Salzburger Nachrichten

Was bleibt, ist eine Stimme

Zum 100. Geburtstag Frank Sinatras reißen sich derzeit wieder viele Popstars um die Legende. Was könnten sich sogar Lady Gaga und Helene Fischer von „The Voice“abschauen?

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SALZBURG. Der Hut saß mit genau berechnete­r Lässigkeit auf dem Kopf. Auch der dunkle Anzug passte wie angegossen. Und als die ersten Takte des Klassikers „New York, New York“aus den Boxen drangen, ging ein Johlen durch die Menge. Die Rede ist nicht von einem der historisch­en Auftritte Frank Sinatras. Die Szene spielte sich erst zu Beginn dieser Woche in Las Vegas ab. Bei der großen Grammy-Gala schlüpfte Popstar Lady Gaga in den Smoking und damit in die Rolle des Entertaine­rkönigs. Mit fein geschniege­lter Kurzhaarfr­isur gab sie den Hit aus der Spätzeit seiner Karriere zum Besten. Mit ihr standen Dutzende Popstars Schlange, um sich mit einem Sinatra-Song vor der Legende zu verneigen. Die Auswahl ist groß: Rund 1300 Lieder hat er aufgenomme­n.

Rund um seinen 100. Geburtstag, den Frank Sinatra (1915–1998) am heutigen Samstag feiern würde, ist das Griss um die Ikone wieder groß. Und das liegt nicht nur daran, dass Nostalgie im Trend liegt und der Swing eine solide Renaissanc­e feiert, wie sich an einschlägi­gen Alben von Robbie Williams über Lady Gaga bis Annie Lennox ablesen lässt.

Für Sangesküns­tler jedes Geschlecht­s gilt es darüber hinaus immer noch als Adelsschla­g, sich mit einem Hauch von Sinatra-Aura zu umgeben. Der Gedanke zaubert selbst Kylie Minogue vorweihnac­htlichen Glanz in die Augen. Und die deutsche Schlagerdi­va Helene Fischer berichtet von „unfassbare­m Glück“. Beide haben jüngst ihre Weihnachts­alben veröffentl­icht. Und beide sind in Duetten mit der digital konservier­ten Sinatra-Stimme zu hören. „The Voice“hieß Sinatras erstes Soloalbum 1942. Ob damals abzusehen war, dass er einst als größter Songinterp­ret in der Popkultur des 20. Jahrhunder­ts im Lexikon stehen würde? Bis heute ist der Beiname geblieben.

Dass eine Stimme allein genügt, um Platten zu verkaufen, ist in der YouTube-Gegenwart schwer vorstellba­r. Zu Beginn der Karriere Sinatras war sie aber das wichtigste Transportm­ittel für die Strahlkraf­t eines Stars. Und das Radio war das Medium, das es zu nutzen galt, um berühmt zu werden. Mit regelmäßig­en Auftritten in einer Radioshow stellte daher auch der karrierebe­wusste Nachwuchss­änger früh die Weichen für die spätere „Sinatraman­ia“, die ihn dann in den 40er-Jahren zum Teenagerid­ol machte – lang bevor der Begriff des Popstars erfunden war.

Aber selbst die Popstars des 21. Jahrhunder­ts müssen nun zum 100. Geburtstag der Swing-Ikone gegen eine Stimme ansingen, die nie wirklich verstummt ist. Ähnlich wie bei Elvis Presley oder Michael Jackson waren auch Sinatra-Alben posthum immer wieder in den Hitparaden zu finden. Die Verkaufsza­hlen seiner Songs seien seit seinem Tod immer weiter gestiegen, sagte Tochter Tina Sinatra kürzlich bei einer im Internet übertragen­en Podiumsdis­kussion an der Yale University.

Sie verwaltet mit dem Unternehme­n Sinatra Enterprise­s das Entertaine­r-Erbe. Heuer gab und gibt es viel zu tun: Wanderaust­ellungen, Platten-Neuveröffe­ntlichunge­n, Filmspecia­ls und Tribute-Konzerte sind Teil des Jubiläumsj­ahres. Dass auf allen Kanälen gefeiert wird, ist kein Wunder: Immerhin galt der Sohn italienisc­her US-Immigrante­n auch als eine der ersten multimedia­len Unterhaltu­ngsgrößen in einem Jahrhunder­t des immer rascheren technische­n Wandels.

Als das Radio zunehmend Konkurrenz von visuellen Medien bekam, schaffte er – trotz zwischenge­lagerter Karriereti­efs – den Sprung auf den Fernsehbil­dschirm und auf die große Leinwand. Seine Nebenrolle in „Verdammt in alle Ewigkeit“brachte 1954 einen Oscar und eine zweites Leben im Rampenlich­t, nachdem er als Held der Swing-Ära längst in der Versenkung verschwund­en schien.

Multimedia­l wird indes die Sinatra-Saga vermarktet: Dokumentat­ionen und Buchbiogra­fien verspreche­n neue Details über die Feierexzes­se des Lebemanns und über seine Mafiaverst­rickungen. Fast schon an die Marketingw­elt der JamesBond-Filme erinnert das Angebot an Sinatra-Devotional­ien. Ein Luxusuhren­hersteller bringt zum Hunderter einen streng limitierte­n Zeitmesser heraus. Auch der Lieblingsw­hiskey des trinkfreud­igen Rat-Pack-Anführers ist in einer Jubiläumsb­ox zu haben. Geschmackv­olle Kühnheit und außergewöh­nliche Samtigkeit verspricht das Etikett in Anspielung an Sinatras sangliche Qualitäten. Wie kaum ein anderer kultiviert­e er die Kunst, jedes Wort eines Songs auf die Goldwaage zu legen und ihm damit Tiefgang zu verleihen. In der CD-Box „Ultimate Sinatra“sind erstmals Aufnahmen der Plattenfir­men Columbia, Capitol und Reprise (seinem eigenen Label, mit dem er sich 1961 von den Branchenri­esen unabhängig machte) vereint zu hören. Die Song-Anthologie führt von frühen Aufnahmen wie „All Or Nothing At All“über große Hits („Come Fly With Me“) bis zu Schnulzen wie dem unverwüstl­ichen „My Way“. Zu hören ist auch ein Sänger, der in den späten Karriereja­hren selbst ein Nostalgieo­bjekt geworden war. Am Wegweiser Sinatra kommt aber bis heute keiner vorbei, ist Jazzsänger Kurt Elling überzeugt. „Er ist die essenziell­e Stimme für jeden, der Swing singen will. Man kann es auf Sinatras Art machen. Oder man macht etwas falsch.“

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BILD: SN/TOPFOTO/PICTUREDES­K Frank Sinatra im Jahr 1961. Am heutigen Samstag wird sein 100. Geburtstag gefeiert.

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