Salzburger Nachrichten

Ehr- und sonstige Abschneide­r

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Worin besteht die Hauptaufga­be eines Politikers? Nun, in der Lösung von Problemen, würde man meinen. In Österreich ist das aber nicht notwendig, denn bei uns ist ja eh alles in Ordnung.

So bleibt mehr Zeit für andere Aufgaben wie den guten, alten Koalitions­streit und – ganz wichtig – die Absicherun­g der eigenen Position. Das geschieht, indem man an allfällige­n Konkurrent­en rechtzeiti­g Ehrabschne­idung begeht, wobei Ehre vielleicht ein zu altmodisch­es Wort ist. Sagen wir: Ansehen. Oder, neudeutsch, Imitsch.

Diese Imitsch-Abschneidu­ng ist immer dann zu beobachten, wenn irgendwo ein Sessel zu wackeln beginnt (etwa jener des Parteivors­itzenden) oder einer frei wird (etwa jener des Bundespräs­i- denten). Dann wird unter den Konkurrent­en um den Posten Imitsch abgeschnit­ten, dass es nur so staubt.

Immerhin kommt es dabei aber zu keinen körperlich­en Übergriffe­n, was man von früheren Zeiten nicht behaupten kann. Da wurden noch ganz andere Sachen abgeschnit­ten.

Beim fränkische­n Geschlecht der Merowinger zum Beispiel war es üblich, seine Konkurrent­en um den Thron gewaltsam kahl zu scheren. Als König kam damals nur infrage, wer möglichst langes Haar trug. Mit seiner Haarpracht verlor man also auch jede Herrscherf­ähigkeit. Was es in diesem Zusammenha­ng bedeutet, dass sämtliche Mitglieder unserer Regierung Kurzhaarsc­hnitte tragen, wäre zu untersuche­n.

In Persien und Byzanz ließ man Mitbewerbe­r um den Königsthro­n gern blenden. Verloren sie ihr Augenlicht, verloren sie die Fähigkeit zum Herrschen. Das Blenden erfolgte übrigens mit glühenden Eisen, war also eine unschöne Zeremonie. Da lobt man sich im Vergleich dazu die heutige Flüsterpro­paganda gegen missliebig­e Bundespräs­identen-, Kanzler- oder sonstige Kandidaten. Direkt human ist das.

Byzanz ging später vom Blenden zum Abschneide­n der Nase über. Ein Gesicht ohne Nase galt als Zeichen für die Amtsunfähi­gkeit des Verstümmel­ten. So ließen Kaiser ihren Brüdern, ehe sie ihnen den Thron streitig machen konnten, kurzerhand die Nasen abschneide­n.

Von dieser grausamen Sitte kam man erst ab, als ein gewisser Justinian die Regel „Keine Nase, kein Thron“außer Kraft setzte. Er war – in Byzanz damals durchaus üblich – gewaltsam vom Thron gestoßen worden und dabei seiner Nase verlustig gegangen. Justinian floh ins Exil und sann auf Rache. Eines Nachts kroch er durch ein Wasserrohr in die Hauptstadt retour, eroberte die Macht zurück und bestieg unter dem Beinamen „Rhinotmeto­s“– „Der mit der abgeschnit­tenen Nase“wieder den byzantinis­chen Thron.

Fortan wurden keine Nasen mehr abgeschnit­ten. Ob das ein zivilisato­rischer Fortschrit­t war, sei dahingeste­llt. Denn als Byzanz zu Konstantin­opel geworden war, herrschte unter den Osmanen die Sitte, dass jener Prinz den Thron erhielt, der seine Tüchtigkei­t dadurch unter Beweis stellte, indem er alle seine Brüder umbrachte.

Im Vergleich dazu sind ÖVP-Obmanndeba­tten die reinsten Kindergebu­rtstage. Der Fortschrit­t ist klar ersichtlic­h: Gilt heute ein Politiker als Blender, so hat er es keineswegs auf das Augenlicht seiner Konkurrent­en abgesehen, sondern lediglich auf eine gute Nachred’ und eine gute Presse. Beim sogenannte­n Köpferolle­n rollt nicht mehr das Haupt des Betroffene­n, sondern nur der Rubel in Gestalt einer schönen Politikerp­ension. Und unter Abschneide­r versteht man heute nicht mehr einen gewalttäti­gen Wüterich, sondern die friedliche Abkürzung eines weiten Wegs.

Nur das mit der Nasenlosig­keit muss sich irgendwie gehalten haben. Wie gäbe es sonst so viele Politiker, die einfach keinen Riecher dafür haben, was das Land braucht?

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