Strauß-Musik besiegt jedes Jubiläum
Mariss Jansons dirigierte sein drittes Neujahrskonzert mit Petersburger Charme.
WIEN. Das im Voraus Spannende an diesem Neujahrskonzert zum Auftakt von 2016 war möglicherweise die von den ausführenden Wiener Philharmonikern durch ein Forschungsprojekt selbst angestoßene Frage, das wievielte Neujahrskonzert es denn wirklich war.
War das Silvesterkonzert von 1939 oder das Neujahrskonzert von 1941 das erste? Oder gar eines der Strauß-Konzerte bei den Salzburger Festspielen, obwohl es nicht an einer Jahreswende stattfand?
Haben die Besucher des Silvesterkonzerts ein 76- und die Hörer des Neujahrskonzerts ein 75-JahrJubiläum gefeiert?
Oder war es gar eines der Konzerte im 19. Jahrhundert oder in den 1920er-Jahren, das an den Beginn der Tradition gestellt werden muss? Etwa das von Johann Strauß III., dirigiert am 1. Jänner 1928, bei dem der „Radetzky-Marsch“zum ersten Mal zum Jahresanfang gespielt wurde?
In Wirklichkeit verfliegen diese Fliegenbein-Zählereien, wenn der erste Takt des Konzerts geschlagen wird. Da zählt nur noch, was Mariss Jansons, der so sensible wie penibel genaue Dirigent, der das Strauß-Dirigieren von seinem Vater in Sankt Petersburg gelernt hat, und die Wiener Philharmoniker machen.
Das Erstaunliche bei den Neujahrskonzerten ist, dass sie jedes Jahr ihr eigenes Flair haben. Wie viele Dirigenten haben das Ereignis nicht schon dirigiert?! Und jeder hat andere Akzente gesetzt!
Einige wie Clemens Krauss und Willi Boskovsky hatten viel Zeit bei der Akzentsuche. Die meisten Dirigenten kamen freilich über maximal zwei oder drei Konzerte nicht hinaus. Für Jansons war es heuer der dritte Neujahrsvormittag am Dirigentenpult im Großen Saal des Musikvereins.
Über die Auswahl der Stücke, die gespielt wurden, könnte man Romane schreiben. Heuer blieb von den ursprünglich ausgewählten Walzern, Polkas, Märschen und Galopps nur eine(r) übrig. Dafür hatten einige Kompositionen, wie der „España“-Walzer von Émile Waldteufel, ihre Neujahrspremiere.
Der einleitende Marsch, den sich, wenn die Information stimmt, Mariss Jansons selbst gewünscht hat, der „UNO-Marsch“, stammt von Robert Stolz, dessen Musik damit zum ersten Mal in einem Neujahrskonzert der Philharmoniker zu hören war. Und man versteht sofort, warum der Komponist von den braunen Machthabern vertrieben wurde: Seine Musik hat eine so verschmitzt österreichische Note, dass sie den ans Zackige gewöhnten Herren aus dem Norden wohl als unerträglich erscheinen musste.
Dasselbe gilt natürlich auch in einem gewissen Sinn für den „Radetzky-Marsch“, der besonders in der lebenslustigen und mit übermütigen Details gespickten alten Referenzaufnahme von Hans Knappertsbusch oder in der originalen Version, die Nikolaus Harnoncourt einmal vorgestellt hat, von anderen Dingen erzählt als der Niederschlagung der Mailänder Revolution von 1848. Schade, dass der Marsch seit vielen Jahren im Geklatsche des Publikums untergehen muss. Da kommt wohl kein Dirigent mehr drum herum, selbst wenn er – wie Jansons – für Minuten von der Bühne geht.
Die Walzer und Polkas klingen unter dem lettischen Dirigenten befreit von unnötigen Schnörkeln und – wie der Walzer „Weaner Mad’ln“mit seinem dezenten Musikerpfeifen – so original, wie man sich das nur wünschen kann.
Mariss Jansons weiß auch dynamische Akzente genau zu setzen, ohne zu plumpen Ritardandi oder waghalsigen Beschleunigungen Zuflucht zu nehmen. Und die Farbenpracht der „Sphärenklänge“kommt dem an der Musik von Rimsky-Korsakow oder dem frühen fauvistischen Strawinsky der „Feuervogel“Musik geschulten Ohr auf halbem Weg entgegen. Vielleicht – man kann es nicht oft genug betonen, welch geniale Impulse Josef Strauß in seinen Walzern setzte – steht der Bruder von Johann Strauß Sohn zu Unrecht im Schatten des Walzerkönigs. Auch die im zweiten Teil des Konzerts gespielte, fast klangmalerische Polka „Die Libelle“scheint diesen Verdacht zu stützen.
Mit dem wahrhaft kaiserlichen, noblen „Kaiser-Walzer“wird Johann Strauß aber wieder auf seinen Thron gehoben, ehe „An der schönen, blauen Donau“, der Donauwalzer also, sich anschickt, alle Zweifel an der Pole-Position unter der Strauß-Brüdern zu beseitigen.
Im kommenden Jahr wird der 34jährige Gustavo Dudamel das Konzert leiten, wurde am Freitag angekündigt. Der Venezolaner wird damit nicht nur sein NeujahrskonzertDebüt in Wien feiern, sondern auch der jüngste Dirigent des Events sein.