Die Kritik an der Zentralmatura flammt wieder massiv auf
Auf den Einzelnen zugeschnittene Konzepte werden immer wichtiger.
Nachdem die Zentralmatura für viele Schüler zur unüberwindbaren Hürde zu werden scheint, sehen sich Bildungsexperten in ihrer Systemkritik bestätigt. Sie sprechen von Fiktion, dass in allen Schulen exakt derselbe Unterricht stattfinde und alle Schüler gleich gut auf die Matura vorbereitet würden. Wie berichtet, haben 2600 von 20.000 Schülern (13 Prozent), die im Frühjahr zur Matura antraten, noch kein Reifezeugnis. „Sie haben acht Jahre in den Schulabschluss investiert und scheitern an der letzten Hürde. Das ist auch volkswirtschaftlich kein gutes Renommee“, sagt der Salzburger Bildungsforscher Günter Haider.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist so alt wie die Menschheit. Die Antworten wurden im größten Teil der Geschichte von göttlichen Geboten abgeleitet. In Anbetracht des Bedeutungsverlustes der großen Religionen werden künftig allgemein verbindliche Sinnkonzepte immer unwichtiger und individuell passende Sinndeutungen immer wichtiger.
An diese Entwicklung glauben auch 58 Prozent der repräsentativ befragten Österreicherinnen und Österreicher. Besonders häufig wird dieses Meinungsbild von Österreichs Frauen und von den 30- bis 44-Jährigen vertreten. Vorläufer für diesen modernen Sinndiskurs diesseits von Himmel und Hölle gab es freilich schon in der Antike. Man denke an den griechischen Philosophen Epikur mit seiner Lehre vom sinnerfüllten Genuss des Lebens im Hier und Jetzt oder an die im Altertum verbreitete Denkschule der Stoiker mit ihrem irdischen Streben nach Wissen, Weisheit, Genügsamkeit und Gelassenheit.
Über Jahrhunderte trat diese weltliche Sinnsuche in den Hintergrund und die kirchlich vorgegebene Sinnfindung in den Vordergrund. Erst als zu Beginn der Neuzeit unbekannte Länder entdeckt und zukunftsweisende Techniken erfunden wurden, erweiterte sich der Horizont vieler Menschen. Die von den Ideen der Aufklärung getragene Französische Revolution führte dazu, dass das Recht auf freie Wahl eigener Lebensziele und -stile staatlich garantiert wurde. Diese liberale Logik setzte sich auf Dauer in vielen Ländern der Welt durch.
Dennoch haben religiöse und ideologische Monopolansprüche auch heute noch das Potenzial für Terror, Mord und Kriege. Dies wird sich erst ändern, wenn die große Mehrheit der Menschen und Mächte auf unserem Planeten akzeptiert, dass jeder und jede über den Sinn des eigenen Lebens selbst entscheiden darf.
Österreich 2033
Reinhold Popp (Univ.-Prof., Zukunftsforscher) und Ernestine Berger (Institut für Grundlagenforschung).