Zwei Suchende verpassen sich ein Leben lang
Die neue Opernintendantin in Graz gibt es nicht billig. Zum Auftakt wagt sie Franz Schrekers spröden „Fernen Klang“.
GRAZ. Neuanfänge am Theater sind immer mit besonderer Aufmerksamkeit verbunden. Was am Beginn steht, hat Signalcharakter, ist ein Statement. Nora Schmid, die neue Intendantin der Grazer Oper, hat Sperriges zum Auftakt angesetzt: Franz Schrekers 1912 uraufgeführte, 1924 in Graz zur österreichischen Erstaufführung gekommene Oper „Der ferne Klang“. Nach dieser Initiative blieb er bis Samstag, von einer konzertanten Präsentation abgesehen, fern der steirischen Metropole. Jetzt steht er auf dem Prüfstand.
Leicht hat man es nicht mit dem Werk. Es erzählt die Geschichte des Komponisten Fritz, der dem idealen Klang hinterherjagt und darüber das Leben vergisst und verliert. Für diesen imaginären „fernen Klang“verlässt er seine Stadt und vor allem seine Geliebte Grete Graumann, die in trostlosen Verhältnissen zu Hause ist: Der Vater ist ein Säufer und verspielt seine Tochter an den Wirt, ihre Mutter ist die keifende Lieblosigkeit in Person. Grete ergreift die Initiative und flieht, sie sucht Fritz und landet Jahre später in einem venezianischen Bordell, muss dort als „Greta“geile alte Böcke bezirzen, gerät wieder eine Zeit später als Straßendirne in die Gosse. Fritz sieht sie wieder, aber immer noch ist er nach seiner idealen Kunst aus, schreibt eine Oper, deren Schluss missrät. Bevor er ihn überarbeiten kann, stirbt er – in den Armen der ewig suchenden, ewig wartenden Grete. Ein Mann und eine Frau verpassen sich – ein Leben lang, so steht es über der Inhaltsangabe.
Kann das noch interessieren, hat das noch, wie man so schön sagt, „Relevanz“? Die kräftigste Antwort darauf gibt Opernchef Dirk Kaftan am Pult der exzellent aufspielenden Grazer Philharmoniker. Kaftan durchleuchtet den Klang, seziert Harmonik und Strukturen, reißt sie auf zu einer interessanten konservativen Modernität – um den Preis der fließenden Linie, des üppig ausgeleuchteten Panoramas, der nicht nur erotisch-lasziven Klangsinnlichkeit. Eine drängende, dringliche Sogwirkung (wie sie jüngst erst in Mannheim Dan Ettinger vorbildlich gelang) entsteht so nicht, dafür aber ein durchaus interessantes Relief.
Die Regie von Florentine Klepper greift das leider nicht auf. Sie bleibt in großteils schwarzen Räumen (Bühne: Martina Segna), aus denen gelegentlich grelle, neonweiße, aus dem Boden hochfahrende Kasten eine groteske Bürgerwelt à la Otto Dix ausstellen (Kostüme: Anna Sofie Tuma), so diffus und verwaschen wie die fallweise unscharf projizierten, expressionistisch anmutenden Schwarz-Weiß-Videos von Heta Multanen. Mehr als die Geschichte oberflächlich hergibt, wird nicht erzählt. Dabei beseelt speziell Johanni van Oostrum mit in der Höhe leuchtend schönem Sopran die Rolle der Grete. Dass ihr in der „erzählerischen“Mittellage und in der Deklamation tragende Substanz nicht immer ausreichend zu Gebote steht, macht in ihrem Fall weniger als bei Daniel Kirch, der die unbequeme Partie des Fritz etwas zu gleichförmig im tenoralen Ausdruck und dabei nicht unangestrengt im Profil flach bleibt.
Dafür hat die Grazer Oper für die kleineren Partien prägnante und markante Sängerpersönlichkeiten und einen starken, kraftvollen Chor. An den Rändern passiert da Spannendes. Und ist auch dadurch: eine Ansage als Beginn.
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