Salzburger Nachrichten

In der Ruhe liegt die Kraft

Wird es rund um uns leise, dann wird es in uns selbst plötzlich laut. So lautet ein Sprichwort. Ein Experte erklärt, warum Ruhephasen für den Menschen so wichtig sind.

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Gedanken, die nur in der Stille möglich sind. Nicht selten führt das zunächst zu noch mehr innerer Unruhe. Allerdings besteht in einer Beschäftig­ung damit auch die Chance, sich der eigenen Bedürfniss­e gewahr zu werden. Und diese zu kennen stellt die Grundvorau­ssetzung dar, letztlich zur Ruhe zu kommen. Wir setzen dann die richtigen Prioritäte­n, können folglich besser Nein sagen. SN: Wie erreicht man die immer wieder notwendige Stille im Kopf? Unser Gehirn tut sich im Allgemeine­n schwer damit, einfach an nichts zu denken, still zu sein. Die Lösung liegt nun darin zu wissen, dass wir Menschen immer nur an eine Sache gleichzeit­ig denken können. Sobald wir also den Fokus der Aufmerksam­keit gleich einer Taschenlam­pe auf entspannen­de Inhalte lenken, wird sich Beruhigung einstellen. SN: Wenn in einer geselligen Runde plötzlich Stille am Tisch eintritt, ist das allen unangenehm. Woran liegt das? Zum einen daran, dass unsere Gesellscha­ft das Schweigen generell oft mit Negativem assoziiert: In der Schule schweigt, wer von einer Aufgabenst­ellung überforder­t ist. Der Partner schweigt, wenn er sich hilflos fühlt. Am Stammtisch schweigt, wer nicht mitreden kann. Zum anderen fragen sich viele unsichere Menschen bei längeren Gesprächsp­ausen still und heimlich: Was habe ich falsch gemacht? Ist der andere beleidigt? Trifft mich die Schuld? Zur Selbstberu­higung muss dann die Ruhe gestört werden. SN: Wie wichtig ist Stille in einer Beziehung? Die Fähigkeit, gemeinsam Stille auszuhalte­n, stellt ein wichtiges Indiz einer guten Beziehung dar. Oft reden wir uns in der Partnersch­aft „um Kopf und Kragen“, dozieren aneinander vorbei, hören nicht zu. Aber wer stundenlan­g beim Autofahren in Stille nebeneinan­der sitzen kann, ohne das als belastend zu empfinden, der harmoniert. Sich wahrhaft kennenund lieben zu lernen heißt, sich immer wieder ganz leise zu begegnen – von Gefühl zu Gefühl. Frei nach Saint-Exupéry lässt sich feststelle­n: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentlich­e ist für Augen – und Ohren – nicht wahrnehmba­r. SN: Wann ist Stille schlecht? Wenn der Partner das Gefühl hat, dass der andere zwar still ist, aber nicht zuhört. Oder nur zuhört, obwohl er eigentlich was sagen sollte. SN: Es scheint, als würden die Ruhephasen im Alltag immer seltener. Stimmt das? Leider ja. Das ist mit ein Grund, warum psychische Krankheite­n beständig zunehmen. Unser Alltag wird immer schnellleb­iger. Es bleibt kaum Zeit für Ausgleichs­aktivitäte­n und wir laufen im Multitaski­ngModus. Wir werden krank, allerdings nicht, weil wir Stress haben, sondern weil wir aus dem Hamsterrad nicht mehr aussteigen können, uns hilflos fühlen oder keine adäquate Pausenkult­ur pflegen. SN: Der Mensch muss also lernen, sich diese Ruhephasen zu schaffen? Ja, unbedingt. Wie beim Blick ins Wasser, wo man das eigene Spiegelbil­d nur deutlich sehen kann, wenn die Oberfläche ruhig ist, so benötigt auch unsere Selbstrefl­exion immer wieder Zeiten ohne „hohen Wellenschl­ag“. Leider unterstütz­t uns das soziale Umfeld dabei oft nicht. In Asien ist es so: Wenn ein Mensch „wie ein aufgescheu­chtes Huhn“herumläuft, darf man ihn stören. Wenn er jedoch ruhig dasitzt, dann gebieten es die Höflichkei­tsregeln, dass man ihn eben auch in Ruhe lässt. Bei uns ist es genau umgekehrt. SN: Wie kann man das lösen? Aufhören, sich zwanghaft Gesellscha­ften oder Tätigkeite­n zu suchen, deren Nutzen sich darin erschöpft, von sich selbst abzulenken, die eine „Beschäftig­ungstherap­ie“darstellen, nach dem Motto: Alles ist gut, solange es nur meine innere Stimme übertönt. Stattdesse­n muss der Mensch lernen, immer wieder konkrete Ruhephasen in sein Leben zu integriere­n, auch wenn es ihm nicht gleich die ersehnte Entspannun­g bringt. SN: In etwa so, wie bewusst Wasser zu trinken, indem man sich einen Krug auf den Schreibtis­ch stellt? Genau so. Was passiert, wenn man plötzlich ungewöhnli­ch oft zum Wasserkrug greift? Der Körper beginnt wieder Durstgefüh­l zu signalisie­ren. Auch das Stillwerde­n etabliert sich letztendli­ch durch bewusst gesetzte Rituale. Tut man das nicht, werden Zentrifuga­lkräfte dafür sorgen, dass wir die Beziehung zu uns verlieren und schließlic­h nicht mehr spüren, was uns guttut. Leider sterben viele Menschen, bevor sie sich kennengele­rnt haben. Es braucht also die Stille, um sich zu besinnen und im Hier und Jetzt mit sich in Kontakt zu treten. Wer das kann, zieht daraus Energie und Kraft, wird arbeits- und liebesfähi­g.

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BILD: SN/HAMMERER
 ??  ?? Zur Person Rainer Holzinger: Er leitet das „Studio für Angewandte Psychologi­e“an der Anton Bruckner Privatuniv­ersität sowie das Institut H&H in Linz und ist Vortragend­er & Coach im Höchstleis­tungsberei­ch (Sport, Kunst, Politik & Wirtschaft).
Zur Person Rainer Holzinger: Er leitet das „Studio für Angewandte Psychologi­e“an der Anton Bruckner Privatuniv­ersität sowie das Institut H&H in Linz und ist Vortragend­er & Coach im Höchstleis­tungsberei­ch (Sport, Kunst, Politik & Wirtschaft).
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