Graue Weihnachten
ICHhabe kürzlich eine Folge „Stahlnetz“im Fernsehen gesehen. Das war körniges Schwarz-Weiß aus den späten Fünfzigerjahren. Mit einer Musik untermalt, die knisternde Spannung aufbaut. Die Handlung knisterte nicht. Sie wäre auch in zehn Minuten erzählt gewesen. Der Kommissar und sein Assistent, mit ihren langen Mänteln klar als Hüter des Gesetzes erkennbar, fuhren zum Schluss im VW Käfer vor. „Halt, Polizei!“Die Gestalt in der Lederjacke ließ ungelenk die Pistole fallen. Festnahme. Zum Abspann wieder die Musik, die den Höllenfürsten frösteln lässt. Das Beste am Film.
Die Kinder schliefen damals schon fest, wenn die Erwachsenen fasziniert Krimi im neuen Medium Fernsehen schauten. Dachten die Erwachsenen. Ich jedenfalls schlief nicht. Wir hatten noch keinen Fernsehapparat und die Eltern verfolgten die Gaunerjagd im Schröderhof, beim Wirt auf der anderen Straßenseite. Die Nachbarin, von mir Tante Joli genannt, besaß einen Schlüssel und schaute mehrmals am Abend bei der Tür herein. Ich stellte mich schlafend. Ich ärgerte mich, weil ich nicht mit zum Schröderhof gehen durfte. Den spannenden Krimi schauen.
Bald hatten wir einen Fernseher. Leute wie Hans Joachim Kulenkampff, Lou van Burg oder Vico Torriani zogen bei uns ein. Dann durfte ich länger aufbleiben. Ich verstand selten warum, wenn die Eltern laut auflachten. Dann „Maigret“mit Rupert Davis. Meine erste Krimiserie. Ich war so was von erwachsen. So lässig wie Kommissar Maigret wollte ich mir auch einmal eine Pfeife anrauchen.
Im Zeitalter von 300 Programmen verirrt sich nicht nur „Stahlnetz“, sondern manchmal auch ein Kulenkampff auf den Bildschirm. Die Vorfreude ist groß und dann . . . Ui, war dieses Quiz langatmig. „Einer wird gewinnen“dauert Stunden, bis es mit den paar Aufgaben endlich so weit ist. Die Witzchen? Na ja. Seltsam, denke ich. Darauf haben wir den ganzen Samstag hingefiebert?
Dazu passt eine Aussage von Meteorologen. Weiße Weihnachten kommen in österreichischen Landeshauptstädten nur alle fünf Jahre vor. Statistisch gesehen. Also habe ich sie als Kind zwei, drei Mal erlebt. Welche Streiche die Erinnerung doch spielt. Zum Glück ist mir noch keine Wiederholung von Maigret untergekommen.