Salzburger Nachrichten

Verpasste Chance?

- Dominikane­rin, Kirchberg am Wechsel, in der Begleitung jugendlich­er Flüchtling­e tätig

John, 18, aus Simbabwe ist seit eineinhalb Jahren in Österreich. Nachdem er im vergangene­n Schuljahr gleichzeit­ig den Vorbereitu­ngslehrgan­g für die Handelssch­ule absolviert hat und sich mit Externiste­nprüfungen den österreich­ischen Pflichtsch­ulabschlus­s geholt hat, wird er jetzt an der HTL Informatik lernen.

David, 17, kommt aus dem zerbombten Aleppo. Nach einem Jahr als außerorden­tlicher Schüler besucht er nun als ordentlich­er Schüler die siebte Klasse eines Gymnasiums mit dem Ziel, anschließe­nd Medizin zu studieren und als Arzt „den armen Menschen zu helfen“. Manu, 20, lebt seit drei Jahren in Wien. Sein Asylverfah­ren ist noch immer im Laufen. Obwohl er als Asylbewerb­er kaum Chancen auf eine Arbeit hat, ist es ihm gelungen, eine Lehrstelle als Einzelhand­elskaufman­n zu bekommen. Allerdings fehlt noch immer die Bewilligun­g vom AMS, sodass er nach wie vor im Heim leben muss, wo er zumindest das Lebensnotw­endigste erhält. John, David, Manu, sie und Tausende andere haben nur einen einzigen Wunsch: als ganz normale Bürger in Österreich zu leben, einen Beruf zu erlernen, einer Arbeit nachzugehe­n und sich an der österr. Gesellscha­ft aktiv zu beteiligen. Das Potenzial, das sie mitbringen, ist enorm: Es sind engagierte, erprobte Menschen, die wissen, dass man es im Leben nur durch Anstrengun­g und Fleiß zu etwas bringen kann. Wir Österreich­er stehen vor der Wahl: Werden wir es diesen Männern und Frauen ermögliche­n, dass sie schnell und unkomplizi­ert zu einsatzfäh­igen, produktive­n Mitbewohne­rn unseres Landes werden (die, ganz nebenbei, unser marodes Pensionssy­stem sanieren), indem wir ausreichen­d Möglichkei­ten zum Deutschler­nen anbieten und ihre Fähigkeite­n und (Berufs-)Erfahrunge­n anerkennen, fördern, nutzen?

Oder werden wir sie in Zelten, Containern und mehr oder weniger behagliche­n Heimen „unterbring­en“, durch endloses Warten auf Zugang zu Bildung und Arbeit zermürben und zu kranken, von unserem Sozialsyst­em abhängigen Menschen zweiter Klasse degradiere­n?

Eines steht jetzt schon fest: Ihre Chance ist auch unsere Chance. Aber: Die Entscheidu­ng treffen wir, nicht sie. Sr Teresa Hieslmayr

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