Steil bauen in den Alpen
Ein Hotel wächst als Traumland aus dem Fels und zeigt, wie in den Alpen Mensch und Berg auch in der Baukunst verwachsen sind.
SALZBURG. Marcel Breuer wagte sich weit hinaus, um Mensch, Berg und Baukunst zusammenzubringen. In den 1960er-Jahren wurde der Bauhaus-Architekt engagiert, ein Skiresort in den französischen Alpen zu kreieren, und vereinte Beton und Fels.
Breuer schuf ein Gebäude, dessen Bilder sich einprägen wie eine Steilwand, in der einsame Kletterer hängen. Es gibt wenige Landschaften, die im Verlauf der Kulturgeschichte so starke Bilder hervorgebracht haben wie die Alpen. Dieses Hochgebirge mitten zwischen dicht besiedelten Kernräumen Europas – von Metropolen wie Turin, Genf oder München aus sieht man die schneebedeckten Gipfel – provozierte die Menschen, sich über ihre Beziehung zur Natur Gedanken zu machen. Einen Spiegel dieser komplexen, auch massiv von wirtschaftlichen Beweg- und durchaus Überlebensgründen geprägten Beziehung liefert die Architektur. Architektenkammer und Initiative Architektur werfen in Kooperation mit Tourismuseinrichtungen in Salzburg einen konzentrierten Blick auf dieses Zusammenspiel.
Die Verstädterung der Tallagen und der Tourismuszentren schrei- tet massiv voran. Gleichzeitig ereignet sich in manchen Bereichen eine rasche Entsiedelung – und damit ein Verlust kleinräumiger Vielfalt. „Wenn die städtischen Räume alles dominieren und die ländlichen Räume entsiedelt werden, dann geht eine solche Vielfalt verloren“, sagt Werner Bätzing, der sich seit knapp vier Jahrzehnten mit Aspekten der Entwicklung der Alpen beschäftigt. In seinem Standardwerk „Die Alpen“macht er klar: Die Faszination der Alpen hängt nur mittelbar mit diesen Bergen zusammen – sie ist untrennbar mit den Wandlungen der europäischen Kulturgeschichte verbunden und vielleicht ihr eindrucksvollstes Spiegelbild.
Die Ausstellung „Dreamland Alps – Utopische Projektionen und Projekte“stellt in den nächsten Woche herausragende Beispiele der AlpenBaukultur in den Focus.
An der Ecole Nationale Supérieure d’Architecture de Versailles entstand diese konzentrierte Auswahl. Dabei stehen keineswegs allein technische Möglichkeiten und der – auch ökologisch inspirierte – Fortschritt der Baukultur im Mittelpunkt. Kuratorin Susanne Stacher liegt daran, Bauten in der Gebirgslandschaft auch im Wechselspiel zwischen Mensch und Natur zu deuten. Bei der Tour durch die 22 ausgestellten Projekte geht es also auch über komplexes philosophisch-soziologisches Terrain. Stacher wählte dafür die „emblematischsten, ikonischsten, verrücktesten“Projekte aus. mit denen sich „utopische Projektionen“darstellen lassen. Ihre Studenten bauten Modelle zu nicht realisierten Projekten.
Deutlich werden die Ehrfurcht vor der Erhabenheit der Bergwelt ebenso wie die totale Unterwerfung baulicher Ideen zum Zwecke des Massentourismus. Adolf Loos etwa entwickelte für das Bauen in den Bergen nicht nur eine radikal moderne Formensprache. Bei seinem Entwurf für ein Sporthotel am Semmering gibt Loos im Jahr 1913 auch gleich Bekleidungstipps für Städter in den Bergen: „Baue nicht malerisch. Überlasse solche Wirkung den Mauern, den Bergen und der Sonne. Der Mensch, der sich malerisch kleidet, ist ein Hanswurst.“Ei- ne solche umfassende, städtische Sicht der Dinge – kein Bergbewohner muss sich über malerische Kleidung Gedanken machen, außer beim Hüttenabend für die Gäste – verweist auf eine singuläre Eigenschaft der Alpen unter den Gebirgen der Welt.
Die Alpen liegen im Gegensatz zu den meisten anderen Hochgebirgen zentral in Europa. „Seit der römischen Antike stellen sie stets eine Projektionsfläche der städtischen Hochkulturen dar“, sagt Bätzing. Daher waren und sind sie wie keine andere ähnliche Landschaft massiv in die Wirtschafts- und Kulturentwicklung eingebunden. Und so spielt hier – mehr als anderswo – auch die urban geprägte Veränderung der Arbeits- und Freizeitwelt eine bedeutende Rolle. „Die Industriegesellschaft verklärt und bewundert die Natur in den Alpen am Sonntag als Kompensation zu ihrer grenzenlosen Vernutzung Werktag“, sagt Bätzing.
Dazu braucht es ein Angebot. Und dieses Angebot ziele „immer stärker darauf, Standardlösungen zu suchen, die weltweit immer und überall anwendbar sind“. Das gilt auch für viele touristische Bauten. Hotelburgen und Instant-Ferienhäuschen-Siedlungen versprechen leichten Profit. Identität geht in der Erfüllung vermeintlicher Klischees verloren. Aber es gibt auch Wagemut zu neuen Formen. Die Landschaft und ihre Bebauung sollen sogar zu Friedenszwecken taugen, wie Bruno Taut es im Schatten des Ersten Weltkriegs formuliert hatte. In seinem 1919 veröffentlichten Werk „Alpine Architektur“gibt Taut der Sehnsucht nach einer besseren Welt Ausdruck, in der die Berge von Vereinigung mit dem menschlichen Schöpfergeist träumen: „Ihr Hüttenbaukünstler werdet erst Künstler! Baut uns! Wir wollen nicht bloß grotesk sein, wir wollen schön werden durch den Menschengeist. Baut die Weltarchitektur!“ Ausstellungen: „Dreamland Alps“,
am
„Alpen Architektur Tourismus“,