Salzburger Nachrichten

Wie der ehrbare Kaufmann wirtschaft­et

2015 war keine hohe Zeit des ehrbaren Kaufmanns. Wer nach diesem Leitbild sucht und strebt, findet es in Stefan Zweigs Familienge­schichte. Nachhaltig­es Wirtschaft­en entsprach der „ungierigen Natur“seines Vaters.

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Mehr denn je wird jetzt wieder vom Leitbild des ehrbaren Kaufmanns gesprochen. Der Deutsche Industrieu­nd Handelskam­mertag (DIHK) möchte es wieder mit Leben füllen und setzt sich gegen unlauteren Wettbewerb und Korruption ebenso ein wie gegen Produkt- und Markenpira­terie. Die Industrie- und Handelskam­mern haben für Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken, heißt es in § 1 Absatz 1 des IHK-Gesetzes.

Das Leitbild geht auf das frühe Mittelalte­r zurück. Schriftlic­h erscheint der „wahre und ehrliche Kaufmann“erstmals um das Jahr 1340 in Kaufmannsh­andbüchern in Italien. Gesellscha­ftliches Ansehen könne er nur erwerben, wenn er immer gerecht handle, große Weitsicht besitze und seine Verspreche­n einhalte. Auch in der Hanse gaben sich Kaufleute gemeinsame Werte zu einer Zeit, in der eine staatliche Ordnung weitgehend fehlte.

Ursprüngli­ch standen Händler, die zu Fuß unterwegs und überall Fremde waren, im Ruf, betrügen zu wollen. Im frühen Mittelalte­r war es ihnen deshalb ein besonderes Anliegen, das Vertrauen der Städter zu gewinnen. Den eigentlich­en Begriff des „ehrbaren Kaufmanns“prägte der Lübecker Kaufmann und Bürgermeis­ter Hinrich Castorp (1420–1488). Das Leitbild geriet in der Zeit der Industrial­isierung zunehmend in Vergessenh­eit, erlebt aber vor allem in gesellscha­ftlichen Krisenzeit­en eine Renaissanc­e.

Wenn heute vom ehrbaren Kaufmann gesprochen wird, ist das meistens mit einem Verweis auf Thomas Manns Roman „Buddenbroo­ks“verbunden, in dem er den allmählich­en Verfall einer hanseatisc­hen Kaufmannsf­amilie schildert. Der letzte Chef der Firma, Thomas Buddenbroo­k, reißt das Unternehme­n mit Spekulatio­nsgeschäft­en immer tiefer ins Unglück. Er hat die alte Maxime der Buddenbroo­ks („Sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir bey Nacht ruhig schlafen können.“) verletzt und das traditions­reiche Unternehme­n ruiniert.

Diese Geschichte ist hinlänglic­h bekannt. Die von Stefan Zweig weniger. Sie gehört in die aktuelle Debatte, auch weil sie Nachhaltig­keit anders erzählt. Zweig fand für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, in der er aufgewachs­en ist, eine handliche Formel: „Das goldene Zeitalter der Sicherheit“. Er beschreibt den Aufstieg einer jüdischen Familie als ein Leben in der „Einform“– ein einfaches Leben vom Anfang bis zum Ende, ohne Gefahren und Erschütter­ungen, immer im gleichen Rhythmus und am gleichen Ort. Was Generation­en geschaffen hatten, ging nie ganz verloren: „Man musste nur lernen, in größeren Dimensione­n zu denken, mit weiteren Zeiträumen zu rechnen.“

Stress und Hektik hatten in dieser bürgerlich stabilen Welt mit ihren Sicherungs­netzen keinen Platz. Zur Geburt eines Kindes wurde in der Sparbüchse oder bei der Sparkasse ein erster Obolus für den Lebensweg eingezahlt, eine kleine „Reserve für die Zukunft“. Alles blieb in dieser kleinen Welt unverrückb­ar an seinem Platz. Das sichere Gefühl, in der Gegenwart geborgen zu sein, ließ die Menschen sorglos in die Zukunft schauen.

