Der Weg stimmt, das Tempo ist das Problem
Die UNO-Konferenz von Paris wird das Klima nicht retten. Das muss sie auch gar nicht. Es reicht, wenn sie den Fahrplan vorgibt.
Das Risiko muss einen Preis haben
Wie viel sind zwei Grad? Die Atmosphäre sollte sich um nicht mehr als zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Ära erwärmen, sagt die Wissenschaft. Zwei Grad wären zwar ungemütlich, aber gerade noch zu schaffen. Zwei Grad? Macht es wirklich einen Unterschied, ob wir 18 Grad Celsius oder 20 messen?
Nun, beim menschlichen Körper machen zwei Grad den Unterschied zwischen krank und gesund. Zwischen 37 Grad und 39 Grad liegen Wohlbefinden und Fieber. Kompliziert ausbalancierte Systeme sind eben empfindlich.
Zwei Grad sorgen im fein austarierten Klimasystem der Alpen übrigens für den Unterschied zwischen Schnee und Regen. Bei null Grad ist es nass. Bei minus zwei Grad beginnt das Wintermärchen.
Im vergangenen Sommer gab es in Österreich mehr als 40 Hitzetage. Erwartet werden im Durchschnitt nur 15 solche Tage. Mehr als 30 hätte es laut Prognose der heimischen Klimaforscher aus dem Jahr 2014 erst in 35 Jahren geben sollen.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts hat sich die bodennahe Luft im weltweiten Durchschnitt um ein Grad erwärmt. Zwei Drittel dieses Anstiegs geschahen seit Mitte der 1970er-Jahre. Das vergangene Jahrzehnt war das wärmste seit Beginn der Messungen im Jahr 1880. Gleichzeitig ist der CO2-Gehalt der Luft um mehr als 40 Prozent gestiegen. Längst herrscht wissenschaftlicher Konsens: Was geschieht, hat nur am Rande mit den gemächlich ablaufenden natürlichen Klimaschwankungen, wie sie die Erde seit jeher kennt, zu tun. Die Atmosphäre heizt sich so rasant auf, weil die Menschheit ebenso rasant Treibhausgase freisetzt. Sie tut das vor allem, indem sie Kohle, Öl und Gas verbrennt und damit Kraftwerke, Verkehr und Industrie betreibt. Was also tun?
Die Antwort ist einfach. Weg von fossilen Energien, und das so rasch wie möglich. Sonst wird es nicht nur hochriskant, sondern wirklich teuer. Diese Abkehr zu ermöglichen ist Aufgabe des Klimagipfels in Paris. Die Vertreter von rund 200 Staaten werden – hoffentlich – an diesem Wochenende zu einer Einigung gelangen. Sie wird das Klima unseres Planeten nicht retten. Aber das ist auch nicht notwendig. Die Staatenlenker müssen nur den Rahmen vorgeben – und das Tempo der Wende. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Die Polkappen schmelzen, der Meeresspiegel steigt. Hitzeperioden werden länger, Kälteeinbrüche kürzer. Der Atlantik, die Wetterküche Europas, erwärmt sich schneller als berechnet. Das bringt das Luftdrucksystem über Europa aus den Fugen. Der Gürtel warmer Luft rückt nach Norden, wie in Österreich jeder feststellen kann, der ab und zu ins Freie geht. Im Süden des Kontinents wird es immer heißer.
Die Macht des Faktischen zwingt zum Umdenken. Die Finanzwirtschaft hat begriffen, dass das fossile Zeitalter zu Ende geht. Das ist ja wieder der Charme des Kapitalismus: Was sich nicht rechnet, wird aufgegeben. Und Investitionen in Kohle, Erdöl und Gas rechnen sich immer weniger – gut zwei Drittel aller Reserven müssen in der Erde bleiben, außer die Industriebosse setzen die Zukunft auch ihrer Kinder und Enkelkinder aufs Spiel.
Treffen wie der UNO-Klimagipfel müssen diese Fakten verstärken, sichtbarer machen, die Dringlichkeit betonen. Sie müssen die Energiewende beschleunigen und global vernetzen. Das, so wagen wir zu prophezeien, wird geschehen. Ob es ernsthaft und engagiert genug war, werden die Jüngeren unter uns noch erleben.
Das Paket an Maßnahmen ist geschnürt. Dazu zählt ein Subventionsstopp für fossile Energien. Dazu zählt eine breite Debatte über eine Kohlenstoffsteuer, die nach Ansicht amerikanischer und britischer Klima-Ökonomen das wirkungsvollste und marktwirtschaftlichste Instrument wäre: Dass Risiken in den Preis einfließen, ist ein normaler Vorgang – außer bei Kohle, Öl und Gas.
Wir brauchen eine Umschichtung der Mittel zu Forschung und Entwicklung. Wir brauchen Speichermöglichkeiten, um Wind- und Solarstrom auch in langen Winternächten nutzen zu können. Wir brauchen neue Batterietechnologien, neue Antriebe. Wir brauchen radikale Innovationen. Was wir nicht brauchen, sind träge Energiemultis, unbewegliche Autoriesen und satte Marktmonopolisten. Was wir noch weniger brauchen, sind die politischen Rezepte von gestern.
MARTIN.STRICKER@SALZBURG.COM