Putin winkt mit Panzerrohren
Wladimir Putin trifft Barack Obama. Der Russe bietet sich seit Wochen als Friedensmacher in Syrien an. Doch was will er wirklich?
Papst hin, Papst her, heute redet Wladimir Putin vor den Vereinten Nationen, das erste Mal seit zehn Jahren, und viele Russen erwarten den rhetorischen Höhepunkt der UNO-Vollversammlung – und dazu eine geopolitische Wende: Ihr Präsident trifft ja außerdem den USPräsidenten Barack Obama. Laut Putins Pressesprecher wollen beide eine Stunde lang über Syrien reden und, „wenn dann noch Zeit ist“, über die Ukraine. Der Kreml habe beinahe verzweifelt um diesen Termin ersucht, berichtet der Pressesprecher Obamas.
Seit Wochen spricht Putin lieber über Syrien. Über die westliche Unterstützung für die Rebellen gegen Baschar al-Assad, über syrische Flüchtlingsströme, die Europa überfluten. Und über Russland, das bereit sei, mit einem Militäreinsatz zu helfen. Für alle Fälle hat Russland diesen Einsatz schon gestartet, Hunderte Marineinfanteristen und etwa 30 Kampfflugzeuge nahe der Küstenstadt Latakia in Stellung gebracht. Im Gegensatz zum verdeckten Krieg in der Ostukraine winken die Russen in Syrien buchstäblich mit Panzerrohren: Kaum getarnte Truppentransporter passieren fotogen den Bosporus, in der Hafenstadt Noworossijsk geben Soldaten eifrig Interviews: „Wir dachten, es ginge ins Donbass, aber es hat sich herausgestellt, dass wir nach Syrien sollen.“
Währenddessen ist es in der Ostukraine still geworden. Seit Wochen melden erstaunte ukrainische Regierungstruppen nur noch vereinzeltes Gewehrfeuer. Bei den Separatistenkämpfern im Donbass aber herrscht Frust – angesichts des strikten Angriffsverbots ihrer russischen Kuratoren. Rebellenführer, die Offensiven gegen Mariupol, Charkiw und andere ukrainische Städte forderten, sind entweder verstummt oder geschasst. Es scheint, als wäre der Kreml des Abenteuers in der Ukraine überdrüssig. Gründe gibt es genug: der unerwartet starke Widerstand der Ukrainer. Und die zwar langsame, aber heftige Reaktion des Westens, vor allem dessen Finanzsanktionen. Russlands Wirtschaft ist in ein tiefes Loch gestürzt.
Kein Wunder, dass Putin wieder ins Gespräch kommen will. Die Flüchtlingsnöte in Europa bieten ihm allen Anlass, sich statt als Aggressor im Donbass als robuster Friedensmacher in Syrien zu präsentieren. Aber warum eigentlich nicht? Vielleicht können Berlin, Brüssel und Washington ja mittels Syrien den nun schon seit 18 Monaten unberechenbar herumzockenden Putin wieder an einen Tisch mit gemeinsamen Spielregeln zurückbringen. Kalter Krieg nutzt niemandem. Das blutige Chaos im Nahen Osten auch nicht. Die Frage ist nur, was der Kreml zu einer Friedenslösung in Syrien beitragen kann. Putin erklärt, Ziel Russlands sei die Erhaltung des syrischen Staates, also des Assad-Regimes. Viele Beobachter meinen, die russische Streitmacht werde sich angesichts Assads trister Lage darauf beschränken, den noch von der Regierung gehaltenen Küstenstreifen, auch „Assad-Land“genannt, zu verteidigen. Der Vielfrontenkrieg zwischen Regierungstruppen, Rebellen, Terroristen, Kurden und Türken aber ginge weiter.
Moskau mag eine Gegenoffensive planen, mit den restlichen syrischen Soldaten und iranischen Freiwilligen als Fußvolk, unterstützt von russischen Kampfbombern. Angeblich soll in Bagdad ein Lagezentrum entstehen, in dem Russland, Syrien, der Irak und der Iran Informationen austauschen. Moskau wird vor allem auf die Luftwaffe setzen, wie schon die westliche Koalition. Ob die russischen Piloten dabei vor allem IS-Terroristen attackieren oder doch gemäßigte sunnitische Rebellen, die Assad viel mehr zu schaffen machen? Und ob sie besser treffen als die syrische Luftwaffe, die für die meisten Zivilopfer in Syrien verantwortlich ist? Auch Russlands Kriegsführung genießt nach Afghanistan und Tschetschenien nicht den Ruf, Rücksicht auf die Bevölkerung zu nehmen. „Wir bombardieren hier, ihr dort“, umschreibt ein Moskauer Politologe die Kooperation mit dem Westen. Aber man darf bezweifeln, dass Russland den politischen Willen, die diplomatischen und militärischen Fähigkeiten mitbringt, um das Chaos zu befrieden.
Den Krieg im Donbass, den Putin mit einem Befehl beenden könnte, hat er vorerst eingefroren. Dem erklärten Antiwestler fehlt offenbar eine Strategie, wie er sein Verhältnis zum Westen neu gestalten kann. Die wirtschaftliche Misere fordert Nachgiebigkeit, konkret einen Rückzug aus der Ukraine, ohne den die Finanzsanktionen bis zum Sankt-NimmerleinsTag drohen. Dieser Rückzug aber wäre nach jahrelanger Kriegspropaganda eine persönliche Blamage und Putins innenpolitischer Katastrophenfall. Möglich, dass er seine ungelösten Probleme mit einem kriegerischen Neuanfang im Nahen Osten verdrängen will.
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