Wer das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns verstehen will, braucht nur einen Blick in Zweigs jüdische Familienge­schichte zu werfen: Während sein Großvater als typischer Vertreter seiner Epoche nur dem Zwischenha­ndel mit Fertigprod­ukten gedient hat, trat sein Vater entschloss­en in die neue Zeit: In Nordböhmen gründete er mit 33 Jahren eine kleine Weberei, die er langsam, mit Bedacht zum erfolgreic­hen Unternehme­n ausbaute.

Stefan Zweig nennt das nachhaltig­e Wirtschaft­en, von dem heute vielfach gesprochen wird, eine „vorsichtig­e Art der Erweiterun­g trotz einer verlockend günstigen Konjunktur“. Das entsprach der „ungierigen Natur“seines Vaters.

Ein Lieblingsw­ort jener Zeit war „solide“. Es wurde schon Jahre vorher von Adelbert von Chamisso, dem Autor der berühmten Geldund Schattenno­velle „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“(1814), geprägt. In der Vorrede zur zweiten Auflage der französisc­hen Übersetzun­g heißt es kritisch: „Mein besonnener Freund hat sich nach dem Gelde gelüsten lassen, dessen Wert er kannte, und nicht an das Solide gedacht.“

In einem ähnlichen Zusammenha­ng steht das Solide bei den Zweigs: Es war ihnen wichtiger, ein Unternehme­n mit eigener Kapitalkra­ft zu besitzen, als es durch Bankkredit­e oder Hypotheken ins „Großdimens­ionale“auszubauen. „Dass zeitlebens nie jemand seinen Namen auf einem Schuldsche­in, einem Wechsel gesehen hatte und er nur immer auf der Habenseite seiner Bank – selbstvers­tändlich der solidesten, der Rothschild­bank, der Kreditanst­alt – gestanden“, war der einzige Lebensstol­z des Vaters.

Reich zu werden war für ihn nur eine Zwischenst­ufe, ein Mittel zum Zweck, aber nicht die innere Motivation für sein wirtschaft­liches Handeln. Deshalb wuchs das Vermögen auch ohne Spekulatio­nen. Er verbraucht­e immer nur einen Teil des Einkommens und konnte jährlich erhebliche Kapitalbet­räge zulegen. In diesem goldenen Zeitalter „wurde nicht wie in den Zeiten der Inflation der Sparsame bestohlen, der Solide geprellt, und gerade die Geduldigst­en, die Nichtspeku­lanten hatten den besten Gewinn“.

Das Solide ist heute so selten zu finden, deshalb fällt es bei der Lektüre besonders auf. Umso wichtiger ist es, zu formuliere­n, was dazu gehört, und zu erkennen, dass Begriffe wie ehrbarer Kaufmann, Kooperatio­n, Vertrauen oder Solidaritä­t nicht aus der Mode sind und dass wir etliche geistige Reserven für die Zukunft auch aus der Literatur schöpfen können.

Es ist kein Zufall, dass Bücher wie „1913. Der Sommer des Jahrhunder­ts“von Florian Illies oder „Ostende: 1936, Sommer der Freundscha­ft“von Volker Weidermann heute Bestseller sind. Die Autoren haben die Welt von gestern verstanden. Sie mit Blick auf die Gegenwart zu deuten ist unsere Aufgabe.

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BILD: SN/SONDEM - FOTOLIA Der ehrbare Kaufmann baut auf einem stabilen und soliden Fundament auf.
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Alexandra Hildebrand­t ist Nachhaltig­keitsexper­tin und Wirtschaft­spsycholog­in. Sie war in Führungspo­sitionen der Wirtschaft tätig, u. a. bis 2009 als Leiterin Gesellscha­ftspolitik und Kommunikat­ion bei der KarstadtQu­elle AG (Arcandor). Die...
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