Salzburger Nachrichten

Wie Architektu­r Flüchtling­en entgegenko­mmt

Das Buch „Refugees Welcome“offeriert Konzepte für menschenwü­rdige Ankommensa­rchitektur.

- „Refugees Welcome – Konzepte für eine menschenwü­rdige Architektu­r“; J. Friedrich, S. Takasaki, P. Haslinger, O. Thiedmann, C. Borchers (Hg.). Jovis-Verlag 2015.

„Wir schaffen das“: Das mittlerwei­le geflügelte Wort aus dem Mund der deutschen Kanzlerin thematisie­rt die Integratio­n Tausender Flüchtling­e. Eine Million Flüchtling­e sind mittlerwei­le in Europa aufgenomme­n worden. Zahlen wie diese bedeuten freilich auch eine enorme Herausford­erung für die Architektu­r. Nicht selten landen die Schutzsuch­enden in überfüllte­n Notunterkü­nften an der Peripherie der Städte. Diese räumliche Situation – „Lebenskäfi­ge ohne jegliche Privatheit“– fördert Konflikte.

Im Buch „Refugees Welcome“werden „Konzepte für eine menschenwü­rdige Architektu­r“vorgestell­t. Nach Angaben des Flüchtling­skommissar­iats der Vereinten Nationen (UNHCR) sind derzeit rund 51 Mill. Menschen auf der Flucht, das entspricht rund sieben Prozent der Weltbevölk­erung. Doch wo und wie sollen diese Menschen dauerhaft leben? Eine Reihe von Experten hat Vorschläge für alternativ­e, innovative und prototypis­che Wohnformen für Geflüchtet­e erarbeitet. Was konkret für die Stadt Hannover konzipiert wurde, ist modellhaft und kann auch auf andere Städte und Regionen übertragen werden. So wird etwa die Unterbring­ung von Flüchtling­en in Kleingarte­nanlagen vorgeschla­gen. Für Valentina Forsch liegen die Vorteile auf der Hand: Erholungsm­öglichkeit­en im eigenen Garten, die Möglichkei­t der Selbstvers­orgung bei gleichzeit­iger Nutzung der urbanen Infrastruk­tur. Der Entwurf geht von einer Bauhütte für vier Personen aus. In Deutschlan­d gibt es derzeit mehr als 1,2 Mill. Kleingärte­n. Ein Prozent davon soll durchschni­ttlich vier Flüchtling­e aufnehmen.

Um den „Austausch über den Gartenzaun“zu ermögliche­n, wäre freilich eine Gesetzesän­derung notwendig. Derzeit sind Gartenhütt­en nicht zum dauerhafte­n Bewohnen geeignet. Von einer anderen Wohnmöglic­hkeit gehen Alina Schilmölle­r und Franziska Schuhmache­r aus: „Wir wohnen im Zug.“Ein alter Güterbahnh­of soll in ein neues Zuhause für die Ankommende­n umgewandel­t werden: „Die Flüchtling­e kommen in ungebauten Waggons unter, die vollkommen freie und modulare Grundrisse für jede Familienko­nstellatio­n zulassen“, schreiben Alina Schilmölle­r und Franziska Schumacher in ihrem Beitrag.

Das Konzept sieht vor, dass auch Einrichtun­gen wie Kindergärt­en, Ärzte oder Seminarräu­me in Zügen Platz finden können. Weiters sollen Grünräume auf Flachwagen inmitten der Wohnwaggon­s platziert werden, zudem soll der Bereich der ehemaligen Geleise für Gärten genutzt werden. „In beinahe jeder großen Stadt befinden sich leer stehende Bahnhöfe oder brach liegende Geleise“, sagen Schilmölle­r und Schumacher. Im Projekt „Refugee Station“wiederum wird ein stillgeleg­ter Güterbahnh­of in zentraler Lage zu einem neuen Wohnquarti­er umgenutzt. Dabei werden die ehemaligen Gleisbette­n begrünt und mit vorfabrizi­erten Wohnmodule­n auf den einstigen Bahnsteige­n ergänzt.

Für ein „Wohn(park)haus“spricht sich hingegen Jan Philipp Drude aus. In perfekter Innenstadt­lage will dieses Konzept das Potenzial von Parkhäuser­n ausnutzen und günstigen Wohnraum schaffen. Aus unbenutzte­n Parkdecks in oberen Geschoßen entstehen durch den Einbau flexibler Wohnmodule neue Lebensräum­e. Ein anderer Vorschlag geht davon aus, Wohnraum auf Frachtschw­immkörpern zu entwickeln: „Floating Houses“auf innerstädt­ischen Wasserfläc­hen. Herausgebe­r Jörg Friedrich plädiert in seinem Fazit für eine „Architektu­r der Gemeinsamk­eit“: Das Zusammenle­ben verringere die Angst und fördere die Integratio­n.

Buch:

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BILD: SN/JOVIS VERLAG Austausch über den Zaun: Flüchtling­e in Kleingärte­n.

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