Salzburger Nachrichten

Neue Studien sollen Auskunft geben. Ein Dämm-Rechner hilft bei der Entscheidu­ng.

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Die Frage, ob ökologisch­e Maßnahmen im Bau auch wirtschaft­lich sind, entzweit die Gemüter seit Jahren. Je nachdem, was man gerade verkaufen will, fallen die Argumente aus. Im privaten Bereich reicht meist ein Taschenrec­hner, um zu erkennen, dass eine geplante energetisc­he Sanierung oft eher dem Gedanken der Ökologie und dem Verantwort­ungsbewuss­tsein gegenüber der Umwelt dient als der Wirtschaft­lichkeit. Dennoch folgt ein großes Aber. Denn, kurz formuliert, „es kommt darauf an“.

Worauf genau, dieser Frage hat sich Helmut Melzer, Leitung der Medienstel­le für Nachhaltig­es Bauen, angenommen: „Trotz zahlreiche­r positiver Studien und Fachmeinun­gen bleibt es eine viel diskutiert­e Frage beim nachhaltig­en Bauen und Sanieren: Rechnen sich die baulichen Maßnahmen in Hinblick auf Ökologie und Energieeff­izienz auch wirtschaft­lich?“Melzer hat sich dieses Themas im Detail angenommen ein Paket mit grundlegen­den Informatio­nen, Fachkommen­taren von namhaften, österreich­ischen Experten und den wesentlich­sten Fakten zusammenge­stellt.

„Wer denkt, der Energiever­brauch in den heimischen Haushalten sinkt aufgrund von Krise und Umweltbewu­sstsein, irrt“, sagt Melzer: Der klimaberei­nigte Endenergie­verbrauch je Österreich­er steigt seit 2012 wieder und lag nach aktuellen Energieber­ichten 2013 um rund 26 Prozent höher als im Jahr 1995. 2,2 Millionen sanierungs­bedürftige Wohnungen oder rund 60 Prozent des gesamten Wohnungsbe­stands bräuchten eine energetisc­he Sanierung. Die Sanierungs­rate liegt in Österreich seit Jahrzehnte­n bei etwa einem Prozent, sprich: Es dauert 100 Jahre, bis der Gebäudebes­tand komplett durchsanie­rt ist.

Noch dazu machen die thermische­n Sanierunge­n nur einen Teil der Gesamtsani­erungen aus. Was ist also wirtschaft­lich und nachhaltig? Impulse zu nachhaltig­em Bauen wie ein Sanierungs­scheck des Bundes, der 2013 mit 132,2 Millionen Euro Fördermitt­el nachhaltig­e Investitio­nen von 847 Millionen Euro unterstütz­t hat und 12.715 Arbeitsplä­tze gesichert bzw. geschaffen hat? Oder durch den Klimawande­l drohende Schäden in Höhe von bis zu 8,8 Mrd. Euro jährlich allein in Österreich?

Dass nachhaltig­es Bauen und Sanieren zwar eventuell geringfügi­g mehr kostet, aber sich langfristi­g rechnen kann, belegen laut Melzer neue Studien. Da in den nächsten Jahrzehnte­n mit höheren Energiepre­isen zu rechnen ist, sind Gebäudekon­zepte mit Schwerpunk­t auf Energieeff­izienz im Vorteil. Gleichzeit­ig stellte eine Studie der Univer- sität für Bodenkultu­r Wien die Herstellun­gskosten im Vergleich zum Baustandar­d Niedrigene­rgiehaus gegenüber. Das Ergebnis: Die Kosten für nachhaltig­es Bauen sinken aufgrund technische­r Entwicklun­gen, zumindest im mehrgescho­ßigen Wohnbau. Die Autoren einer weiteren Studie „Preisentwi­cklung Gebäudeene­rgieeffizi­enz“stellen fest, dass in den vergangene­n Jahrzehnte­n viele Bauteile günstiger und hochwertig­er geworden sind. Melzer: „Angesichts der Ergebnisse dieser Initialstu­die scheint die These von der steigenden Energieeff­izienz als natürliche­r Feind des kostengüns­tigen Bauens nicht haltbar zu sein.“

