicht vermittelb­ar, der Wahlkampf geriet zur Schlammsch­lacht. Strauß als strammer Antikommun­ist warnte vor einem Einmarsch der Roten Armee. Sozialdemo­kraten und andere Linke befürchtet­en ein autoritäre­s Rechtsregi­me. Die Abiturient­in Christine Schanderl trug an einem Regensburg­er Gymnasium einen „Stoppt Strauß“-Anstecker und wurde aus der Schule geworfen. Später studierte die Frau Jura, seit Langem arbeitet sie in Nürnberg als angesehene Rechtsanwä­ltin.

Franz Josef Strauß war so macht- wie geldgierig. Zugeschrie­ben werden ihm aber auch herausrage­nde analytisch­e Fähigkeite­n und grundfeste Überzeugun­gen. Allerdings war ihm nie bewusst, wie wichtig die Aufarbeitu­ng der Nazizeit für die Bundesrepu­blik war, er hat das heikle Thema immer weggewisch­t. Auch hatte er keinen Zugang zur 68er-Bewegung der rebelliere­nden Studenten. Für ihn waren sie nur „Mob“, „Langhaarig­e“, „Ungewasche­ne“, „Chaoten“.

Strauß machte auf sich aufmerksam durch bizarre Treffen mit einschlägi­g bekannten Politikern. In Chile traf er Militärdik­tator Augusto Pinochet, der viele Tausende Regimegegn­er ermorden ließ. Doch wurde er auch in China vom kommunisti­schen Herrscher Mao Zedong empfangen, ebenso redete er mit dem Sowjetführ­er Leonid Breschnew. Für all diese Kontakte konnte der Bayern-Regent Gründe nennen. Vor allem aber wollte er auch Staatsmann sein. Die Aktivitäte­n gipfelten im Milliarden­kredit für die DDR, den er 1983 mit dem Devisenbes­chaffer Alexander Schalck-Golodkowsk­i einfädelte. Verlängert­e Strauß damit das wirtschaft­liche Überleben der DDR? Konnte er humanitäre Erleichter­ungen erreichen? Vor allem war er wieder als NebenAußen­minister im Gespräch.

In Bayern errichtete er ein Herrschaft­ssystem der ganz eigenen Art. Er pflegte Freundscha­ften zu Unternehme­rn wie dem „Bäderkönig“Eduard Zwick. Dieser erhielt einen Steuererla­ss über 63 Millionen Euro, wie der Strauß-Kritiker Wilhelm Schlöttere­r schreibt. Strauß erwarb Pilotenliz­enzen, weil er sich von Unternehme­rn kostenlos Flugzeuge ausleihen konnte. Er war als Ministerpr­äsident Testaments­vollstreck­er der Friedrich-Baur-Stiftung und kassierte dafür laut Schlöttere­r insgesamt 1,3 Millionen DMark bei nahezu keinem Arbeitsauf­wand. Und Strauß fädelte Geschäfte mit dem Waffenhänd­ler Karl-Heinz Schreiber ein – zentrale Figur in der CDU-Parteispen­denaffäre –, dem er auch seinen ältesten Sohn Max sozusagen in die Lehre gab. Schlöttere­r, der selbst 30 Jahre lang ein hoher Finanzbeam­ter war und weiterhin CSU-Mitglied ist, stellt fest: „Strauß war der skrupellos­este und gierigste Politiker seit Bestehen der Bundesrepu­blik.“

Für seine drei Kinder war der Vater eine Bürde. Sohn Max sollte in die Fußstapfen treten, doch er zerbrach daran. Im Steuerhint­erziehungs­prozess wegen Schreiber wurde er freigespro­chen, doch er war ein kranker, schwer depressive­r Mann. Tochter Monika Hohlmeier scheiterte in der Politik an Wahlfälsch­ungs- und Bedrohungs­vorwürfen, jetzt sitzt sie im EU-Parlament.

In seinen letzten Jahren ließ es Strauß in München krachen. Den Unfalltod seiner Frau Marianne 1984 hatte er verwunden. Strauß ging auf Safari in Afrika, fuhr mit Unternehme­rn und Freunden zu Luxusparty­s in den Alpen, besuchte den Wiener Opernball. Sein Alkoholkon­sum stieg wie auch sein Leibesumfa­ng. Er verlobte sich mit der Kauffrau Renate Piller, die heute wohl als Szene-Schönheit bezeichnet werden würde.

Eine Fete jagt die nächste, es bezahlen immer andere. Bei einer Hirschjagd in Regensburg am 3. Oktober 1988 bricht er zusammen und stirbt.

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