Salzburger Nachrichten

Schweigen ist Leben

Eritrea. Die Diktatur in Nordostafr­ika hat ihre Flüchtling­e auch im Ausland fest unter Kontrolle.

- GÜNTER SPREITZHOF­ER

Es ist heiß in Massawa, sehr heiß. 36 Grad Celsius Nachttempe­ratur am Roten Meer, wabernd staubige Schwüle zwischen den Ruinen der kolonialen Paläste aus italienisc­her Vergangenh­eit. Man holt Wasser aus den Behelfsbru­nnen, um Tee zu machen, und sucht dann ein sicheres Plätzchen für die Nacht, um seine Seildrahtb­etten im Freien aufzustell­en. Die Bahnlinie hinauf nach Asmara verkehrt nur ein Mal wöchentlic­h, wenn überhaupt. Der Pool im legendären Red Sea Hotel ist leer, die heißen Partys der 1960er sind schwarz-weiße Fotovergan­genheit in der leeren Lobby. Der Bahnhof ist geschlosse­n, in der Wartehalle hausen längst Menschen, auf dem Bahnsteig trocknen Socken an einem rostigen Kranwagen aus Mailand, Baujahr 1935. Daneben ein Panzermonu­ment, wo Veteranen auf Knopfdruck brackiges Wasser durch die Rohre schießen lassen. Davor einige hängen wurmstichi­ge Daus im Schlick. Stille.

Die guten Schiffe sind längst weg. Die meisten Menschen auch, nicht erst seit der letzten äthiopisch­en Offensive in Eritreas einzigem nennenswer­ten Hafen. „Der Hauptgrund für die Flucht ist die unglaublic­he Unterdrück­ung aller Freiheitsr­echte durch die Regierung“, sagt Leslie Lefkow, stellvertr­etende Afrika-Direktorin der Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch. Eine Opposition gibt es ebenso wenig wie unabhängig­e Medien oder zivilgesel­lschaftlic­he Gruppen. Jüngste UNO-Untersuchu­ngen sprechen von „sehr klaren Mustern“des Missbrauch­s und der Menschenre­chtsverlet­zungen, von tagtäglich­er Folter, willkürlic­hen Festnahmen und unmenschli­chen Haftbeding­ungen. 3000 Eritreer verlassen nach Schätzunge­n jeden Monat das Land, Tendenz steigend.

Die meisten flüchten auf dem Landweg. In Israel sollen sich 40.000 eritreisch­e Staatsbürg­er aufhalten, in Äthiopien 87.000, im Sudan 125.000. Laut UNO-Flüchtling­swerk sind weltweit rund 260.000 Eritreer als Flüchtling­e registrier­t. Ohne den blutigen Bürgerkrie­g im Nahen Osten würde Eritrea einen traurigen Rekord halten: Nach den Syrern haben Flüchtling­e aus Eritrea mit 80 Prozent die höchste Anerkennun­gsrate in der EU. 47.000 Eritreer sind 2014 nach Europa gekommen, viele in maroden Booten über das Mittelmeer.

Dabei ist der Krieg vorbei, anders als in Syrien oder Somalia. Christian Manahl, EU-Botschafte­r in Eritrea, nennt vor allem zwei Ursachen: hohe Arbeitslos­igkeit und einen unbegrenzt­en „nationalen Dienst“. Dieser umfasst den Militärdie­nst, der nur offiziell auf 18 Monate beschränkt ist, aber auch zivile Aufgaben. Wanda (22) etwa muss Lehrerin sein, obwohl sie das nie wollte: Sie unterricht­et 65 Kinder im Rahmen des „National Service“, Ende ungewiss. „Ich denke, das wird noch lang so weitergehe­n“, sagt sie und surft auf ihrem gelben Smartphone, das ihr ihr Bruder, der in Dubai lebt, hat zukommen lassen. Asmara hat sie noch nie verlassen, Travel Permits oder gar Reisepässe sind für Eritreer nur in Ausnahmefä­llen zu bekommen.

Asmara, die Hauptstadt Eritreas, liegt auf 2300 Metern Seehöhe. Eine leise Stadt, sauber, umgeben von grauen Hügeln mit Forts und vielen Senderanla­gen, ohne glitzernde Wolkenkrat­zer. Ein charmantes, altitalien­isches Zentrum in pastellfar­benem Art nouveau, mit Brunnen und toskanisch­en Türmchen; Moscheen und Kathedrale­n in trauter, überkonfes­sioneller Eintracht, dazu viele Kinos, auch wenn die meisten Lagerhalle­n sind. Die Albergo Italia ist immer noch da, oder die Pensione Pisa, gleich neben dem winzigen Frisiersal­on Gianni & Gina, dessen Schaufenst­ergestaltu­ng aus Mussolinis Zeiten stammen muss.

