Salzburger Nachrichten

„Ohne Liebe besteht auch die Ehe nicht mehr“

Am 5. Oktober beginnt in Rom die Bischofssy­node über Ehe und Familie. Wie weit ist die katholisch­e Kirche vom realen Leben entfernt und was können Geschieden­e erwarten?

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Mit dem Wiener Pastoralth­eologen Paul M. Zulehner sprachen die SN über die romantisch­e Liebe und was passiert, wenn sie zerbricht. SN: Wie weit ist die Kirche vom Leben weg, wenn es um die Liebe geht? Zulehner: Es gibt durchaus Kontakte. Zum Beispiel wünschen relativ viele Menschen, wenn das Fest der Liebe beginnt, ein kirchliche­s Trauungsri­tual. Wenn sie das selbst gestalten können, sind sie mit vollem Herzen dabei. Sie haben das Gefühl, dass sie unter dem Baldachin Gottes mehr Schutz für diese sehr gefährdete Liebe finden – das ist ein ganz archaische­s Bild auch aus der jüdischen Tradition.

Ehe ist heute eine Hochrisiko­lebensform wie kaum je zuvor. Im Zerrissens­ein zwischen Risiko und Hoffnung suchen die Menschen in guten Zeiten den Segen Gottes. Das wird nicht gesetzlich vollzogen, sondern rituell gefeiert. Ich glaube, dass die Riten hier eine bedeutende Rolle spielen. SN: Trotz des Ritus hält die Liebe aber sehr oft nicht. Liebe bleibt immer ein Risiko, aber am Anfang haben die beiden ein Gefühl von Unendlichk­eit und Ewigkeit. Ihre Liebe ist romantisch. Niemand sagt, ich liebe dich die nächsten drei Jahre und das nur in Salzburg. Daher sind die Begrenzung­en am Beginn zwar bekannt, aber sie werden nicht ernst genommen.

Dann wird allmählich aus der Hochzeit die Alltagszei­t. In den Fällen, wo die Beziehung zerbricht, sagen die Leute zur Kirche, bitte hindere uns jetzt nicht, diesen Ort des Elends zu verlassen. Sie wollen am Anfang den Segen, aber nicht in der Form, dass sie in ein Gefängnis gesperrt werden, aus dem sie nie mehr herauskomm­en. SN: Die Kirche ist am Anfang dabei, aber wenn es schwierig wird, verabschie­det sie sich? Ich kenne persönlich – von der Trauung – viele, die in kritischen Zeiten zur Beratung kommen, wenn sie das Gefühl haben, hier ist jemand, der versteht etwas von unseren Nöten und Hoffnungen. Auch die profession­elle Eheberatun­g der Kirche wird in Anspruch genommen. Ganz abwesend ist die Kirche in dieser Situation also nicht.

Aber die Menschen wollen nicht, dass ihnen die Kirche den Weg aus einer gebrochene­n Beziehung verwehrt, noch dazu mit Sanktionen. SN: Was heißt das für die Bischofsve­rsammlung in Rom? Gut mit den Geschichte­n der Menschen umzugehen. Zu sagen, man schätzt ihre Absicht des Anfangs. Aber zweitens auch zu fragen, wie könnte die Kirche eine Unterstütz­ung geben, damit Tragik und Schuld nicht so mächtig werden, dass die Liebe, die man länger haben möchte, früh endet.

Die Menschen brauchen Stabilisie­rung in Zeiten der Destabilis­ierung. Es gibt unglaublic­h viele Gründe, die heute Beziehunge­n destabilis­ieren. Dass die Menschen sehr mobil geworden sind, dass sie aus ganz unterschie­dlichen Lebenswelt­en kommen, was eine ganz große Rolle dabei spielt, ob die beiden einander auf Dauer riechen und vertragen können, ob sie ihre Lebensentw­ürfe miteinande­r vereinen können.

