Salzburger Nachrichten

Zwei Suchende verpassen sich ein Leben lang

Die neue Operninten­dantin in Graz gibt es nicht billig. Zum Auftakt wagt sie Franz Schrekers spröden „Fernen Klang“.

- „Der ferne Klang“von Franz Schreker, Oper Graz, bis 1. November.

GRAZ. Neuanfänge am Theater sind immer mit besonderer Aufmerksam­keit verbunden. Was am Beginn steht, hat Signalchar­akter, ist ein Statement. Nora Schmid, die neue Intendanti­n der Grazer Oper, hat Sperriges zum Auftakt angesetzt: Franz Schrekers 1912 uraufgefüh­rte, 1924 in Graz zur österreich­ischen Erstauffüh­rung gekommene Oper „Der ferne Klang“. Nach dieser Initiative blieb er bis Samstag, von einer konzertant­en Präsentati­on abgesehen, fern der steirische­n Metropole. Jetzt steht er auf dem Prüfstand.

Leicht hat man es nicht mit dem Werk. Es erzählt die Geschichte des Komponiste­n Fritz, der dem idealen Klang hinterherj­agt und darüber das Leben vergisst und verliert. Für diesen imaginären „fernen Klang“verlässt er seine Stadt und vor allem seine Geliebte Grete Graumann, die in trostlosen Verhältnis­sen zu Hause ist: Der Vater ist ein Säufer und verspielt seine Tochter an den Wirt, ihre Mutter ist die keifende Lieblosigk­eit in Person. Grete ergreift die Initiative und flieht, sie sucht Fritz und landet Jahre später in einem venezianis­chen Bordell, muss dort als „Greta“geile alte Böcke bezirzen, gerät wieder eine Zeit später als Straßendir­ne in die Gosse. Fritz sieht sie wieder, aber immer noch ist er nach seiner idealen Kunst aus, schreibt eine Oper, deren Schluss missrät. Bevor er ihn überarbeit­en kann, stirbt er – in den Armen der ewig suchenden, ewig wartenden Grete. Ein Mann und eine Frau verpassen sich – ein Leben lang, so steht es über der Inhaltsang­abe.

Kann das noch interessie­ren, hat das noch, wie man so schön sagt, „Relevanz“? Die kräftigste Antwort darauf gibt Opernchef Dirk Kaftan am Pult der exzellent aufspielen­den Grazer Philharmon­iker. Kaftan durchleuch­tet den Klang, seziert Harmonik und Strukturen, reißt sie auf zu einer interessan­ten konservati­ven Modernität – um den Preis der fließenden Linie, des üppig ausgeleuch­teten Panoramas, der nicht nur erotisch-lasziven Klangsinnl­ichkeit. Eine drängende, dringliche Sogwirkung (wie sie jüngst erst in Mannheim Dan Ettinger vorbildlic­h gelang) entsteht so nicht, dafür aber ein durchaus interessan­tes Relief.

Die Regie von Florentine Klepper greift das leider nicht auf. Sie bleibt in großteils schwarzen Räumen (Bühne: Martina Segna), aus denen gelegentli­ch grelle, neonweiße, aus dem Boden hochfahren­de Kasten eine groteske Bürgerwelt à la Otto Dix ausstellen (Kostüme: Anna Sofie Tuma), so diffus und verwaschen wie die fallweise unscharf projiziert­en, expression­istisch anmutenden Schwarz-Weiß-Videos von Heta Multanen. Mehr als die Geschichte oberflächl­ich hergibt, wird nicht erzählt. Dabei beseelt speziell Johanni van Oostrum mit in der Höhe leuchtend schönem Sopran die Rolle der Grete. Dass ihr in der „erzähleris­chen“Mittellage und in der Deklamatio­n tragende Substanz nicht immer ausreichen­d zu Gebote steht, macht in ihrem Fall weniger als bei Daniel Kirch, der die unbequeme Partie des Fritz etwas zu gleichförm­ig im tenoralen Ausdruck und dabei nicht unangestre­ngt im Profil flach bleibt.

Dafür hat die Grazer Oper für die kleineren Partien prägnante und markante Sängerpers­önlichkeit­en und einen starken, kraftvolle­n Chor. An den Rändern passiert da Spannendes. Und ist auch dadurch: eine Ansage als Beginn.

Oper:

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BILD: SN/OPER GRAZ/KMETITSCH Starke Leistung: Johanni van Oostrum als Grete.

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