Truthähne, Traditionen und Traumgagen
Die Erntedankfeste in der Finanzindustrie müssen künftig bescheidener ausfallen. Der Bonus wird immer öfter zum Malus.
Thanksgiving ist vorüber, die Truthähne sind verspeist, bis auf zwei glückliche Exemplare, die US-Präsident Barack Obama dieser Tage begnadigt hat. Er folgt damit einer Tradition, die John F. Kennedy begründete, als er 1963 das vom Verband der Truthahnzüchter ins Weiße Haus gelieferte Federvieh zurückschickte. Den Showact der Begnadigung im Rosengarten führte George Bush 1989 ein. Obama kam seiner präsidentiellen Pflicht nach, machte aber deutlich, dass er jenen, „die das für eine alberne Tradition halten, nicht widerspreche“.
Apropos Tradition. Die will auch, dass der vorweihnachtliche Einkaufswahn in den USA mit dem auf Thanksgiving folgenden Tag beginnt. Black Friday wird er genannt, um den Namen ranken sich Legenden. Eine davon erklärt ihn damit, dass es der Tag ist, ab dem die Händler Gewinne machten, also von den roten in die schwarzen Zahlen kommen. Mit roten Zahlen ist man in Österreich bestens vertraut, vor allem im Staatshaushalt. Weil dort traditionell chronische Geldnot herrscht, will der Finanzminister bekanntlich dafür sorgen, dass es ab nächstem Jahr öfter in der Staatskasse klingelt. Dazu muss es freilich zuvor in den Kassen der Händler klingeln, die alle verpflichtet werden, eine Registrierkasse anzuschaffen. Die Regierung hegt große Hoffnungen, dass sie so mit der unschönen Tradition Schluss machen kann, dass Geld am Fiskus vorbeigeschleust, also schwarz verdient wird. Und das nicht nur an schwarzen Freitagen, sondern jeden Tag.
Thanksgiving feiern in den USA nicht nur die Familien, den Brauch, die eingefahrene Ernte zu feiern, kennt man auch in der Finanzindustrie. Dort ist das Erntedankfest die jährliche Auszahlung der Boni, die im Investmentbanking lange Tradition hat. Manchmal muss man mit Traditionen aber auch aufräumen. Dieser Ansicht ist ausgerechnet der neue Vorstandschef der Deutschen Bank, John Cryan. „Ich glaube, dass die Leute im Bankensektor zu viel Geld verdienen“, sagte er bei einer Konferenz und übte Kritik an der immer noch üblichen Praxis, Banker mit Geld zu überschütten. Das müsse sich ändern. Manche Vertreter der Branche glaubten immer noch, sie hätten ein Recht auf außergewöhnlich hohe Summen, weil sie mit dem Geld anderer Leute spielten, sagte Cryan. Führt man sich vor Augen, wie oft bei diesem Spiel die Bank gewinnt, aber nicht die Kunden, kann man ihm nur zustimmen.
„Amerika ist ein Land der zweiten Chancen“, sagte Obama, als er die Truthähne Abe und Honest in die Freiheit entließ, „die beiden haben eine zweite Chance verdient.“Gestehen wir Investmentbankern und anderen überbezahlten Managern auch eine zweite Chance zu. Auf dass sie und jene, die sie mit Geld überhäufen, doch noch zur Besinnung kommen.
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