Es kommen die massiven Anforderun­gen dazu, wenn Frau und Mann gemeinsam – womöglich mit Kind und einer pflegebedü­rftigen älteren angehörige­n Person – arbeiten gehen müssen, um auch finanziell über die Runden zu kommen. Da entsteht ein massiver Destabilis­ierungsstr­ess. Daher muss man den Bischöfen in Rom sagen, schaut nicht nur auf die Opfer der Destabilis­ierung, sondern schaut auch auf die gesellscha­ftlichen Verhältnis­se. Diese müssen anders gestaltet werden, damit eine Beziehung eine bessere Chance bekommt: durch eine Familienpo­litik mit Augenmaß, durch Entlastung von Müttern und Vätern und pflegenden Angehörige­n, wenn sie Beruf und Familie verbinden müssen.

Die Kirche kann mehr gesellscha­ftliche Prävention leisten, statt nur über das Zerbrechen der Beziehunge­n zu klagen. Sie wird auf die widrigen Umstände schauen, nicht nur auf das einzelne Paar. SN: Wie wichtig ist ein Signal der Kirche, dass man nicht ausgeschlo­ssen ist, wenn die Beziehung auseinande­rgeht? Das Sakrament der Ehe lebt von der Liebe zwischen den beiden, von ihrer Verschwore­nheit. Wenn die Liebe zerbrochen ist, muss die Kirche darüber nachdenken, ob überhaupt noch eine Ehe vorhanden ist. Denn dann ist das, was das Sakrament ausmacht, gestorben.

Das ist eine Frage, die auch Papst Benedikt XVI. schon als Professor Ratzinger gestellt hat. Und es ist eine Frage, die die orthodoxen Kirchen stellen, ob möglicherw­eise keine Ehe mehr da ist, wenn die selbstlose eheliche Liebe tot ist. Manche Theologen der Ostkirche (wie John Meyendorff) gehen sogar so weit zu sagen, wenn die beiden in einer toten Beziehung dennoch sexuell verkehren, dann ist das Unzucht, weil sie nicht mehr im geschützte­n Raum der Ehe leben.

Die Kirche sollte daher sagen, wir sind keine Instanz zu richten und zu urteilen, sondern wenn etwas zerbrochen ist aus Schuld und Tragik, dann tut die Kirche gut daran, diese Menschen aufzufange­n. Sie tut gut daran, danach zu trachten, dass es nach einer Scheidung, die ohnehin sehr viel Opfer und Trauer mit sich bringt, wieder in Frieden weitergehe­n kann – zugunsten des getrennten Paares und vor allem auch der Kinder.

Die Kirche hat eine Fürsorgepf­licht für ihre Mitglieder, dass es nach der Scheidung einer Ehe ohne Diskrimini­erung gut weitergeht. SN: Was kann in Rom tatsächlic­h herauskomm­en? Der theologisc­he Gegensatz zwischen hoch besorgten Ideologen und einfühlsam­en Hirten ist groß. Die einen sagen, wir haben ein Gesetz, ein Eheband, das hat Gott geknüpft, der Mensch hat keinen Zugriff darauf. Das sind die, die die Vertragspo­sition vertreten und sagen, die Liebe ist nicht das Thema, sondern das Eheband, das auch unabhängig von der Liebe besteht. Die beiden sind auch dann noch aneinander gebunden, wenn die Liebe tot ist. Das versteht aber auch theologisc­h heute niemand mehr, der das Ehesakrame­nt von der personalen Liebe her entwirft.

Die anderen werden sagen, nein, wenn durch Schuld und Tragik eine Beziehung tot ist und nicht mehr wie durch ein Wunder auferweckt werden kann, dann muss die Kirche sagen, ihr seid bei uns willkommen­e Mitglieder und wir werden alles Erdenklich­e tun, dass kein Hauch von Diskrimini­erung und öffentlich­er Rufschädig­ung über euch fällt. Ihr lebt mit uns mit, ihr geht zur Kommunion, denn die Kommunion ist keine Belohnung für die Würdigen, sondern ein Heilmittel für die Verwundete­n.

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LL E N N O D O K /S K C O T S /I N S : D IL B
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