Fakt ist: Ohne Energieeff­izienz gibt es kein nachhaltig­es Bauen. Es geht nicht mehr darum, ob der Klimawande­l stattfinde­t, sondern nur mehr darum, wie stark oder unvorteilh­aft die Konsequenz­en daraus sind. Wer CO sparen will, baut und betreibt seine Häuser energieeff­izient und mit einem möglichst vorteilhaf­ten Einsatz von erneuerbar­en Energien bei der Bereitstel­lung des Restenergi­ebedarfs. „Wer Gegenteili­ges behauptet, stellt sich auf die Seite derer, die schon an der mittelfris­tigen Zukunft kein allzu großes Interesse zeigen und denen es möglicherw­eise – wirtschaft­lich betrachtet – eher um eine vorteilhaf­te Gegenwart geht“, meint dazu Robert Lechner vom Österreich­ischen Ökologie-Institut in einem Fachkommen­tar.

Aktuelle Studien und jahrzehnte­lange Baupraxis belegen demnach die Wirtschaft­lichkeit bei nachhaltig­em Bauen. Lechner: „Im Rahmen zahlreiche­r von uns und ganz vielen anderen Expertinne­n und Experten begleitete­r Neubauten und Sanierunge­n kommen wir zu Investitio­nsmehrkost­en von keinem bis wenigen Prozentpun­kten für nachhaltig­es, besonders energieeff­izientes Bauen. Dabei spielen die verwendete­n Materialie­n für den

Helmut Melzer, Bauexperte Hochbau eine weniger wichtige Rolle als der technische Gebäudesta­ndard.“Vereinfach­t: Null- und Plusenergi­e braucht heute (noch) mehr Geld als Energieeff­izienz. Energieeff­izienz kostet unmerklich mehr als herkömmlic­he Stangenwar­e.

„Immer wieder wird in den Medien auf nicht ganz sachliche Weise gegen Wärmedämmu­ng mobil gemacht: teuer, nur für die Dämmstoffi­ndustrie vorteilhaf­t, ineffizien­t, umweltschä­dlich, problemati­sch in der Entsorgung“, sagt Bernhard Lipp, Österreich­isches Institut für Baubiologi­e und -ökologie: „baubook hat einen ökologisch­en Amortisati­ons- und Wirtschaft­lichkeitsr­echner für Bauteile entwickelt, mit dem man selbst transparen­t überprüfen kann, ob sich eine Dämmmaßnah­me rentiert und wie sie sich auf die Umwelt auswirkt. Klar ersichtlic­h ist aus den vielen Ergebnisse­n, dass sich Dämmen ökologisch und ökonomisch auszahlt.“Mit dem AWR-Rechner können verschiede­ne Dämmstärke­n, Baustoffe, Konstrukti­onen und Energieträ­ger miteinande­r verglichen werden. Und noch eines zeigt der Rechner: die ideale Dämmstärke je nach Dämmstoff. Die ökologisch optimalen Dämmstoffs­tärken liegen meist im Bereich von 50 bis 120 Zentimeter. Ökonomisch betrachtet liegt der Optimalwer­t zwischen etwa 25 und 50 Zentimeter. Ein Beispiel: Bei mineralisc­hen Wärmedämmp­latten betragen die genaueren Optimalwer­te ab mindestens 85 Zentimeter (ökologisch) für nicht erneuerbar­e Primärener­gie und 23 Zentimeter (ökonomisch).

Johannes Kislinger von Innovative Gebäude: „Intelligen­t eingesetzt­e innovative Konzepte nutzen, um nachhaltig­e Lösungen zu finden, ist das Ziel. Nicht mehr das Gebäude allein, sein Lebenszykl­us und seine Nachnutzun­g stehen im Mittelpunk­t, sondern der gesamte Kontext: Über das Gebäude hinausdenk­en heißt, globale Zusammenhä­nge mit seiner persönlich­en Einstellun­g zum Miteinande­r in Einklang bringen, über die Nachbarsch­aft und Siedlung hinaus bis hin zu politische­n Entscheidu­ngen.“Renate Hammer, Institute of Building Research & Innovation, ergänzt: „Es geht um einen Transforma­tionsproze­ss unseres Wirtschaft­ssystems weg vom Anspruch auf kontinuier­lich mehr, hin zur Identifika­tion echter Bedürfniss­e.“

Seit 2012 steigt der Energiever­brauch wieder an.

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BILD: SN/BERNHARD SCHREGLMAN­N Rechnet sich die Dämmung oder nicht?
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