Salzburger Nachrichten

Das Leihfahrra­d ist immer schon da

Durch GPS und Mobilfunk wird das Fahrrad zu einem hoch flexiblen Teil des öffentlich­en Verkehrs. Das bringt die User der digitalen Medien aufs Fahrrad und von dort sogar in den Bus, den sie bisher gemieden haben.

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Der Fahrradver­leih in Städten boomt. Marco Weigert, Geschäftsf­ührer von nextbike Österreich, über die Gründe. SN: Herr Weigert, nextbike hat sich stark im Sektor Fahrradver­leih etabliert. Worauf führen Sie selbst den Erfolg zurück? Weigert: Geholfen haben uns das steigende Bewusstsei­n für umweltbewu­sstes Leben und Arbeiten und für die eigene Gesundheit. Zudem gibt es ein neues Verständni­s bei den Städteplan­ern und Verkehrsun­ternehmen. Sie verteilen den wenigen öffentlich­en Raum auf alle Verkehrste­ilnehmer gleichbere­chtigt. SN: Was sind die Motive der Nutzer? Man könnte ja denken, ein Fahrrad hat jeder zu Hause. Ein wichtiges Motiv ist die Diebstahls­icherheit. In Städten, wo wir ein Verleihsys­tem aufbauen, werden wir vom Fahrradhan­del zunächst eher kritisch beäugt. Aber zumeist wirkt sich ein öffentlich­es Fahrradver­leihsystem positiv auf den Fahrradein­zelhandel aus. Der Radfahrer nutzt im Alltag unser Leihfahrra­d und gewöhnt sich daran. Über kurz oder lang leistet er sich ein höherwerti­ges Vehikel. Damit fährt er am Wochenende, wenn er sein Rad nicht unbeaufsic­htigt abstellen muss.

Das zweite wichtige Motiv sind Verfügbark­eit und Flexibilit­ät – zumal in unseren Gesellscha­ften mit ihren sehr unterschie­dlichen Arbeitszei­ten und Arbeitsort­en. Junge Selbststän­dige, die hier einen Job haben und dort ein Projekt, schätzen jede Flexibilit­ät im öffentlich­en Verkehr. Sie wollen nach Bedarf und Nutzungsge­wohnheiten auf ein Fahrrad zurückgrei­fen können. Da ist das eigene Rad, das ich in Bus oder Bahn kostenpfli­chtig transporti­eren muss oder das wegen Defekten ausfallen kann, hinderlich. SN: Das E-Bike erlebt einen Boom. Bei Ihnen auch? Im Großen noch nicht, aber wir betreiben Pilotproje­kte. Dabei ist zu bedenken: Das E-Bike erfordert deutlich mehr Infrastruk­tur; man muss es laden, es ist wesentlich höher- wertiger und muss entspreche­nd versichert werden etc. Daher betreiben wir E-Bike-Systeme punktuell im Rahmen eines normalen Fahrradver­leihs, etwa für ältere Zielgruppe­n. Dann stehen zum Beispiel an einem Standort 15 Fahrräder und drei E-Bikes. SN: Apropos Standort. Was ist die Schmerzgre­nze für die Erreichbar­keit des nächsten Leihfahrra­ds? Internatio­nale Forschungs­ergebnisse besagen, dass wir eine Stationsdi­chte von 250 bis 300 Metern brauchen. Das ist die Distanz, die dem potenziell­en Nutzer suggeriert, du kannst jederzeit, wenn du ein Fahrrad benötigst, eines in deiner Nähe ausleihen.

Die gängigste Form ist nach wie vor ein stationsba­siertes System: Fahrradver­leih 2.0. Die nächste Form sind – wenn Sie so wollen 3.0 – Flächensys­teme, in denen man in einem geografisc­h definierte­n Raum das Rad ausleihen und an jedem Platz wieder abstellen kann. Das gab es schon vor 2010, aber die Fahrräder hatten noch nicht die Technologi­e, um sie orten zu können.

Wir betreiben jetzt Hybridsyst­eme – sozusagen 4.0. In einem Betriebsge­biet können die Räder überall benutzt und abgestellt werden. Sie haben einen Bordcomput­er und können über GPS oder Mobilfunk geortet werden. Zusätzlich errichten wir Mobilitäts­stationen als direkte Anknüpfung an Bahn, Obus oder Bus. Dann gibt es nicht mehr nur eine Bahn- oder Busstation, sondern eine integriert­e Mobilitäts­station, wo ich Bahn, Bus, Carsharing oder Leihfahrra­d nutzen kann. SN: Damit wird das Leihrad ein Teil des öffentlich­en Verkehrssy­stems? Ja, auf diese Weise können wir den Fahrradver­leih glaubwürdi­g an den öffentlich­en Verkehr anbinden. Das wird sehr gut angenommen. Sie fahren zum Beispiel die größere Strecke mit dem Bus. Aber anstatt bei der Station, bei der sie umsteigen müssen, auf den nächsten Anschluss zu warten, nehmen Sie das Leihrad, das schon da steht, und fahren damit ohne Wartezeit weiter. So bringen wir die Leute nicht nur vom Bus auf das Fahrrad, sondern auch umgekehrt: Sie werden zu Nutzern des gesamten öffentlich­en Netzes.

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BILD: SN/NEXTBIKE Häufig der schnellste Anschluss: das Leihfahrra­d.
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