Im Beruf ist nichts mehr fix
Die Berufswelt wandelt sich immer schneller. Neue Berufe entstehen, alte verschwinden. Und manche feiern eine Renaissance.
SALZBURG. Es war einmal, und es war einmal gemütlicher und langsamer. Briefe zu schreiben und mit der Post zu verschicken, das dauert eben wesentlich länger, als schnell einmal ein E-Mail durchs Breitbandnetz zu jagen. Auf dem elektronischen Postweg findet heute der Großteil aller wichtigen (und unwichtigen) Nachrichten direkt und ohne Zustellpause seinen Weg zum Adressaten – und der antwortet umgehend und meist selbst.
Die klassische Sekretärin hat bald ausgedient. „Diesen Berufsstand wird es nicht mehr geben“, sagt Wolfgang Bliem vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) in Wien. Ohnehin sei aus der Sekretärin meist bereits „die Assistenz“geworden. Und die habe viel umfassendere Aufgaben zu erledigen als nur die Korrespondenz. Ein ähnliches Auslaufmodell sieht der Bildungsforscher im Bankangestellten am Schalter. „Die Kundenberatung“, ist Bliem überzeugt und damit nicht allein, „wird ins Backoffice wandern.“Und dort wird verkauft, was das Zeug hält.
Das hohe Tempo am Arbeitsplatz und den raschen Wandel von Berufsbildern überlebt heute nur, wer entweder mitmacht – oder nicht mehr mittun muss. In dieser Position ist Christian Lassacher. Der 33Jährige ist Wagner in Tamsweg im Salzburger Lungau. Damit gehört er zu einem aussterbenden Berufsstand, der im Ort einst die Ski und Rodeln produzierte, genauso wie die Werkzeug- und Besenstiele. Der Wagner stellte die Fuhrwerke her und manchmal, wenn jemand im Dorf verstorben war, zimmerte er auch die letzte Bettstatt.
Die industrielle Fertigung hat dem Wagner viel Arbeit weggenommen. Heute sind österreichweit nur noch drei aktiv. Zwar wird der Wagner noch als Lehrberuf geführt, doch wurde 2008 der letzte Lehrling ausgebildet. Der in der Werkstatt von Christian Lassacher absolviert bereits eine Tischlerlehre.
Angst vor der Zukunft hat der Lungauer aber nicht. Im Gegenteil. 2007 hat er den elterlichen Betrieb übernommen, drei Beschäftigte arbeiten für ihn. „Mir geht es heute besser als meinem Vater in den 1970er-Jahren“, sagt Lassacher. Der Vater habe neben der Werkstatt einen Sportartikelhandel geführt, um über die Runden zu kommen. Heute sei der Wagner wieder gefragt: „Wenn es nur mehr wenige gibt, bist halt wieder was Besonderes.“Auch die Aufträge sind extravagant geworden. Zuletzt erhielt ein Buick, im Ersten Weltkrieg als Rettungswagen im Einsatz, neue Räder.
Wieder gut am Laufen ist die Produktion von Rodeln. 100 Schlitten fertigt Lassacher jährlich an – ohne Hilfe computergesteuerter Maschinen. Und trotz des Schneemangels sei er bereits ausverkauft: „Ich werd im Jänner nachproduzieren müssen.“Überhaupt plant Lassacher, für die Stiele- und Rodelproduktion eine neue eigene Werkstatt am Ortsrand einzurichten, „das ist mit der Holzanlieferung einfacher“. Mit sich und seiner Arbeit ist er zufrieden. „Ich bin im grünen Bereich. Wenn es geht, möchte ich gern in meinem Beruf in Pension gehen.“
Die Möglichkeiten aber, solche Berufe zu erlernen, schwinden. Vor allem im Bereich des Kunsthandwerks wird es immer schwieriger. Als Lehrberuf ausgemustert wurden in den letzten zehn Jahren unter anderem Porzellanmaler, Edelsteinschleifer, Korb- und Möbelflechter, Bürsten- und Pinselmacher, Etuifertiger sowie Gold-, Silber und Metallschläger. Schon vor längerer Zeit gestrichen wurde die Ausbildung zum Diamantschleifer und Ziseleur, der einst für seine Fertigkeiten in der feinen Metallbearbeitung angesehen war. Im technischen Bereich gehören Fernmeldebaumonteure oder Bergwerksschlosser der Vergangenheit an. Früher seien das „wirklich große Berufe in sehr großen Branchen“gewesen, sagt Wolfgang Bliem. Heute würden die einstigen Spezialaufgaben von anderen mitgemacht oder gar nicht mehr gebraucht.
