Im Buffet ist ein Selfie versteckt
Wer ein Selfie postet, macht Ähnliches wie der Maler eines Stilllebens, der sein Selbstbildnis über eine Silberkanne publik macht.
Wer auf Facebook sein Profilbild aktualisiert, sendet eine ähnliche Botschaft in das soziale Netz wie der Maler des „Prunkstilllebens“von 1660 an die Betrachter seines Gemäldes – etwa im Sinne von „Alle herschauen! So bin ich!“oder einfach: „Hier bin ich!“
Während ein neues Profilbild auf dem zu scrollenden Nachrichtenband unübersehbar aufpoppt, hat Abraham von Beyeren sein „Ich bin hier!“dezent und dreifach raffiniert in dem prachtvollen Arrangement von Speisen verborgen, und zwar auf dem Bauch der Silberkanne. Damit verlockt er zum akribischen Betrachten seiner Kunstfertigkeit ebenso wie der repräsentativen Vielfalt des bürgerlichen Wohlstands in den damaligen Niederlanden. Damit lenkt er das Augenmerk auf sich, den Künstler. Und indem er sich so zeigt, als blickte er von seiner Staffelei in einen Spiegel, stellt er damit dem Betrachter eines Gemäldes die Frage: Was siehst du eigentlich? Gegenstände? Oder nur Abbilder? Siehst du mich?
Dem „Ich bin hier!“haben drei europäische Museen eine Ausstellung über die Selbstdarstellung gewidmet. Die über Profilbilder oder gepostete Selfies sichtbar werdende moderne Mitteilungssucht nehmen sie zum Anlass, die Geschichte des Selbstporträts mittels 140 Werken von rund 100 Künstlerinnen und Künstlern aufzufächern – beginnend mit Palma Vecchios Zeichnung aus dem Jahr 1510 und endend mit Ai Weiweis Selfies von 2009, als er sich nicht, wie bei bei Selfies üblich, auf fröhlichen Alltagshöhepunkten wie Geburtstagskerzenausblasen, gelungenem Make-up oder extremer Lachpose festhielt, sondern im Hotelaufzug kurz nach seiner Verhaftung und Verletzung durch die chinesische Polizei.
Das Selfie sei eine „zeitgenössische Spielart der Selbstdarstellung“, die sich infolge der technischen Möglichkeiten immer stärker verbreite und ausdifferenziere, erörtern die Kuratoren Dorit Schäfer und Alexander Eiling. Allerdings: Ohne Kamera in jedem Mobiltelefon war die Möglichkeit des Abbildens seiner selbst zunächst nur den Malern, dann auch den Bildhauern und später den Fotografen vorbehalten. Was heute jeder kann, konnten bis vor einigen Jahrzehnten nur die in ihren Techniken versierten Künstler.
Nicht der Chronologie, sondern den vielen Ausprägungen des Selbstbildnisses ist die Ausstellung gewidmet, mit der die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, das Musée des Beaux-Arts in Lyon und die National Galleries of Scotland eine mit EU-Geld unterstützte Kooperation beginnen, der – wie es im Katalog heißt – weitere gemeinsame Projekte folgen sollten. „Unsere Präsentation gleicht einer eigenwilligen Versuchsanordnung, die den Besucher animieren soll, die eingeübten Sehpfade zu verlassen“, erläutern die Kuratoren. „So trifft Rembrandt auf Robert Mapplethorpe, Annie Lennox auf Gustave Courbet und Marie Ellenrieder auf Ken Currie.“
So ein eingeübter Sehpfad führt etwa zur Annahme, im gemalten oder fotografierten Gesicht sei das Wesen des Porträtierten zu erkennen. Doch die Antwort auf „Wer bin ich?“liefert auch das noch so gefinkelte Selbstbildnis kaum. Das aufgeschnappte Selfie ebenso wie das virtuosest gemalte Selbstporträt zeigen vielmehr die Situation, die Kleidung, die Attribute und die Mimik, die Porträtierte für sich passend erachten. In Selbstbildnissen setzt sich der Abgebildete in Szene, gestaltet also das Bild seiner selbst, um es und somit sich zu präsentieren. Statt des „Wer bin ich“verrät ein Selbstbildnis viel eher „Wer will ich sein?“, „Als wer will ich gesehen werden?“, „Wer muss ich sein?“.
Auf die Spitze hat dies Andy Warhol in seiner Polaroid-Fotoserie getrieben: Einmal zeigt er sich in blauem Hemd, dann mit platinblonder Frauenperücke, dann mit Schatten.
Da drängen sich Fragen auf: Wenn unendlich viele, extrem unterschiedliche Rollen möglich sind, was bleibt an Substanz? Was ist Wesen und was ist Pose? Was ist und was ist gemacht? Was ist Gesicht und was ist Maske?
Ausstellung: