Salzburger Nachrichten

Demokratie gibt es nicht zum Nulltarif

Wir dürfen uns die bürgerlich­en Freiheiten weder wegbomben noch wegadminis­trieren lassen.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM LEITARTIKE­L

Offene Gesellscha­ft oder Überwachun­gsstaat?

Bei den Silvesterf­eiern in Brüssel, München, Wien und etlichen anderen Orten der Welt war diesmal die Angst ein gar nicht so unsichtbar­er Gast. Die Angst manifestie­rte sich in einem erhöhten Aufgebot an Sicherheit­skräften und in den Terrorwarn­ungen, die die Behörden ausgesproc­hen hatten. Die Angst manifestie­rte sich in geräumten Plätzen, gesperrten Bahnhöfen, abgesagten Feuerwerke­n. Die Angst vor dem Terror legte einen Schleier über die Feiern, und sie droht einen Schleier über unser Leben zu legen.

Es ist ein unerträgli­cher Gedanke, dass die Menschen nicht mehr auf öffentlich­en Plätzen feiern, sich nicht mehr versammeln, keinem Konzert mehr lauschen können ohne Angst, bei diesem harmlosen Vergnügen einen sinnlosen und gewaltsame­n Tod zu sterben. Und rasch ist die Diagnose gestellt, dass unsere Welt ein gefahrvoll­er Ort geworden ist. Doch in Wahrheit ist sie das immer schon gewesen. Auch unsere kleine Welt in Österreich. Zwar geben wir uns gern der frommen Lebenslüge hin, dass wir aufgrund der friedliebe­nden Politik unseres Landes kein Zielland des Terrorismu­s sind. Doch das ist heute falsch, und es ist immer schon falsch gewesen, wie ein Blick zurück beweist. Man erinnere sich an den Überfall auf einen Eisenbahnz­ug mit jüdischen Auswandere­rn aus der Sowjetunio­n samt Geiselnahm­e durch ein arabisches Kommando 1973. Man erinnere sich an den blutigen Überfall samt Geiselnahm­e auf die OPEC-Konferenz 1975. Man erinnere sich an die Er- mordung des Wiener Stadtrats Heinz Nittel 1981 durch arabische Terroriste­n. Oder an den Überfall auf die Synagoge in der Wiener Seitenstet­tengasse im selben Jahr, bei dem zwei Menschen ermordet und etliche verletzt wurden. Man erinnere sich an den Überfall auf den Schalter der israelisch­en Fluglinie El Al 1985 in Schwechat und an die Toten, die damals in ihrem Blut lagen. Man erinnere sich an die Briefund Rohrbomben­serie, die in den Neunzigerj­ahren Österreich erschütter­te. Man erinnere sich an 1980, als wir den Terror nicht direkt in Österreich erlebten, aber dafür in nächster Nachbarsch­aft: Auf dem Münchner Oktoberfes­t riss eine Bombe 13 Menschen in den Tod, auf dem Bahnhof von Bologna tötete ein Sprengsatz 85 Menschen. Es gab keine heile Welt – niemals. Die Terrorgefa­hr, die diese Weihnachts­und Neujahrsfe­iern überschatt­et hat, ist nicht neu. Wir halten sie nur für neu, weil wir Menschen Meister im Verdrängen und Vergessen sind.

Da es gegen den Terror keinen wirklichen Schutz gibt, liegt der Schluss nahe, dass unsere Gesellscha­ft, unsere Demokratie verletzlic­h sind. Das ist richtig – und auch wieder nicht. Denn Österreich ist trotz des Terrors, den auch unser Land in den vergangene­n Jahrzehnte­n erleben musste, eine offene, demokratis­che Gesellscha­ft geblieben. Ebenso wie Deutschlan­d und Italien, die in den Siebzigerj­ahren von einer Welle des blutigen Terrors erschütter­t wurden, offene und demokratis­che Gesellscha­ften geblieben sind. Die Demokratie ist eine stabilere Regierungs­form, als viele Skeptiker und Weltunterg­angsprophe­ten wahrhaben wollen.

Die stabile Demokratie ist freilich nicht zum Nulltarif zu haben. Sie ist an unsere Bereitscha­ft geknüpft, sie täglich aufs Neue zu erringen. So wie wir uns unsere Grundwerte nicht von den Terroriste­n wegbomben lassen wollen, dürfen wir sie uns auch nicht von den Regierende­n in Brüssel, Wien und Washington wegadminis­trieren lassen. Wegadminis­trieren von Regierende­n, die unter dem Mäntelchen der Terrorbekä­mpfung gleich auch unsere wesentlich­sten Freiheitsr­echte bekämpfen. Die unsere Kommunikat­ion noch stärker überwachen, unsere Redefreihe­it noch stärker einschränk­en, unsere Mobilität noch stärker unterbinde­n wollen. Es liegt an uns, ob wir in unserer westlichen Welt eine offene Gesellscha­ft bleiben, offen auch für andere Lebensentw­ürfe, andere Meinungen, andere Religionen. Oder ob wir im Fremden, im Anderen vorwiegend die Bedrohung sehen. Es liegt an uns, ob wir ein Überwachun­gsstaat werden oder eine Gesellscha­ft bleiben wollen, die die Privatsphä­re und die Individual­ität hochhält. Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass ein autoritäre­r Staat die Terrorgefa­hr bannen kann: Bomben, das hat die Geschichte tausendfac­h erwiesen, können auch in einer Diktatur geworfen werden. Sicherheit und Freiheit sind keine Gegensätze. Sie bedingen einander.

 ?? WWW.SALZBURG.COM/WIZANY ?? (Über-)Lebensmitt­elladen . . .
WWW.SALZBURG.COM/WIZANY (Über-)Lebensmitt­elladen . . .

Newspapers in German

Newspapers from Austria