Ein großer Arbeitgeber war früher auch die Textil- und Bekleidungsindustrie. Noch 1975 waren allein in Vorarlberg fast 22.000 Menschen in der Branche beschäftigt. 2010 waren es noch knapp 4000. Durch massive Auslagerung der Bekleidungsindustrie nach Fernost sei es permanent bergab gegangen, sagt der stellvertretende Obmann der Österreichischen Textilindustrie, Georg Comploj. Im Krisenjahr 2008 war der Tiefpunkt erreicht. Während andere Branchen noch immer kämpfen, steigen aber Umsätze und Volumina in der Textilindustrie wieder kontinuierlich. „Die Lebhaftesten der Branche haben überdauert, und die sind heute mit technischen Innovationen ganz vorn mit dabei“, betont Comploj.
Textil ist in Europa nicht mehr gleich T-Shirt. In Deutschland und Österreich feiern die Betriebe heute mit technischen Textilien ihre Erfolge. Die Einsatzbereiche reichen von der Medizin bis zum Gebäudebau, der Robotik oder dem Automobilbau. „Der BMW i3 ist aus Carbonfaser gemacht, dazu braucht es Know-how aus der klassischen textilen Herstellung“, sagt Comploj. Österreichs Textilindustrie mit ihren heute noch 286 Betrieben und rund 12.000 Beschäftigten erzielte im ersten Halbjahr 2015 einen Umsatz von rund 1,246 Mrd. Euro.
Weil jedoch während des Umbruchs viel Wissen in Europa verschwunden ist, sucht die Branche händeringend nach Nachwuchs. „Wir brauchen ganz dringend Leute, die eine Ahnung von Textil haben“, sagt Comploj. Der Textilbereich sei heute so vielfältig wie kaum ein anderer Berufszweig, „nur wissen das viele nicht, weil sie noch die Zeit im Kopf haben, als es der Branche schlecht ging“.
Das galt in den 1970er-Jahren auch für den Hufschmied. Auto und Traktor statt Pferd, so hieß es damals. Der Hufschmied wurde so gut wie arbeitslos. Das ist vorbei. Nach einer anfänglichen Rückkehr als Modellversuch ist der Hufschmied heute wieder ein regulärer Lehrberuf. Grund dafür ist die steigende Anzahl an Pferden in Österreich. Vor allem im Tourismus- und Freizeitbereich sind Nachfrage und der Pferdebestand gewachsen. Derzeit gibt es 300 selbstständige Hufschmiede in Österreich und rund 1000 Beschäftigte im Gewerbe. Der Bedarf an Nachwuchs liegt laut Branchensprecher Josef Frech bei 20 bis 25 Lehrlingen pro Jahr.
Noch auf sein Revival wartet der Lehrberuf des Fahrradmechanikers. Ebenfalls in den 1970er-Jahren ausgemustert, wäre der Bedarf heute mitten im Bike-Boom riesig, zumal die Auswahl an Fahrrädern immer größer wird und der Zusammenbau komplizierter. Der Ruf nach der Wiedereinführung des Fahrradmechanikers sei daher „nachvollziehbar“, sagt Bildungsforscher Bliem.
Digitalisierung und Automatisierung sind heute die Treiber, die den Wandel in der Berufswelt beeinflussen und auch beschleunigen. Für die Arbeitnehmer heißt das, sie müssen sich mit zunehmender Komplexität der Aufgaben vertraut machen. „Die Dinge, die jemand beherrschen muss, egal ob als Handwerker oder Akademiker, werden noch umfassender und vielfältiger werden“, sagt Bliem. Die große Frage in der Aus- und Weiterbildung laute: „Wie schaffen wir es, die Menschen darauf vorzubereiten?“