Mit der Filmkamera in der Jugendpsychiatrie
Dokumentation „Wie die anderen“polarisiert: Gelingt es so, die Jugendpsychiatrie zu enttabuisieren?
Dominik kriecht lieber auf dem Boden als zu gehen und presst seinen Kopf gegen die Wand. Der Siebenjährige beginnt zu toben, als ihn die Heilstättenlehrerin in den Therapieraum trägt.
Vier Therapeutinnen diskutieren mit Primar Paulus Hochgatterer, ob ein Analriss bei einer Jugendlichen genug Hinweis auf sexuellen Missbrauch ist, um die Spitalsaufnahme zu rechtfertigen, obwohl ihre Eltern dagegen sind. Das Team hat „wieder die Rolle, Kriminalpolizei zu spielen, obwohl wir das nicht wollen“.
Sophie, die an Bulimie leidet und durch dauernde Selbstverletzungen massiv vernarbte Arme hat, bespricht mit ihrem Psychiater, ob sie es schaffen wird, ein Wochenende Ausgang zu bekommen, ohne sich wieder zu schneiden.
Das sind nur drei Szenen aus dem Dokumentarfilm „Wie die anderen“von Constantin Wulff, der kontrovers diskutiert wird. Gedreht wurde in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Tulln, die der auch als Autor bekannte Hochgatterer leitet.
Der Film zeigt auch Probleme im Klinikalltag. Bei einer Sitzung kommt es wegen der Personalknappheit zum Streit: „Welche Leistungen streichen wir?“Und es wird gezeigt, wie die Gurte am Bett zur Fixierung einer autoaggressiven Jugendlichen vorbereitet werden.
Gegen Kritik in puncto Datenschutz und Voyeurismus verteidigt Wulff seinen Film aber. Von allen Eltern und Jugendlichen wurde die Zustimmung vorab eingeholt, die Namen der Kinder im Film wurden verändert. „Psychiatrie ist stark besetzt mit diffusen Ängsten und verzerrten Bildern, die nichts mit der Gegenwart zu tun haben. Ich wollte dem zeitgemäße und realistische Bilder gegenüberstellen. Ich möchte für eine Welt kämpfen, in der es in Ordnung ist, dass man in einer Psychiatrie war“, sagt Wulff.
Die Salzburger Psychotherapeutin Ulrike Hutter sieht den Film positiv: „Die Patienten werden nicht vorgeführt und die Therapeuten sind nicht die Helden.“Sie fordert eine generelle Diskussion über das Tabu „psychisch krank“: „Wir brauchen Psychotherapie auf Krankenschein, mehr Schulpsychologinnen und für jeden Kindergarten eine Psychologin als Ansprechpartnerin. Ich erlebe, dass Ärzte Kinder oft im Kreis schicken, bevor ihr Problem psychotherapeutisch abgeklärt wird.“