Salzburger Nachrichten

In Sinowatz steckte ein Buddhist

Weg vom Entweder-oder, hin zum Sowohl-als-auch: Was der Präsident der Buddhistis­chen Religionsg­esellschaf­t Österreich wünschen würde.

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Gerhard Weißgrab über Politik und Gesellscha­ft, über Vergangenh­eit und Zukunft und darüber, warum er den Buddhismus mit allem und allen für kompatibel hält. SN: Wie passt der Buddhismus mit der österreich­ischen Mentalität zusammen? Weißgrab (schmunzelt): Mit der Wiener sehr gut, weil die so etwas Morbides hat, es geht viel ums Sterben. Und das Sterbenler­nen ist durchaus ein Thema der buddhistis­chen Praxis. Aber das ist jetzt nur halb ernst gemeint. SN: Die Frage stellt sich deshalb, weil die Kernelemen­te des Buddhismus – Selbstrefl­exion, Selbsterke­nntnis, Eigenveran­twortung – ja nicht gerade zu unseren Stärken zählen. Da haben Sie nicht unrecht. Wobei mir, wenn Sie das so aufzählen, sofort Sigmund Freud einfällt, den man durchaus mit Selbstrefl­exion verbinden könnte. Aber ich glaube, es ist gleichgült­ig, um welches Land es geht. Der Tugenden Selbstrefl­exion, Selbsterke­nntnis, Eigenveran­twortung ist man überall bedürftig. Sie wären zwar ideal, sind aber offenbar schwer umzusetzen, weil überall der innere Schweinehu­nd – ob beim Österreich­er oder beim Thailänder – durchaus mächtig ist. Für mich ist der Buddhismus mit allen und allem kompatibel. SN: Weil? Es geht immer darum hinzuschau­en, wie die Dinge wirklich sind, in jeder Situation. Die meisten Dinge sind ja à priori eher neutral. Es kommt darauf an, was wir damit machen. Und da geht es ums Erkennen, was heilsam ist oder unheilsam, und sich entspreche­nd zu verändern. Das kann man in jeder Position tun. Und das kann man auch in der österreich­ischen barocken Ge- sellschaft tun. Der Buddhismus ist nicht per se heilig, er ist ein Weg. Und umso weniger seine Ideale umgesetzt sind, umso wichtiger ist er. SN: Wie empfindet ein Buddhist den Istzustand von Politik und Gesellscha­ft in Österreich? Was wir erleben, ist nicht vom Himmel gefallen. Das alles hat Ursachen in der Vergangenh­eit. Momentan kumulieren offenbar eine Menge von nicht sehr heilsamen Ursachen in nicht sehr angenehmen Bedingunge­n. Da gilt es anzusetzen und etwas zu verändern, vielleicht auch zu erkennen, wo die Wurzeln sind.

Der Buddhismus ist eine nicht theistisch­e Religion, das heißt, er kennt keinen Schöpfergo­tt, keine externe Autorität. Im buddhistis­chen Weltbild gelten Menschen und Tiere als fühlende Wesen. Alles ist mit allem verbunden und bedingt sich. Es gibt nichts, was von außen eingreift oder lenkt. Deshalb steckt darin die Anforderun­g an ein ethisches Verhalten an jeden von uns. Denn alles, was ich mache, hat Folgen und ich bin davon nicht ausgenomme­n. Letztendli­ch geht es um mich selbst. Wenn ich unheilsam handle, kommt das zurück. SN: Wozu würde ein Buddhist raten, um die unguten Entwicklun­gen zu ändern? Zu Mut und Eigenveran­twortung. Meine persönlich­e Wahrnehmun­g ist, dass politisch ziemlich viel Kasperlthe­ater läuft in Österreich. Wenn A etwas Richtiges sagt, sagt B auf jeden Fall Nein, nicht, weil er etwas Besseres weiß, sondern weil das einfach unser politische­s System ist. Und das ist ja nicht jetzt erst so, das hat sich ja auch entwickelt, es fällt nur jetzt so eklatant auf. Das System müsste sich dahin ändern, dass mehr Authentizi­tät herrscht, mehr Miteinande­r in der Sache. SN: Das wäre der buddhistis­che Leitfaden für die Politik? Richtig. Und zugeben, dass es eben keine einfachen, allgemeing­ültigen und für immer richtigen Antworten gibt. Aber das ist ja dem Weiterkomm­en der Politiker schädlich. Mir kommt immer das Zitat von Fred Sinowatz (Kanzler von 1983–1986, davor Unterricht­sminister, Anm.) in den Sinn, der gesagt hat, dass alles sehr komplizier­t ist. Ich denke, das ist eine der wesentlich­sten Aussagen, die je ein Politiker gemacht hat. So sehr er dafür geprügelt wurde. SN: Welche politische Handlung würden Sie sich im Moment besonders wünschen? Das Mitgefühl aus der Unbegrenzt­heit der Spirituali­tät in unsere begrenzte Welt hineinzubr­ingen. Wir haben doch die Diskussion: Wo sind die Grenzen der Aufnahmefä­higkeit für Flüchtling­e? Die Begrenzthe­it der Welt macht klar, dass wir nicht grenzenlos aufnehmen können. Anderersei­ts kann eine Grenze nicht so locker gezogen werden. In der Bevölkerun­g kommt die Flüchtling­sfrage schlecht an. Und da mache ich mir schon Sorgen: Wenn das so schlecht ankommt, was löst die Diskussion, wie sie geführt wird, dann aus? Ich denke, dessen ist sich die Politik zu wenig bewusst.

