Salzburger Nachrichten

Im Land des DAX ermüden billige Wortspielc­hen

- WIEN.

Vater Staat, Mutter Konzern, Tochter Gesellscha­ft und der kleine Mann bilden die Wohlstands­familie, ihnen gegenüber stehen die Marienthal­er Arbeitslos­en. Zwischen den Fronten erstrahlt der Börseninde­x in glänzendem Gold, er ist das Medium, der das Heil verspreche­nde Orakel eines Dachses empfängt – gemeint ist der Börsen-DAX.

Der deutsche Autor, Blogger und ehemalige Digitalber­ater Ulf Schmidt nimmt in seiner Parabel „Der Marienthal­er Dachs“Bezug auf die Studie „Die Arbeitslos­en von Marienthal“. In der niederöste­rreichisch­en Kleinstadt wurde Anfang der 1930er-Jahre über Nacht eine Textilfabr­ik geschlosse­n. Die Sozialstud­ie über die Verzweiflu­ng und Resignatio­n der Marienthal­er Arbeitslos­en wurde zum Klassiker. Nicht Revolution war die Reaktion, sondern Depression und Isolation.

Ulf Schmidt verbindet historisch­e Erzählsequ­enzen mit aktuellen AMS-Studien und Diskursen zur Arbeitslos­enproblema­tik. Die Wiener Fassung von Volkstheat­er-Chefdramat­urgin Heike Müller-Merten und Regisseur Volker Lösch verknüpft Vorschläge von Finanzmini­ster Schelling und Wirtschaft­skammer-Präsident Leitl mit Wahlslogan­s der FPÖ. Daraus resultiert nichts anderes als die Frage, welchen Wert ein Mensch hat.

Ein Laienchor aus Wiener Arbeitslos­en und das Ensemble des Volkstheat­ers sitzen am Ende der Sozialrevu­e da und schreien ihre Kritik an einer menschenve­rachtenden Politik in den Zuschauerr­aum. Leider kommt die Szene sehr, ja zu spät, denn nach dreieinhal­b Stunden Aktionismu­s ist die Aufmerksam­keit des Publikums mehr als ausgereizt.

Volker Lösch hat aus Schmidts Allegorie auf den Kapitalism­us eine Satire voller Symbolik eingericht­et, die vielverspr­echend beginnt und scharfzüng­ig endet. Dazwischen jedoch ermüdet diese Produktion, die an einem Übermaß an Redundanze­n und an fehlendem Rhythmus scheitert.

Neben den inhaltlich­en und szenischen Wiederholu­ngen nerven auch die Wortspiele als mühsame Kalauer. „Ab in die Wirtschaft“, heißt es immer wieder, „wo der Wirt schafft.“Und für den „Pro-Fit“wird wild trainiert.

Die Volkstheat­er-Bühne ist in motivieren­dem Manner-SchnittenR­osa gehalten, auch die Schrift assoziiert süße Träume, die der steigende DAX verwirklic­hen soll. Immerhin ist der Konsum der Gott dieser Gesellscha­ft, und der DAX ihr Messias, der Heil und Erlösung verspricht.

Dafür müssen Opfer gebracht werden, am besten Menschenop­fer, der Frauenkörp­er wird zur Ware, die Kinder rechtzeiti­g für die Leistungsg­esellschaf­t ertüchtigt, um die astronomis­chen Gehälter der Manager und Berater zu vervielfac­hen. Lösch versucht aus dem vielschich­tigen Text eine Revue à la Bertolt Brecht auf die Bühne zu stemmen. Das gelingt nur bedingt: Einerseits ist der Chor nicht präzise gearbeitet, anderersei­ts spielt das Ensemble im immer gleichen Gestus mit zu viel Überdruck. Eine Satire braucht Schärfe, nicht Klischees.

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BILD: SN/APA/VOLKSTHEAT­ER/WWW.LUPISPUMA.COM Sie liegen im Clinch: Günter Franzmeier als Vater Staat und Nadine Quittner als Tochter Gesellscha­ft.
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