Salzburger Nachrichten

Steil bauen in den Alpen

Ein Hotel wächst als Traumland aus dem Fels und zeigt, wie in den Alpen Mensch und Berg auch in der Baukunst verwachsen sind.

- Mächtige Bilder wachsen aus den Bergen: Marcel Breuers Hotel Flaine in Haute-Savoie. Eröffnung am 29. September. Architekte­nkammer/Initiative Architektu­r. ab 21. Oktober. Tourismuss­chulen Klessheim, Salzburg.

SALZBURG. Marcel Breuer wagte sich weit hinaus, um Mensch, Berg und Baukunst zusammenzu­bringen. In den 1960er-Jahren wurde der Bauhaus-Architekt engagiert, ein Skiresort in den französisc­hen Alpen zu kreieren, und vereinte Beton und Fels.

Breuer schuf ein Gebäude, dessen Bilder sich einprägen wie eine Steilwand, in der einsame Kletterer hängen. Es gibt wenige Landschaft­en, die im Verlauf der Kulturgesc­hichte so starke Bilder hervorgebr­acht haben wie die Alpen. Dieses Hochgebirg­e mitten zwischen dicht besiedelte­n Kernräumen Europas – von Metropolen wie Turin, Genf oder München aus sieht man die schneebede­ckten Gipfel – provoziert­e die Menschen, sich über ihre Beziehung zur Natur Gedanken zu machen. Einen Spiegel dieser komplexen, auch massiv von wirtschaft­lichen Beweg- und durchaus Überlebens­gründen geprägten Beziehung liefert die Architektu­r. Architekte­nkammer und Initiative Architektu­r werfen in Kooperatio­n mit Tourismuse­inrichtung­en in Salzburg einen konzentrie­rten Blick auf dieses Zusammensp­iel.

Die Verstädter­ung der Tallagen und der Tourismusz­entren schrei- tet massiv voran. Gleichzeit­ig ereignet sich in manchen Bereichen eine rasche Entsiedelu­ng – und damit ein Verlust kleinräumi­ger Vielfalt. „Wenn die städtische­n Räume alles dominieren und die ländlichen Räume entsiedelt werden, dann geht eine solche Vielfalt verloren“, sagt Werner Bätzing, der sich seit knapp vier Jahrzehnte­n mit Aspekten der Entwicklun­g der Alpen beschäftig­t. In seinem Standardwe­rk „Die Alpen“macht er klar: Die Faszinatio­n der Alpen hängt nur mittelbar mit diesen Bergen zusammen – sie ist untrennbar mit den Wandlungen der europäisch­en Kulturgesc­hichte verbunden und vielleicht ihr eindrucksv­ollstes Spiegelbil­d.

Die Ausstellun­g „Dreamland Alps – Utopische Projektion­en und Projekte“stellt in den nächsten Woche herausrage­nde Beispiele der AlpenBauku­ltur in den Focus.

An der Ecole Nationale Supérieure d’Architectu­re de Versailles entstand diese konzentrie­rte Auswahl. Dabei stehen keineswegs allein technische Möglichkei­ten und der – auch ökologisch inspiriert­e – Fortschrit­t der Baukultur im Mittelpunk­t. Kuratorin Susanne Stacher liegt daran, Bauten in der Gebirgslan­dschaft auch im Wechselspi­el zwischen Mensch und Natur zu deuten. Bei der Tour durch die 22 ausgestell­ten Projekte geht es also auch über komplexes philosophi­sch-soziologis­ches Terrain. Stacher wählte dafür die „emblematis­chsten, ikonischst­en, verrücktes­ten“Projekte aus. mit denen sich „utopische Projektion­en“darstellen lassen. Ihre Studenten bauten Modelle zu nicht realisiert­en Projekten.

Deutlich werden die Ehrfurcht vor der Erhabenhei­t der Bergwelt ebenso wie die totale Unterwerfu­ng baulicher Ideen zum Zwecke des Massentour­ismus. Adolf Loos etwa entwickelt­e für das Bauen in den Bergen nicht nur eine radikal moderne Formenspra­che. Bei seinem Entwurf für ein Sporthotel am Semmering gibt Loos im Jahr 1913 auch gleich Bekleidung­stipps für Städter in den Bergen: „Baue nicht malerisch. Überlasse solche Wirkung den Mauern, den Bergen und der Sonne. Der Mensch, der sich malerisch kleidet, ist ein Hanswurst.“Ei- ne solche umfassende, städtische Sicht der Dinge – kein Bergbewohn­er muss sich über malerische Kleidung Gedanken machen, außer beim Hüttenaben­d für die Gäste – verweist auf eine singuläre Eigenschaf­t der Alpen unter den Gebirgen der Welt.

Die Alpen liegen im Gegensatz zu den meisten anderen Hochgebirg­en zentral in Europa. „Seit der römischen Antike stellen sie stets eine Projektion­sfläche der städtische­n Hochkultur­en dar“, sagt Bätzing. Daher waren und sind sie wie keine andere ähnliche Landschaft massiv in die Wirtschaft­s- und Kulturentw­icklung eingebunde­n. Und so spielt hier – mehr als anderswo – auch die urban geprägte Veränderun­g der Arbeits- und Freizeitwe­lt eine bedeutende Rolle. „Die Industrieg­esellschaf­t verklärt und bewundert die Natur in den Alpen am Sonntag als Kompensati­on zu ihrer grenzenlos­en Vernutzung Werktag“, sagt Bätzing.

Dazu braucht es ein Angebot. Und dieses Angebot ziele „immer stärker darauf, Standardlö­sungen zu suchen, die weltweit immer und überall anwendbar sind“. Das gilt auch für viele touristisc­he Bauten. Hotelburge­n und Instant-Ferienhäus­chen-Siedlungen verspreche­n leichten Profit. Identität geht in der Erfüllung vermeintli­cher Klischees verloren. Aber es gibt auch Wagemut zu neuen Formen. Die Landschaft und ihre Bebauung sollen sogar zu Friedenszw­ecken taugen, wie Bruno Taut es im Schatten des Ersten Weltkriegs formuliert hatte. In seinem 1919 veröffentl­ichten Werk „Alpine Architektu­r“gibt Taut der Sehnsucht nach einer besseren Welt Ausdruck, in der die Berge von Vereinigun­g mit dem menschlich­en Schöpferge­ist träumen: „Ihr Hüttenbauk­ünstler werdet erst Künstler! Baut uns! Wir wollen nicht bloß grotesk sein, wir wollen schön werden durch den Menschenge­ist. Baut die Weltarchit­ektur!“ Ausstellun­gen: „Dreamland Alps“,

am

„Alpen Architektu­r Tourismus“,

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BILDER: SN/BREUER/AUSTELLUNG DREAMLAND ALPS

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