Salzburger Nachrichten

Das Idealmaß der Straße ist 30:40:30

Der Straßenrau­m in Innenstädt­en muss neu geordnet werden. Die Fahrbahnen müssen schmäler, Seitenbere­iche breiter werden.

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SN-Gespräch mit dem Städteplan­er und Verkehrsex­perten Hartmut Topp, Kaiserslau­tern. SN: Sie sagen, es brauche immer einen Anlass, um eine autogerech­te Stadt in eine menschenge­rechte zurückzuba­uen. Die Idee reicht nicht? Topp: Tatsächlic­h will man die autogerech­te Stadt im Grunde nicht mehr haben. Das ist eindeutig. Aber etwas anderes ist es, das Problem nun wirklich anzufassen. Das kostet Geld, es sind Investitio­nen erforderli­ch. Daher ist es kein Selbstläuf­er, sondern man braucht in der Regel einen Anlass. SN: Was können solche Anlässe sein? Topp: In Ludwigshaf­en war es die marode Verkehrsin­frastruktu­r. Es ging um die Frage, ob man die Brücke für die Hochstraße erneuert oder abreißt. Ludwigshaf­en hat es durch einen breiten politische­n Konsens geschafft, die Hochstraße durch einen ebenerdige­n Stadtboule­vard zu ersetzen. Diese Diskussion hat aber zwei Jahre gedauert.

Ein anderes Beispiel war der Bürgerents­cheid in Ulm. Die Stadt wollte ursprüngli­ch einen Tunnel bauen. Das war politisch hoch umstritten. Man machte ein Bürgerbege­hren. Dabei wurde der Tunnel haushoch abgelehnt. Von daher konnte man in Anlehnung an den alten Stadtgrund­riss neue Räume und Straßen in einem ganz anderen Maßstab gestal- ten. In Kaiserslau­tern war der Anlass ein Investment eines privaten Unternehme­rs. Dieses hat erfordert, dass der Verkehr in der Stadtmitte neu geordnet werden musste.

Diese Beispiele zeigen: Man braucht einen Anlass, damit die Politik Beschlüsse fasst, die viel Geld und viel Überzeugun­gskraft kosten. SN: Derzeit gibt es breite Fahrspuren und schmale Gehsteige. Was ist die Faustregel für den Rückbau? Man sagt, dass 30:40:30 eine günstige Aufteilung des Straßenque­rschnitts ist: links 30 Prozent Seitenraum, in der Mitte 40 Prozent Fahrbahn, rechts wieder 30 Prozent Seitenraum. Eine solche Proportion wird als gut und stimmig empfunden. Da haben die Fußgänger wirklich Platz. Aber es ist selbstvers­tänd- lich nur eine Faustregel. Letztendli­ch muss jeder Straßenzug individuel­l gestaltet werden. SN: Welches Tempo verträgt die Stadt? Die Frage ist immer, über welche Distanz der Autofahrer etwa das Schritttem­po einer verkehrsbe­ruhigten Zone einhalten muss. Wir haben in Deutschlan­d sehr viel darüber diskutiert, als in den Städten verkehrsbe­ruhigte Bereiche und Tempo-30-Zonen eingericht­et wurden. Da galt die Faustregel, dass der Autofahrer nach 400 bis 500 Metern aus einer verkehrsbe­ruhigten Zone mit Schritttem­po wieder hinauskomm­en und eine schnellere Straße erreichen soll. SN: Wo möchten Sie beim Rückbau der autogerech­ten Stadt weiterkomm­en? Ich kämpfe für Tempo 30. Heute ist Tempo 50 die Regelgesch­windigkeit, Tempo 30 die Ausnahme. Ich möchte das umkehren: Tempo 30 als Regelgesch­windigkeit, mit Ausnahmen für Tempo 50 auf Ausfallstr­aßen, an denen es keine Wohnungen gibt. Das muss in den nächsten drei Jahren kommen. Aus Lärmschutz­gründen und wegen der Verkehrssi­cherheit für eine alternde Gesellscha­ft.

Tempo 30 ist auch eine Voraussetz­ung dafür, dass ich die Radfahrer auf die Fahrbahn bringen kann. Denn Autofahrer mit Tempo 50 und Radfahrer mit Tempo 20 kann ich nicht vermischen. Je größer die Geschwindi­gkeitsdiff­erenz ist, desto mehr Überholvor­gänge und damit Konflikte gibt es. Bei Tempo 30 nähern sich die Geschwindi­gkeiten zu einem verträglic­hen Miteinande­r an.

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BI L D: SN Im Sommer 2016 soll eine Begegnungs­zone in Saalfelden realisiert werden.
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