A Hund is er scho!
Bayerns umstrittener Regent. Franz Josef Strauß wäre am Sonntag 100 Jahre alt geworden. Noch heute schwankt sein Ruf zwischen genialem Staatsmann und ausgekochtem Fiesling.
Das Plakat in München verstört. „Strauß“steht in großen Buchstaben darauf, dazu das Konterfei des vor 27 Jahren verstorbenen CSU-Politikers. Die Veranstaltung ist auf Anfang September dieses Jahres angesetzt. Kommt Franz Josef Strauß? Die Junge Union wirbt für einen Abend, an dem Weggefährten von ihrer Zeit mit „FJS“erzählen. Strauß zieht noch immer – gerade jetzt.
Niemand repräsentiert so sehr den Prototyp des bayerischen Politikers wie dieser Franz Josef Strauß – Querschädel, Urviech, Polemiker und begnadeter Redner. „Mia san mia“war seine Haltung. „A Hund is er scho“, sagte man über ihn.
Er hat die Menschen gespalten, die einen bewundern ihn, die anderen können ihn nicht ausstehen – sie sehen ihn als immer schon korrupte, machtgierige, skrupellose Person. In der CSU wird er als der Erschaffer des modernen, kraftstrotzenden, reichen Bayern mythisiert. Auf jedem Parteitag wird die Geschichte ausgebreitet vom armen, rückständigen Bauernland, das den Aufstieg geschafft hat, dank CSU, dank FJS.
Franz Josef Strauß: Seine einfache Herkunft als Sohn eines Metzgers in der Münchner Maxvorstadt, Schellingstraße, stilisierte er gern. Er kam aufs Gymnasium und schrieb 1935 das beste Abitur in Bayern. Er studierte Lehramt in Geschichte und Altphilologie und legte ein brillantes Examen ab. Mehrfach wurde Strauß in den Krieg eingezogen – ein Nazi war er nicht, die katholische Familie stand gegen Hitler.
Der junge Franz Josef Strauß schloss sich der neu gegründeten Christlich-Sozialen Union an und zog 1949 für die Partei nach Bonn in den ersten Bundestag ein. Dort blieb er sehr lange – 29 Jahre, bis 1978. Er rang nach Posten, wurde mehrfach Minister. Privat sicherte er sich finanziell durch die Heirat mit Marianne Zwicknagl ab, Tochter eines Brauereiunternehmers in Rott am Inn.
Schon in den frühen Jahren haftete Strauß der Ruf des Unseriösen an, des Zockers, des Machtberauschten. Er wurde zum obersten Förderer der Atomkraft, war fasziniert von Militär und Waffen, holte Rüstungskonzerne nach München. 1962 kam es zur „Spiegel“-Affäre: Als Verteidigungsminister unterstellte Strauß dem Nachrichtenmagazin Landesverrat. Das Blatt soll, so der Vorwurf, geheime Bundeswehr-Informationen verwendet haben. „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein und weitere Redakteure kamen in Haft, Augstein ganze 103 Tage. In der Öffentlichkeit wurde das als beispielloser Angriff auf die Pressefreiheit angesehen, Strauß musste zurücktreten.
Doch FJS hatte ein Faustpfand: Seit 1961 war er Vorsitzender der CSU und damit nicht zu übergehen. 1966 kehrte er zurück als Finanzminister in der Großen Koalition, er überlebte auch die Beziehung zu einer 17-jährigen Schülerin in Bonn.
Er wollte immer Bundeskanzler werden, doch 1978 wurde er bayerischer Ministerpräsident. Bei der Bundestagswahl 1980 ließ ihn sein CDU-Gegenspieler Helmut Kohl, den Strauß als wenig intelligent gering schätzte, kandidieren – mit der Gewissheit, dass dieser Poltergeist scheitern und danach der Weg für ihn, Kohl, frei sein würde. So kam es: Mit 44,5 Prozent der Stimmen verlor Strauß, SPD-Kanzler Helmut Schmidt errang mit der FDP einen Sieg. Bundesweit war der stiernackige Bayer nicht vermittelbar, der Wahlkampf geriet zur Schlammschlacht. Strauß als strammer Antikommunist warnte vor einem Einmarsch der Roten Armee. Sozialdemokraten und andere Linke befürchteten ein autoritäres Rechtsregime. Die Abiturientin Christine Schanderl trug an einem Regensburger Gymnasium einen „Stoppt Strauß“-Anstecker und wurde aus der Schule geworfen. Später studierte die Frau Jura, seit Langem arbeitet sie in Nürnberg als angesehene Rechtsanwältin.
