Der dicke Cupido schläft in Wien
Ein dreister wie fauler Bote aus Florenz lässt viele Deutungen zu.
WIEN. Welch fades Glück, dass Amor schläft! Da knotzt er im warmen Licht und sonnt sein dickes Bäuchlein. Endlich gibt der Lästige Ruhe, endlich einmal schießt er nicht mit seinen Pfeilen herum, die jene, die sie treffen, in die entzückendste wie schmerzlichste Verwirrung des Begehrens stürzen. Allerdings: Langweilig wird es auch, wenn dieser unbekümmerte und offenbar fidele Bub bei den Menschen keine erotischen Erregungen mehr anstachelt. Was ist das glücklichere Leben: die stille Ordnung einer genüsslichen Siesta oder die Verwirrungen des Verliebtseins?
Das Gemälde, in dem Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio (1571−1610), diese Frage formuliert, hat gleich nach seinem Entstehen, also Anfang des 17. Jahrhunderts, Debatten und Deutungen ausgelöst – frivole wie religiöse. Ab heute, Donnerstag, ist der schlummernde Bub als ungewöhnlicher Gast in Wien. Eigentlich war er als Gratulant eingeladen: Zum 125-Jahr-Jubiläum des Kunsthistorischen Museums, das 2016 zu feiern sein wird, sollten solch hochkarätige Werke – eines nach dem anderen – als Festgäste ihre Auftritte bekommen.
Als er in der Galleria Palatina im Palazzo Pitti in Florenz den Cupido als Leihgabe erbeten habe, sei ihm beschieden worden: Ja, aber wenn, dann sofort, berichtet Stefan Weppelmann, Direktor der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums. So ist der ebenso dreiste wie faule Amor schon jetzt und somit als Vorbote des Jubiläums im Saal 5.
Caravaggio hat ihn auf Malta gemalt, nachdem er dorthin geflohen war – „wegen seiner Raufereien, weswegen er immer wieder eingekerkert wurde“, wie Stefan Weppelmann berichtet. Auf Malta sei er rehabilitiert und in den dortigen Malteserorden aufgenommen worden, dessen Mitglieder zölibatär lebten. In diesem Kontext sei der Cupido zu verstehen: als Sinnbild für die eingeschlafene Begierde.
Aber wie lässt sich das Bild religiös deuten? Der Bub sei ähnlich gemalt wie ein Jesuskind – nackt, schutzlos, ausgeliefert, sagt Stefan Weppelmann. Und man könnte den Liegenden auch als tot ansehen, dann ließe dies – wie bei einigen Zeitgenossen Caravaggios – Gedanken an die Passion Christi aufkom- men. Behält man allerdings Amors abgelegten Pfeil im Blick, wäre das christliche Paradigma der sexuellen Enthaltsamkeit herauszulesen: Erlösung erlangt nur, wer von Begierden und Begehren absieht.
Ausstellung: