Bald die Welt?
Apples iPhone-Technik könnte bald veraltet sein. Handys oder Fernseher ohne Berührung zu steuern, ist die Zukunft – und jetzt schon möglich.
BERLIN. Chief John Anderton steht vor riesigen Bildschirmen. Der Polizist ist auf der Suche nach einer Wohngegend in Washington. Dort könnte ein Mord stattfinden. Um sich auf den Displays zurechtzufinden, muss Anderton weder Klicken noch Wischen. Er steuert die Bildschirme durch seine Gesten. Wenn er seine Arme nach rechts bewegt, wechselt er zum nächsten Bild. Durch eine Drehbewegung seiner Hand kann er Videos vor- und zurückspulen. Auch dank der Steuerungstechnik schafft es Anderton, die Wohngegend zu finden – und den Mord zu verhindern.
John Anderton ist die Hauptfigur im Film „Minority Report“, verkörpert von Tom Cruise. Der Blockbuster spielt im Jahr 2054. Science-Fiction eben. Doch zumindest eine Idee der Autoren scheint tatsächlich Realität geworden zu sein – 39 Jahre vor 2054. Google hat vor wenigen Wochen das Projekt „Soli“vorgestellt. Ein Sensor, eingebaut in einen Mikrochip, erkennt Bewegungen der menschlichen Hand und wandelt diese in Befehle um. „Sie können etwa Ihren Daumen auf Ihren Zeigefinger drücken und dadurch einen Knopfdruck simulieren“, beschreibt Carsten Schwesig, Chefdesigner von „Soli“. Die Innovation arbeitet mit verfeinerter Radartechnologie, die ursprünglich dazu verwendet wurde, um die Bewegungen von Flugzeugen zu erfassen. „Wir waren uns nicht sicher, ob wir die Technik wirklich umsetzen können. Aber wir wollten es ausprobieren. Allein schon um zu wissen, ob es möglich ist“, sagt Projektleiter Ivan Poupyrev. Aktuell gibt Google eine Testversion des Chips an ausgewählte Entwickler weiter, die das System in verschiedenen Bereichen implementieren sollen. Ein Computer, der statt einer Maus auf „Soli“setzt, soll ebenso möglich sein wie ein gestengelenktes Auto.
Doch schon jetzt sind Produkte auf dem Markt, die mit Gestensteuerung funktionieren – wenngleich ohne Radartechnologie. Bereits im vergangenen Jahr hat Intel seine RealSense Camera vorgestellt, die auch in Laptops verbaut ist. Die neueste Generation der Kamera baut auf Infrarotsensoren. „Die Sensoren sind so gut, dass sie die Gesichter von Zwillingen unterscheiden können“, sagt Thomas Kaminski, PR-Manager bei Intel. Sich an seinem PC statt per Passwort mittels Gesichtserkennung anzumelden, sei so kein Problem mehr. Und in anderen Lebensbereichen sei die Technologie ebenso brauchbar. „Sie können Ihre Wohnung scannen und dann mit Ihrem Tablet ins Möbelhaus fahren“, ergänzt Kaminski. Und auch die Idee aus „Minority Report“sei umsetzbar: Ein Chirurg könne etwa im OP über Gestensteuerung die Röntgenbilder des Patienten durchblättern, ohne sich die desinfizierten Hände schmutzig zu machen.
Den Trend zur Gestensteuerung hat auch Branchenprimus Apple erkannt. Ende vergangenen Jahres haben sich Steve Jobs’ Erben 33 einschlägige Patente gesichert. Bereits 2013 hat Apple das israelische Unternehmen PrimeSense übernommen. PrimeSense gilt als Vorreiter bei 3D-Sensoren. Doch aktuell hinkt Apple der Konkurrenz noch hinterher. Das iPhone 6s, das vor wenigen Tagen präsentiert wurde, setzt nicht auf Gestensteuerung – aber immerhin auf „3D-“oder „Force Touch“: Wer fester auf eine App drückt, bekommt bestimmte Funktionen angezeigt. Die Technik übernimmt also die Funktion eines Rechtsklicks mit der Maus.
Auch der chinesische Hersteller Huawei hat sein neues Smartphone Mate S mit „Force Touch“ausgestattet. Aber dies sei erst der Anfang, wurde bei der Präsentation ergänzt. Gehört der Gestensteuerung also die Zukunft? „Ich glaube nicht, dass das eine Frage der Technik ist. Die Technik ist jetzt schon beinahe so weit“, sagt Intel-Sprecher Kaminski. Es hänge viel mehr vom Nutzer ab. „Die Frage ist, ob der Kunde gewillt ist, vor seinem Büro-PC die bequeme Armhaltung zu verlassen und seinen Rechner mittels Gesten zu steuern.“In bestimmten Bereichen werde sich die Bewegungssteuerung aber durchsetzen, meint Kaminski: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie bald vor Schaufenstern stehen werden, auf denen Sie die Angebote des Shops über Gesten durchwischen können.“
„Die zentrale Frage ist, ob der Nutzer sich umgewöhnen will.“