Karriere nicht um jeden Preis
Machtspiele im Chefsessel und arbeiten bis zum Umfallen für möglichst viel Geld lehnen sie ab. Die neue Generation der Arbeitnehmer sucht die Ich-Verwirklichung im Beruf – und stößt dabei an Grenzen.
Sie sind gut ausgebildet und anspruchsvoll: Die Generation Y, wie die Jungen ab Jahrgang 1980 genannt werden, will Karriere machen – doch nicht um jeden Preis. Die SN sprachen mit Jugend- und Bildungsforscher Klaus Hurrelmann über die „heimliche Revolution“der Jungen. SN: Sie nennen die Generation Y die stillen Revolutionäre, weil sie Gesellschaft und Arbeitswelt verändern werden. Gleichzeitig sitzen weiterhin viele gut ausgebildete Junge in prekären Arbeitsverhältnissen fest, ohne ihren Traum erfüllt zu sehen. Wie erfolgreich ist diese Revolution bis dato? Hurrelmann: Die Generation Y hat früh gelernt, vorsichtig zu sein. Sie fährt auf Sicht, sie taktiert, sie sondiert, sie schaut, wo sie bleibt. Wenn diese jungen Leute aber irgendwo reinkommen, dann merkt man doch, dass ihre scheinbar zurückgenommene, angepasste Art etwas täuscht. Sie gehen von ihren Bedürfnissen aus, das haben sie gelernt. Sie sind bestrebt, ihre Interessen durchzusetzen. Im Beruf setzen sie sich dafür ein, dass sie einen sicheren Arbeitsplatz bekommen, wo sie etwas beeinflussen können, wo das Betriebsklima stimmt, wo sie nicht in eine lange Hierarchie eingeordnet sind. Und sie schauen sehr darauf, dass in einer digitalen Arbeitswelt nicht der ganze Tag nur aus Arbeit besteht, sondern die Ausgewogenheit von Arbeit und Freizeit stimmt. SN: An den Hebeln sitzen in den Betrieben noch die Babyboomer. Wie lang ist der Atem der Jungen, bis sie das bekommen, was sie wollen? Die Babyboomer sind in der Tat eine mächtige Generation – von ihrer Zahl her, aber auch von den Positionen, die sie innehaben. Die ältesten von ihnen sind jetzt 60. Sie bestimmen die Unternehmenskultur und beeinflussen die Umgangsformen. Wenn die Jungen nun das Angebot bekommen, Karriere zu machen, dann sind die ganz, ganz vorsichtig und schauen ganz genau hin. Heißt Karriere nur, dass ich eine Machtposition ausüben soll und meine geliebte inhaltliche Arbeit verliere? Dann überlege ich mir das zwei Mal. Das ist ein Hauptmotiv dieser Generation: In der Arbeit möchten sie persönliche Erfüllung erleben. Der Beruf ist ganz nah an eine Art IchVerwirklichung herangerückt. Mit den Vorteilen, dass da natürlich Engagement dahintersteckt, aber auch mit Nachteilen, weil da auch etwas unrealistische Maßstäbe in die Berufswelt hineinkommen können. Aber Karriere um jeden Preis, das ist bei dieser Generation überhaupt nicht in. Karriere um der Machtposition willen, das sind nur wenige, die sich darauf einlassen. SN: Zum Beruf kommt irgendwann Familie. Bleiben die gut ausgebildeten Frauen lieber kinderlos, anstatt sich abzustrampeln wie ihre Mütter? Ja, aber das wird von einem Teil der hochqualifizierten Frauen nur als eine Notlösung gesehen. Aber ich denke, vor der drohenden Kulisse eines Fachkräftemangels, wenn die Babyboomer rausgehen, werden die Unternehmen gar nicht anders können und wollen, als dass sie viel mehr hochqualifizierte Frauen reinlassen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verändern. Unternehmen, die clever sind, tun das schon heute. Sie sind dabei ihrer Zeit sechs bis sieben Jahre voraus, und das wird sich auszahlen. SN: Jetzt haben wir aktuell die Situation, dass Hunderttausende Menschen und damit auch Arbeitskräfte aus den arabischen Ländern und Afrika nach Europa strömen. Wird es jetzt ungemütlich für die Generation Y? Erwächst hier neue Konkurrenz? Es sieht nicht so aus. Weil die Lücke, die die ausscheidende Generation am Arbeitsmarkt reißen wird, derartig groß ist, dass bei anhaltender wirtschaftlicher Lage überhaupt kein Problem entsteht. Auch die 15 bis 20 Prozent der niedrig qualifizierten jungen Leute werden nicht tangiert. Aber sie reagieren manch- mal irrational. Sie können auf die Idee kommen, einen Sündenbock zu suchen, und dazu neigen zu sagen: Hier die vielen Flüchtlinge, die uns den Arbeitsmarkt wegnehmen, die sind schuld an meiner schrecklichen Situation, die ich hier habe, obwohl es in Wirklichkeit die veränderten Ausgangslagen auf dem Arbeitsmarkt sind. Es hat sich eine Mindestqualifikationsschwelle gebildet, wer die nicht überschreiten kann, kommt erst gar nicht in den Arbeitsmarkt hinein. SN: Eine neue Studie kam jüngst zu dem Ergebnis, dass die Jungen bei der Arbeit weniger motiviert sind als die Älteren. Die Arbeitsmotivation ist bei den Babyboomern natürlich außerordentlich groß, das hat aber auch mit dem Alter zu tun. Denn wenn man es geschafft hat, im Arbeitsleben bleiben zu können, dann bleibt einem keine Wechselmöglichkeit, und insofern steuern sich auch die persönlichen Haltungen. Deshalb muss man auch vorsichtig sein damit, dass man sagt, die nachrückende Generation habe eine schlechtere Motivation und eine geringere Identifikation mit dem Arbeits- platz. Das ist eine Generation, die ist maximal fünf Jahre im Beruf, die schauen sich noch um. Sie haben auch gelernt, dass sie in einer Welt sind, in der sich ständig alles ändert, die sind auch vorsichtiger mit Langzeitengagements. Man will sich Optionen offenhalten. Das ist eine Arbeitnehmerschaft, die will abgeholt, umsorgt und beteiligt werden. Die will das Gefühl haben, eine wichtige Rolle zu haben. Sie sind anspruchsvoller als die Älteren, die – zugespitzt gesagt – froh sind, noch einen Arbeitsplatz zu haben, und noch nicht rausmüssen, weil sie den Anforderungen nicht mehr entsprechen. SN: Wie man weiß, kann man Praxis aber nicht durch Theorie ersetzen. Haben wir bei den gut ausgebildeten Jungen nicht zu viele Theoretiker? Ja. Wie immer bei den Nachrückenden sind die theoretischen Ausbildungskomponenten stark. Aber dazu kommt die digitale Kompetenz, die darf man nicht übersehen, das ist im Vergleich zur älteren Generation eine angeborene Qualifikation, die diese junge Generation mitbringt. Sie ist stark geprägt durch die digitalen Spiele, sie kann intuitiv, individuell und projektmäßig arbeiten. Das sind Dinge, die den Arbeitsabläufen in den meisten Unternehmen sehr entgegenkommen. So gesehen ist das eine wertvolle Generation. Es lohnt sich, um sie zu werben.
Klaus Hurrelmann