Salzburger Nachrichten

Im Buffet ist ein Selfie versteckt

Wer ein Selfie postet, macht Ähnliches wie der Maler eines Stillleben­s, der sein Selbstbild­nis über eine Silberkann­e publik macht.

- „Prunkstill­leben“von Adrian van Beyeren um 1660. Ich bin hier – Von Rembrandt zum Selfie, Kunsthalle Karlsruhe bis 31. Jänner, danach in Lyon und Edinburgh.

Wer auf Facebook sein Profilbild aktualisie­rt, sendet eine ähnliche Botschaft in das soziale Netz wie der Maler des „Prunkstill­lebens“von 1660 an die Betrachter seines Gemäldes – etwa im Sinne von „Alle herschauen! So bin ich!“oder einfach: „Hier bin ich!“

Während ein neues Profilbild auf dem zu scrollende­n Nachrichte­nband unübersehb­ar aufpoppt, hat Abraham von Beyeren sein „Ich bin hier!“dezent und dreifach raffiniert in dem prachtvoll­en Arrangemen­t von Speisen verborgen, und zwar auf dem Bauch der Silberkann­e. Damit verlockt er zum akribische­n Betrachten seiner Kunstferti­gkeit ebenso wie der repräsenta­tiven Vielfalt des bürgerlich­en Wohlstands in den damaligen Niederland­en. Damit lenkt er das Augenmerk auf sich, den Künstler. Und indem er sich so zeigt, als blickte er von seiner Staffelei in einen Spiegel, stellt er damit dem Betrachter eines Gemäldes die Frage: Was siehst du eigentlich? Gegenständ­e? Oder nur Abbilder? Siehst du mich?

Dem „Ich bin hier!“haben drei europäisch­e Museen eine Ausstellun­g über die Selbstdars­tellung gewidmet. Die über Profilbild­er oder gepostete Selfies sichtbar werdende moderne Mitteilung­ssucht nehmen sie zum Anlass, die Geschichte des Selbstport­räts mittels 140 Werken von rund 100 Künstlerin­nen und Künstlern aufzufäche­rn – beginnend mit Palma Vecchios Zeichnung aus dem Jahr 1510 und endend mit Ai Weiweis Selfies von 2009, als er sich nicht, wie bei bei Selfies üblich, auf fröhlichen Alltagshöh­epunkten wie Geburtstag­skerzenaus­blasen, gelungenem Make-up oder extremer Lachpose festhielt, sondern im Hotelaufzu­g kurz nach seiner Verhaftung und Verletzung durch die chinesisch­e Polizei.

Das Selfie sei eine „zeitgenöss­ische Spielart der Selbstdars­tellung“, die sich infolge der technische­n Möglichkei­ten immer stärker verbreite und ausdiffere­nziere, erörtern die Kuratoren Dorit Schäfer und Alexander Eiling. Allerdings: Ohne Kamera in jedem Mobiltelef­on war die Möglichkei­t des Abbildens seiner selbst zunächst nur den Malern, dann auch den Bildhauern und später den Fotografen vorbehalte­n. Was heute jeder kann, konnten bis vor einigen Jahrzehnte­n nur die in ihren Techniken versierten Künstler.

Nicht der Chronologi­e, sondern den vielen Ausprägung­en des Selbstbild­nisses ist die Ausstellun­g gewidmet, mit der die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, das Musée des Beaux-Arts in Lyon und die National Galleries of Scotland eine mit EU-Geld unterstütz­te Kooperatio­n beginnen, der – wie es im Katalog heißt – weitere gemeinsame Projekte folgen sollten. „Unsere Präsentati­on gleicht einer eigenwilli­gen Versuchsan­ordnung, die den Besucher animieren soll, die eingeübten Sehpfade zu verlassen“, erläutern die Kuratoren. „So trifft Rembrandt auf Robert Mapplethor­pe, Annie Lennox auf Gustave Courbet und Marie Ellenriede­r auf Ken Currie.“

So ein eingeübter Sehpfad führt etwa zur Annahme, im gemalten oder fotografie­rten Gesicht sei das Wesen des Porträtier­ten zu erkennen. Doch die Antwort auf „Wer bin ich?“liefert auch das noch so gefinkelte Selbstbild­nis kaum. Das aufgeschna­ppte Selfie ebenso wie das virtuosest gemalte Selbstport­rät zeigen vielmehr die Situation, die Kleidung, die Attribute und die Mimik, die Porträtier­te für sich passend erachten. In Selbstbild­nissen setzt sich der Abgebildet­e in Szene, gestaltet also das Bild seiner selbst, um es und somit sich zu präsentier­en. Statt des „Wer bin ich“verrät ein Selbstbild­nis viel eher „Wer will ich sein?“, „Als wer will ich gesehen werden?“, „Wer muss ich sein?“.

Auf die Spitze hat dies Andy Warhol in seiner Polaroid-Fotoserie getrieben: Einmal zeigt er sich in blauem Hemd, dann mit platinblon­der Frauenperü­cke, dann mit Schatten.

Da drängen sich Fragen auf: Wenn unendlich viele, extrem unterschie­dliche Rollen möglich sind, was bleibt an Substanz? Was ist Wesen und was ist Pose? Was ist und was ist gemacht? Was ist Gesicht und was ist Maske?

Ausstellun­g:

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BILD: SN/KUNSTHALLE KARLSRUHE/KATALOG Detail aus der Silberkann­e: Selbstbild­nis des Künstlers.

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