Franz Josef Strauß war so macht- wie geldgierig. Zugeschrieben werden ihm aber auch herausragende analytische Fähigkeiten und grundfeste Überzeugungen. Allerdings war ihm nie bewusst, wie wichtig die Aufarbeitung der Nazizeit für die Bundesrepublik war, er hat das heikle Thema immer weggewischt. Auch hatte er keinen Zugang zur 68er-Bewegung der rebellierenden Studenten. Für ihn waren sie nur „Mob“, „Langhaarige“, „Ungewaschene“, „Chaoten“.
Strauß machte auf sich aufmerksam durch bizarre Treffen mit einschlägig bekannten Politikern. In Chile traf er Militärdiktator Augusto Pinochet, der viele Tausende Regimegegner ermorden ließ. Doch wurde er auch in China vom kommunistischen Herrscher Mao Zedong empfangen, ebenso redete er mit dem Sowjetführer Leonid Breschnew. Für all diese Kontakte konnte der Bayern-Regent Gründe nennen. Vor allem aber wollte er auch Staatsmann sein. Die Aktivitäten gipfelten im Milliardenkredit für die DDR, den er 1983 mit dem Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski einfädelte. Verlängerte Strauß damit das wirtschaftliche Überleben der DDR? Konnte er humanitäre Erleichterungen erreichen? Vor allem war er wieder als NebenAußenminister im Gespräch.
In Bayern errichtete er ein Herrschaftssystem der ganz eigenen Art. Er pflegte Freundschaften zu Unternehmern wie dem „Bäderkönig“Eduard Zwick. Dieser erhielt einen Steuererlass über 63 Millionen Euro, wie der Strauß-Kritiker Wilhelm Schlötterer schreibt. Strauß erwarb Pilotenlizenzen, weil er sich von Unternehmern kostenlos Flugzeuge ausleihen konnte. Er war als Ministerpräsident Testamentsvollstrecker der Friedrich-Baur-Stiftung und kassierte dafür laut Schlötterer insgesamt 1,3 Millionen DMark bei nahezu keinem Arbeitsaufwand. Und Strauß fädelte Geschäfte mit dem Waffenhändler Karl-Heinz Schreiber ein – zentrale Figur in der CDU-Parteispendenaffäre –, dem er auch seinen ältesten Sohn Max sozusagen in die Lehre gab. Schlötterer, der selbst 30 Jahre lang ein hoher Finanzbeamter war und weiterhin CSU-Mitglied ist, stellt fest: „Strauß war der skrupelloseste und gierigste Politiker seit Bestehen der Bundesrepublik.“
Für seine drei Kinder war der Vater eine Bürde. Sohn Max sollte in die Fußstapfen treten, doch er zerbrach daran. Im Steuerhinterziehungsprozess wegen Schreiber wurde er freigesprochen, doch er war ein kranker, schwer depressiver Mann. Tochter Monika Hohlmeier scheiterte in der Politik an Wahlfälschungs- und Bedrohungsvorwürfen, jetzt sitzt sie im EU-Parlament.
In seinen letzten Jahren ließ es Strauß in München krachen. Den Unfalltod seiner Frau Marianne 1984 hatte er verwunden. Strauß ging auf Safari in Afrika, fuhr mit Unternehmern und Freunden zu Luxuspartys in den Alpen, besuchte den Wiener Opernball. Sein Alkoholkonsum stieg wie auch sein Leibesumfang. Er verlobte sich mit der Kauffrau Renate Piller, die heute wohl als Szene-Schönheit bezeichnet werden würde.
Eine Fete jagt die nächste, es bezahlen immer andere. Bei einer Hirschjagd in Regensburg am 3. Oktober 1988 bricht er zusammen und stirbt.