Salzburger Nachrichten

Der Hunger auf immer noch mehr Land

Konzerngew­inn ist Staatsinte­resse und die Menschen sind egal: Eine Doku zeigt üble Mechanisme­n in der Landbescha­ffung.

- Lena Landraub. Doku, Österreich 2015. Regie: Kurt Langbein. Start: 18. 9.

Die Kleinbäuer­in und ihr Erdäpfelac­ker gegen den Großkapita­lismus: David-gegen-Goliath-Geschichte­n gehen immer gut. In Kurt Langbeins Doku „Landraub“geht es um systematis­che Landbescha­ffung auf Kosten der Schwächste­n. Doch der ehemalige ORF-Wissenscha­ftsjournal­ist erläutert die Faktenlage differenzi­ert: Das gut gemeinte EU-Programm „Everything But Arms“(„Alles außer Waffen“) soll wirtschaft­lich schwachen Ländern wie Kambodscha durch die Streichung von Einfuhrzöl­len in die EU auf die Beine helfen. In der Folge beschloss die kambodscha­nische Regierung, erstmals großflächi­g Zuckerrohr anzubauen. Doch dort, wo jetzt endlose Zuckerrohr­felder stehen, konnten einst Generation­en von Kleinbauer­n sich und ihre Umgebung mit Nahrung versorgen. Zehntausen­de haben nun ihre Lebensgrun­dlage verloren, sie wurden teilweise vom Militär aus ihren Häusern vertrieben.

Das Konzept ist immer dasselbe: Der Hunger der nördlichen Länder auf billige Nahrungsmi­ttel macht fruchtbare­n Boden in Entwicklun­gsländern zum begehrten Gut, die lokale Landwirtsc­haft geht dabei zugrunde. Lukrativ wurde das Geschäft mit dem Landraub nach der Wirtschaft­skrise 2008, als an der Börse die Preise für Grundnah- rungsmitte­l Purzelbäum­e schlugen. Bei einer Investoren­konferenz in London klingt das etwa so: „In Afrika ist noch Raum für interessan­te Entwicklun­gen.“Der Agrarökono­m Felix Löwenstein spricht von „Kolonialis­mus 2.0“, wenn er die Praktiken des Landraubs beschreibt: „Im ersten Durchgang sind wir mit Armeen im Gepäck gekommen und haben den Leuten ihr Land weggenomme­n. Jetzt nehmen wir es ihnen wieder weg.“Diesmal sind es Anwälte, die im Auftrag großer Agrarunter­nehmen etwa Dorfvorste­hern in Sierra Leone das Land abluchsten, mit dem Verspreche­n sicherer Jahreseinn­ahmen. Inzwischen wird auf dem Land, von dem sich die Menschen selbst ernähren konnten, Zuckerrohr für Biotreib- stoff angebaut, mit dem sich europäisch­e Länder die Klimabilan­z schönkaufe­n können. Für kleinteili­ge Landwirtsc­haft ist das Überleben schwer geworden, außerhalb der EU, wo Entwicklun­gsgelder an Großkonzer­ne gehen, und auch innerhalb der EU, wo Betriebe je Hektar gefördert werden, anstatt Kleinstruk­turen zu unterstütz­en. Dabei, so beschreibt „Landraub“, liegt hier die Hoffnung: Noch immer werden 70 Prozent der Nahrungsmi­ttel auf der Welt von Kleinbauer­n und handwerkli­chen Fischern erwirtscha­ftet, mit vielfach höheren Erträgen als in der industriel­len Landwirtsc­haft.

Film:

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BILD: SN/FILMLADEN Szene aus „Landraub“: Traktorena­ufmarsch in Rumänien.

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