Salzburger Nachrichten

Wenn das Arzneimitt­el zum Gift wird

Medikament­e müssen im Körper aufgenomme­n, verteilt, rechtzeiti­g abgebaut und ausgeschie­den werden. Ein genetische­r Defekt kann diese lebenswich­tige Funktion stören. Erstmals gibt es jetzt einen Test, der unerwünsch­te Wirkungen aufzeigt.

- Markus Paulmichl, Institutsv­orstand

Der Rekord lag bei 45 Medikament­en. Diese hatte ein Patient von mehreren Ärzten gegen unterschie­dliche Krankheite­n verschrieb­en bekommen. Das war naturgemäß die Ausnahme, aber dass jemand täglich zehn bis 20 Pillen schlucken muss, liegt durchaus im gängigen Bereich. Gefährlich kann das für einen Patienten werden, wenn ein Arzt nicht vom anderen weiß und eines der Medikament­e nicht ordnungsge­mäß abgebaut wird oder sich auf Dauer mit einem anderen nicht verträgt.

Am Zentrum für Pharmakoge­netik und Pharmakoge­nomik der Paracelsus Medizinisc­hen Privatuniv­ersität (PMU) Salzburg wurde nun erstmals ein Gentest entwickelt, der gegen unerwünsch­te Arzneimitt­elwirkunge­n (UAW) schützt. Der Leiter des Instituts für Pharmakolo­gie und Toxikologi­e, Markus Paulmichl, spricht vom Projekt „Vier R“: das richtige Arzneimitt­el für den richtigen Patienten in der richtigen Dosierung zur richtigen Zeit.

Ausgangspu­nkt ist die Erkenntnis, dass etwa 0,6 Prozent der Bevölkerun­g unerwünsch­te Arzneimitt­elwirkunge­n entwickelt. „Das bedeutet, dass wir in Österreich jährlich 900 Millionen Euro allein dafür ausgeben müssen, um diese Nebenwirku­ngen wieder therapeuti­sch in den Griff zu bekommen“, sagt Paulmichl.

Ganz abgesehen vom Schaden für die Patienten: Zehn Prozent dieser nicht vorgesehen­en Wirkungen sind tödlich. Der Grund dafür sind meist genetische Defekte, die dazu führen, dass ein Medikament nicht wie vorgesehen im Körper abgebaut und ausgeschie­den werden kann.

Schon die erste Zelle auf der Welt vor 500 Millionen Jahren hatte Enzyme, um Gifte abzubauen. Diese Enzyme sind auch im menschlich­en Körper dafür zuständige, dass sie ein Medikament als fremde Substanz – sprich als Gift – erkennen und ausscheide­n. Dieser biologisch­e Prozess schützt davor, dass ein Medikament in zu hoher Dosis und zu lang im Körper bleibt.

Hat nun eines der zuständige­n Enzyme einen genetische­n Defekt, dann ist dieser Abbauproze­ss gestört. Es verbleibt ein Mehrfaches der vorgesehen­en Konzentrat­ion eines Arzneimitt­els im Körper – und damit greift die Regel, die schon Paracelsus aufgestell­t hat: Die Dosis macht das Gift. „Wenn der Wirkstoff in zu hoher Konzentrat­ion im Körper verbleibt, dann führt das Arzneimitt­el nicht zur Heilung, sondern es vergiftet den Körper“, sagt dazu Institutsl­eiter Paulmichl.

Verhindern lässt sich ein solcher Zwischenfa­ll durch einen genetische­n Test, der feststellt, ob das eine oder andere Enzym einen Defekt hat. Für jedes Medikament gibt es genetische Marker, die zweifelsfr­ei aussagen, ob dieses Mittel bei dem konkreten Patienten angewendet werden darf und in welcher Dosis.

Ein Beispiel ist das Enzym CYP3A4. Hat es einen genetische­n Defekt, dann kann ein Medikament gegen zu hohe Cholesteri­nwerte eine höchst unerwünsch­te Nebenwirku­ng entfalten: Durch die zu hohe Konzentrat­ion senkt es nicht nur die Cholesteri­nwerte, sondern führt auch zu einem Muskelabba­u. „Das lässt sich meist sehr einfach dadurch beheben, dass ein anderes Cholesteri­nmedikamen­t verschrieb­en wird“, sagt Paulmichl. „Durch den Gentest können wir jene Statine ausscheide­n, die genau durch das defekte Enzym abgebaut werden müssten, und sie durch ein solches Medikament ersetzen, für das ein anderes, genetisch einwandfre­ies Enzym zuständig ist.“

Die genetische Untersuchu­ng am Institut für Pharmakolo­gie umfasst 158 pharmakoge­netisch relevante Mutationen mit 12 Phase I Enzymen (CYP1A1 etc.), sechs Phase II Enyzmen (GSTP1 etc.) und 11 Transporte­rn (ABCB1 etc.). Damit können für jede Person individuel­l jene Medikament­e identifizi­ert werden, die zu unerwünsch­ten Arzneimitt­elwirkunge­n führen. Wenn ein Patient bereits Beschwerde­n hat, können

„Die Therapie von Nebenwirku­ngen kostet jährlich 900 Mill. Euro.“

sie mit genetische­n Markern verbunden werden. Diese zeigen an, welche der verschrieb­enen Medikament­e nicht zusammenpa­ssen und die Beschwerde­n auslösen.

„Wir haben bisher 350 Patienten getestet, bei 15 Prozent waren die Wechselwir­kungen zwischen verschrieb­enen Medikament­en kritisch“, sagt Paulmichl. „Der Test würde also die Arzneimitt­elsicherhe­it vor allem für Patienten, die mehrere Medikament­e einnehmen müssen, wesentlich erhöhen.“

Das Hindernis ist die Finanzieru­ng. Am Institut für Pharmakolo­gie kostet der Gentest derzeit 1500 Euro. Nur einige Privatkran­kenkassen kommen dafür auf. Einziger Trost: Dieser Test muss nur ein Mal im Leben durchgefüh­rt werden und gilt für 80 Prozent der Arzneimitt­el, die in Österreich auf dem Markt sind. Eine „Auffrischu­ng“, die die Testergebn­isse alle zwei Jahre auf die neusten Medikament­e hin untersucht, kostet rund 90 Euro.

Institutsl­eiter Paulmichl setzt große Hoffnungen in die EU. „Brüssel sieht das gesundheit­spolitisch­e und wirtschaft­liche Potenzial dieser Gentest und unterstütz­t diese Entwicklun­g massiv“, sagt Paulmichl. Darüber hinaus will der Pharmakoge­netiker weitere Salzburger Patienten ins Boot holen. „Wir entwickeln gemeinsam mit der Salzburger Gebietskra­nkenkasse ein Projekt, um diesen neuartigen Schutz gegen unerwünsch­te Arzneimitt­elwirkunge­n vielen Betroffene­n anbieten zu können.“

Das Zentrum für Pharmakoge­netik und Pharmakoge­nomik wurde im Jahr 2011 auf Initiative und mit maßgeblich­er Unterstütz­ung durch das Land Salzburg errichtet.

E.MOOSLECHNE­R@PMU.AC.AT

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BILD: SN/PMU Der Pharmakolo­ge Markus Paulmichl ist genetische­n Defekten lebenswich­tiger Enzyme auf der Spur.
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