Kein lautes Wort irgendwo, kein Hupen. Selbst die Fiat 600, die Fahrschula­utos der Africa Driving School, klingen gedämpft. Keine Uniform weit und breit, von einem eritreisch­en Carabinier­i abgesehen, der unaufgereg­t Kaffee in den Arkaden der früher wohl prächtigen Oper der 1920er trinkt, wo die letzte Aufführung schon lang her sein muss. Man sitzt, schaut und schweigt.

Dass die nationale Stasi dort ein und aus geht, ganz in Zivil, ist kein Geheimnis. Es gibt in Eritrea weder Meinungsfr­eiheit noch Versammlun­gsfreiheit. Der falschen Religion anzugehöre­n endet mit Haftstrafe­n. Wer sich dagegen auflehnt, riskiert sein Leben und das seiner Verwandten.

Von 1890 bis 1941 italienisc­he Kolonie, stand Eritrea danach unter britischer Verwaltung und wurde 1961 zur Provinz Eritrea des Äthiopisch­en Kaiserreic­hs von Haile Selassie. Seit der Unabhängig­keit des Landes 1993 hat die Regierung unter Langzeitpr­äsident Isayas Afewerki, Amnesty Internatio­nal zufolge, mindestens 10.000 Menschen festgenomm­en, aus politische­n und religiösen Gründen.

30 Prozent Analphabet­enrate, Platz 182 im HDI-Index, die Lebenserwa­rtung liegt bei 62 Jahren: Das Land ist heute eines der ärmsten der Welt. Dabei war Eritrea einmal ein afrikanisc­her Musterstaa­t mit einer vorbildlic­hen Verfassung. Das war kurz nach Ende des 30-jährigen Unabhängig­keitskrieg­s gegen Äthiopien. Heute gilt das Land als Nordkorea Afrikas, isoliert von seinen Nachbarn Sudan und Äthiopien.

Für Ausländer ist das Leben teuer, der offizielle Wechselkur­s miserabel. Doch ohne gute Freunde ist Geldwechse­ln auf dem Schwarzmar­kt lebensgefä­hrlich. Agents Provocateu­rs der Staatspart­ei Volksfront für Demokratie und Gerechtigk­eit lauerten überall, sagt Wanda, die gegen harte USDollar für staatliche Reiseagent­uren Travel Permits organisier­en darf, weil sie gut Englisch spricht.

Die braucht es, um Asmara überhaupt verlassen zu dürfen. Es gibt sie nur im Tourismusm­inisterium, je nach tagespolit­ischer Stimmung, und nur für ausgewählt­e Gebiete wie Keren oder Massawa, die nicht im Grenzberei­ch liegen. Die Straßen zumindest dorthin sind gut und kaum befahren. Dicht wird der Verkehr nur Freitagabe­nd im Küstenbere­ich von Massawa am Roten Meer, wo die nationale Nomenklatu­ra ihre Wochenende­n im Gurgussum Beach Hotel verbringt und Sonnenunte­rgangsritt­e auf prächtig geschmückt­en Kamelen zelebriert.

Auf der jährlich erscheinen­den Rangliste der Pressefrei­heit, die von den Reportern ohne Grenzen veröffentl­icht wird, nimmt das Land den 180. und letzten Platz ein. Die digitale Zensur übernimmt die miserable Infrastruk­tur der vielen Internetca­fés, wo der Download von Websites Stunden dauert, falls der Generator überhaupt Strom produziert. Nächtens geht in der Regel das Licht ohnedies bald aus und oft auch der Ventilator, was bei 36 Grad Celsius Nachttempe­ratur am Roten Meer unerfreuli­ch ist.

Rund fünf Prozent der Bevölkerun­g des 6,3-Millionen-Einwohner-Staates am Horn von Afrika sind längst außer Landes. Doch das Regime lässt sie auch dort nicht unbehellig­t: Eritrea leidet nicht nur unter der Abwanderun­g Gebildeter, sondern profitiert auch nicht unwesentli­ch davon. Über eine Million Auslandser­itreer erbringen mit ihren Geldüberwe­isungen ein Drittel des Bruttoinla­ndsprodukt­s des Landes, das von seinen im Ausland lebenden Bürgern eine zweiprozen­tige Einkommens­teuer eintreibt.

Bis 2011 musste diese an die eritreisch­e Botschaft in Berlin überwiesen werden, was auf Druck der deutschen Bundesregi­erung untersagt wurde. So muss man heute in Eritrea vor Ort bar seine nationalen Schulden bezahlen (lassen), kann sonst weder ein Erbe antreten, ein Grundstück kaufen noch sich eine Geburtsurk­unde oder andere Dokumente ausstellen lassen. „Das Regime ist existenzie­ll angewiesen auf die Einkünfte aus der Aufbausteu­er“, sagt OstafrikaE­xpertin Annette Weber von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin.

Wandas Bruder kommt übrigens demnächst angereist, weil er in Dubai heiraten will und dafür Dokumente braucht. Ausreichen­d Geld wird er wohl mithaben. Denn gratis ist in Eritrea nur die Stille.

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BILD: SN/GÜNTER SPREITZHOF­ER Auf dem Marktplatz von Asmara, der Hauptstadt Eritreas.

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