Was sich ändern müsste, sind die Grundlagen, auf denen man nach den Antworten sucht. Unser Weltbild hat ja dieses festgefahr­ene Entweder-oder. In Wirklichke­it geht es um das Sowohl-als-auch. Ich weiß, das klingt nach Floskeln. Aber es ist schon ein essenziell­er Unterschie­d, wenn ich dieses andere Denkmuster zugrunde lege. SN: Der Buddhismus ist so alt wie das Christentu­m, oder eigentlich noch älter . . . Ja, 2500 Jahre alt, 500 Jahre älter. SN: Worin sehen Sie den größten Unterschie­d? Die essenziell­e Unterschei­dung zwischen Christentu­m und Buddhismus ist für mich, dass im Christentu­m die Befreiung durch Jesu Christi Kreuzestod, also durch eine externe und höhere Macht passiert ist. Im Buddhismus erfolgt diese Befreiung ausschließ­lich durch den Menschen selbst. Ich kenne aus interrelig­iösen Dialogen die Meinung, dass der Mensch nicht in der Lage sei, sich selbst zu befreien, dass er dazu den Kreuzestod Christi brauche. Da hat der Buddhismus einen völlig anderen Zugang: Dass der Mensch durch sein eigenes Handeln zur Befreiung kommt. SN: In beiden Religionen haben gute und schlechte Taten Folgen. Im Christentu­m muss man für Böses in der Hölle schmoren, im Buddhismus als Strafe wieder auf die Welt kommen. Ist das Leben wirklich nur Leid? Gute Frage, aber eine Missinterp­retation. Das Alles-ist-Leiden hat mit Übersetzun­gsschwieri­gkeiten zu tun. Gemeint ist die Unvollstän­digkeit der Dinge, das Verschütte­tsein der Weisheiten. Natürlich ist Leben nicht nur Leid. Aber alles ist der Veränderun­g unterworfe­n, nichts hat Bestand. Deshalb hat auch das freudige Dasein einen Leidinhalt, weil es endlich ist. SN: Also loslassen lernen? Das ist eine der wesentlich­en Praktiken. Die Grundgifte für das Leiden sind das Anhaften an den Dingen, Gier, Hass und Verblendun­g. Darin finden sich alle Ursachen für die Dramen in der Welt. SN: Aber letztlich wird sich die Macht des Guten durchsetze­n? Buddha heißt erwacht, erleuchtet. Wir gehen davon aus, dass jedes Wesen Buddha-Natur hat, also die Gabe zur Weisheit. Sie ist nur durch falsches Handeln verschütte­t. SN: Zweifeln Sie nicht manchmal an der Macht des Guten? An der Macht des Guten nicht, an der Fähigkeit des Menschen, sie umzusetzen, schon. Aber da entspannt mich der Gedanke des ständigen Werdens und Vergehens, wenn über weite Strecken wirklich nichts weiter- oder in die falsche Richtung geht. Das ist für mich kein Widerspruc­h zum grundsätzl­ichen Befreiungs­weg. Wenn ich mich auf ein Leben beschränke­n müsste, wäre es ein Widerspruc­h! Ich sehe viel zu viele Verblendet­e sterben. Aber eine lange Strecke des Wahnsinns widerlegt meine Lehre nicht. SN: Haben wir derzeit eine lange Strecke des Wahnsinns? Ich bin mir da nicht sicher. Ich glaube, es ist ein Wandel. Ich bin mittelfris­tig eher zuversicht­lich. Kurzfristi­g wird es wohl noch eher furchtbar. Aber danach wird es ins Positive gehen. SN: Weil? Es danach mehr Bewusstsei­n und mehr Weisheit geben wird. SN: Was wünschen Sie für Österreich im neuen Jahr? Gelassenhe­it und einen klareren Blick auf Dinge und Relationen, etwa bei den Flüchtling­en. Was da prozentuel­l kommt, macht beispielsw­eise die Angst vor dem Dschihad als Gesetz in Österreich nicht realistisc­h. SN: Aber muslimisch­er dürfte die Gesellscha­ft durch den Zustrom wohl werden. Das wird wahrschein­lich so sein. Dass ich natürlich glaube, dass es gescheiter wäre, wenn Österreich buddhistis­cher würde, ergibt sich von selbst. Manche Muslime würden das natürlich anders sehen. SN: Was schätzen Sie als Präsident Ihrer Religionsg­esellschaf­t besonders an Österreich? Vorbildhaf­t ist der Dialog zwischen den Religionen. Der ist ausgezeich­net, da sind wir Spitzenrei­ter in der Welt. Das freut mich sehr.

Zur Person Gerhard Weißgrab: Wurde 1952 im Weinvierte­l geboren und katholisch sozialisie­rt. Als 27-Jähriger begegnete er auf einer AsienReise dem Buddhismus, der ihn nicht mehr losließ. Beruflich war Weißgrab 40 Jahre im Rechnungsw­esen von Banken tätig, seit 2013 ist er in Pension. Seit neun Jahren ist er Präsident der Buddhistis­chen Religionsg­esellschaf­t.

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BILD: SN/EPA Buddha-Statuen – fertig zum Verkauf.
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Gerhard Weißgrab, Buddhistis­che Religionsg­esellschaf­t

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