Ein neuer Stil bei den Briten Premier Cameron und der neue Labour-Chef Corbyn trafen erstmals im Parlament aufeinander.
LONDON. Das Ritual der wöchentlichen Fragestunde des britischen Premierministers ist mitunter ein großes Theater. Abgeordnete schleudern vor der Kulisse des Unterhauses Vorwürfe, Provokationen und Beleidigungen auf die gegenüberliegende Seite, also in Richtung gegnerische Partei. Der Oppositionsführer bringt im besten Falle den Regierungschef in Bedrängnis. Doch am Mittwoch störte einer das übliche Spektakel: Sozialist Jeremy Corbyn – der rebellische Hinterbänkler, der am Samstag zum neuen Labour-Vorsitzenden gewählt worden war. Der Altlinke ließ das Parlament und Premierminister Da- vid Cameron wissen, er wolle die Fragestunde, die jeden Mittwoch stattfindet, auf andere Weise gestalten und den „theatralischen“Charakter beenden. Ruhiger, weniger aggressiv und konfrontativ möchte er die halbe Stunde abhalten. Das tat er denn auch und wurde sogleich von vielen Seiten für seinen auf politische Inhalte konzentrierten Ansatz gelobt. Doch nicht nur sein neuer Stil könnte seine Position als Oppositionsführer stärken.
Denn Corbyn führte ein weiteres Novum ein: Der 66-Jährige stellte Cameron Fragen, die er zuvor von Bürgern gesammelt hatte. Auf seinen Aufruf an die Bevölkerung, ihm ihre Anliegen zu schicken, hatten sich 40.000 Menschen gemeldet. Er wählte stellvertretend sechs Fragen aus, sie drehten sich unter anderem um das Gesundheitssystem, streiften die Wohnungskrise für Mieter und Steuerfragen. Cameron feuerte in Wahlkampfmanier zurück, Corbyn blieb ruhig. Seine Anhänger feierten ihn im Anschluss. Er habe gehalten, was er in den vergangenen Wochen versprochen hatte: den Menschen ihre Stimme zurückzugeben. Dabei musste er in den ersten Tagen im Amt viel Häme und Kritik einstecken, zahlreiche Abgeordnete legten ihre Ämter im Schattenkabinett nieder. Der bekennende Sozialist Corbyn fordert höhere Steuern für Reiche und den Austritt aus der NATO, eine Verstaatlichung von Schlüsselindustrien und die Abschaffung der britischen Atomwaffen.
Umso gespannter hatten die Briten auf den Auftritt des umstrittenen Linken im Parlament gewartet. Nun erntete er viel Zustimmung für seine neue Methode, den Premierminister in die Enge zu treiben. „Es ist interessant zu sehen, wie die Presse Corbyn als Linksextremisten präsentiert, aber in seiner ersten Fragestunde zeigte er sich eher gemäßigt“, befand einer der Zuschauer im Internet. Tatsächlich suchten die konservativen Medien des Königreichs zuletzt fast übereifrig nach skandalträchtigen Geschichten rund um Corbyn, der zu den energischsten Kritikern der Sparpolitik der regierenden Tories gehört.