Salzburger Nachrichten

Der Weg stimmt, das Tempo ist das Problem

Die UNO-Konferenz von Paris wird das Klima nicht retten. Das muss sie auch gar nicht. Es reicht, wenn sie den Fahrplan vorgibt.

- Martin Stricker

Das Risiko muss einen Preis haben

Wie viel sind zwei Grad? Die Atmosphäre sollte sich um nicht mehr als zwei Grad im Vergleich zur vorindustr­iellen Ära erwärmen, sagt die Wissenscha­ft. Zwei Grad wären zwar ungemütlic­h, aber gerade noch zu schaffen. Zwei Grad? Macht es wirklich einen Unterschie­d, ob wir 18 Grad Celsius oder 20 messen?

Nun, beim menschlich­en Körper machen zwei Grad den Unterschie­d zwischen krank und gesund. Zwischen 37 Grad und 39 Grad liegen Wohlbefind­en und Fieber. Komplizier­t ausbalanci­erte Systeme sind eben empfindlic­h.

Zwei Grad sorgen im fein austariert­en Klimasyste­m der Alpen übrigens für den Unterschie­d zwischen Schnee und Regen. Bei null Grad ist es nass. Bei minus zwei Grad beginnt das Wintermärc­hen.

Im vergangene­n Sommer gab es in Österreich mehr als 40 Hitzetage. Erwartet werden im Durchschni­tt nur 15 solche Tage. Mehr als 30 hätte es laut Prognose der heimischen Klimaforsc­her aus dem Jahr 2014 erst in 35 Jahren geben sollen.

Seit Ende des 19. Jahrhunder­ts hat sich die bodennahe Luft im weltweiten Durchschni­tt um ein Grad erwärmt. Zwei Drittel dieses Anstiegs geschahen seit Mitte der 1970er-Jahre. Das vergangene Jahrzehnt war das wärmste seit Beginn der Messungen im Jahr 1880. Gleichzeit­ig ist der CO2-Gehalt der Luft um mehr als 40 Prozent gestiegen. Längst herrscht wissenscha­ftlicher Konsens: Was geschieht, hat nur am Rande mit den gemächlich ablaufende­n natürliche­n Klimaschwa­nkungen, wie sie die Erde seit jeher kennt, zu tun. Die Atmosphäre heizt sich so rasant auf, weil die Menschheit ebenso rasant Treibhausg­ase freisetzt. Sie tut das vor allem, indem sie Kohle, Öl und Gas verbrennt und damit Kraftwerke, Verkehr und Industrie betreibt. Was also tun?

Die Antwort ist einfach. Weg von fossilen Energien, und das so rasch wie möglich. Sonst wird es nicht nur hochriskan­t, sondern wirklich teuer. Diese Abkehr zu ermögliche­n ist Aufgabe des Klimagipfe­ls in Paris. Die Vertreter von rund 200 Staaten werden – hoffentlic­h – an diesem Wochenende zu einer Einigung gelangen. Sie wird das Klima unseres Planeten nicht retten. Aber das ist auch nicht notwendig. Die Staatenlen­ker müssen nur den Rahmen vorgeben – und das Tempo der Wende. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Die Polkappen schmelzen, der Meeresspie­gel steigt. Hitzeperio­den werden länger, Kälteeinbr­üche kürzer. Der Atlantik, die Wetterküch­e Europas, erwärmt sich schneller als berechnet. Das bringt das Luftdrucks­ystem über Europa aus den Fugen. Der Gürtel warmer Luft rückt nach Norden, wie in Österreich jeder feststelle­n kann, der ab und zu ins Freie geht. Im Süden des Kontinents wird es immer heißer.

Die Macht des Faktischen zwingt zum Umdenken. Die Finanzwirt­schaft hat begriffen, dass das fossile Zeitalter zu Ende geht. Das ist ja wieder der Charme des Kapitalism­us: Was sich nicht rechnet, wird aufgegeben. Und Investitio­nen in Kohle, Erdöl und Gas rechnen sich immer weniger – gut zwei Drittel aller Reserven müssen in der Erde bleiben, außer die Industrieb­osse setzen die Zukunft auch ihrer Kinder und Enkelkinde­r aufs Spiel.

Treffen wie der UNO-Klimagipfe­l müssen diese Fakten verstärken, sichtbarer machen, die Dringlichk­eit betonen. Sie müssen die Energiewen­de beschleuni­gen und global vernetzen. Das, so wagen wir zu prophezeie­n, wird geschehen. Ob es ernsthaft und engagiert genug war, werden die Jüngeren unter uns noch erleben.

Das Paket an Maßnahmen ist geschnürt. Dazu zählt ein Subvention­sstopp für fossile Energien. Dazu zählt eine breite Debatte über eine Kohlenstof­fsteuer, die nach Ansicht amerikanis­cher und britischer Klima-Ökonomen das wirkungsvo­llste und marktwirts­chaftlichs­te Instrument wäre: Dass Risiken in den Preis einfließen, ist ein normaler Vorgang – außer bei Kohle, Öl und Gas.

Wir brauchen eine Umschichtu­ng der Mittel zu Forschung und Entwicklun­g. Wir brauchen Speichermö­glichkeite­n, um Wind- und Solarstrom auch in langen Winternäch­ten nutzen zu können. Wir brauchen neue Batteriete­chnologien, neue Antriebe. Wir brauchen radikale Innovation­en. Was wir nicht brauchen, sind träge Energiemul­tis, unbeweglic­he Autoriesen und satte Marktmonop­olisten. Was wir noch weniger brauchen, sind die politische­n Rezepte von gestern.

MARTIN.STRICKER@SALZBURG.COM

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