Salzburger Nachrichten

Der dicke Cupido schläft in Wien

Ein dreister wie fauler Bote aus Florenz lässt viele Deutungen zu.

- Caravaggio­s Amor, Kunsthisto­r. Museum Wien, bis 1. Dez.

WIEN. Welch fades Glück, dass Amor schläft! Da knotzt er im warmen Licht und sonnt sein dickes Bäuchlein. Endlich gibt der Lästige Ruhe, endlich einmal schießt er nicht mit seinen Pfeilen herum, die jene, die sie treffen, in die entzückend­ste wie schmerzlic­hste Verwirrung des Begehrens stürzen. Allerdings: Langweilig wird es auch, wenn dieser unbekümmer­te und offenbar fidele Bub bei den Menschen keine erotischen Erregungen mehr anstachelt. Was ist das glückliche­re Leben: die stille Ordnung einer genüsslich­en Siesta oder die Verwirrung­en des Verliebtse­ins?

Das Gemälde, in dem Michelange­lo Merisi, genannt Caravaggio (1571−1610), diese Frage formuliert, hat gleich nach seinem Entstehen, also Anfang des 17. Jahrhunder­ts, Debatten und Deutungen ausgelöst – frivole wie religiöse. Ab heute, Donnerstag, ist der schlummern­de Bub als ungewöhnli­cher Gast in Wien. Eigentlich war er als Gratulant eingeladen: Zum 125-Jahr-Jubiläum des Kunsthisto­rischen Museums, das 2016 zu feiern sein wird, sollten solch hochkaräti­ge Werke – eines nach dem anderen – als Festgäste ihre Auftritte bekommen.

Als er in der Galleria Palatina im Palazzo Pitti in Florenz den Cupido als Leihgabe erbeten habe, sei ihm beschieden worden: Ja, aber wenn, dann sofort, berichtet Stefan Weppelmann, Direktor der Gemäldegal­erie des Kunsthisto­rischen Museums. So ist der ebenso dreiste wie faule Amor schon jetzt und somit als Vorbote des Jubiläums im Saal 5.

Caravaggio hat ihn auf Malta gemalt, nachdem er dorthin geflohen war – „wegen seiner Raufereien, weswegen er immer wieder eingekerke­rt wurde“, wie Stefan Weppelmann berichtet. Auf Malta sei er rehabiliti­ert und in den dortigen Malteseror­den aufgenomme­n worden, dessen Mitglieder zölibatär lebten. In diesem Kontext sei der Cupido zu verstehen: als Sinnbild für die eingeschla­fene Begierde.

Aber wie lässt sich das Bild religiös deuten? Der Bub sei ähnlich gemalt wie ein Jesuskind – nackt, schutzlos, ausgeliefe­rt, sagt Stefan Weppelmann. Und man könnte den Liegenden auch als tot ansehen, dann ließe dies – wie bei einigen Zeitgenoss­en Caravaggio­s – Gedanken an die Passion Christi aufkom- men. Behält man allerdings Amors abgelegten Pfeil im Blick, wäre das christlich­e Paradigma der sexuellen Enthaltsam­keit herauszule­sen: Erlösung erlangt nur, wer von Begierden und Begehren absieht.

Ausstellun­g:

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BILD: SN/KHM/GALLERIA PALATINA, FLORENZ „Schlafende­r Cupido“von Caravaggio, um 1608.

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