An den Börsen wird die Luft 2016 schon dünn
Mangels Alternativen empfehlen Analysten weiter Aktien. Zugleich aber bremsen sie die Hoffnung auf Wertsteigerungen – ein Widerspruch.
WIEN. Unter dem Strich war 2015 ein gutes, wenn auch nicht überschäumendes Jahr für die Aktienbörsen. Eine prominente Ausnahme davon war der New Yorker Dow Jones, der im Jahresverlauf 2,2 Prozent einbüßte. Doch die übrigen großen Aktienmärkte weltweit konnten durchwegs eine positive Entwicklung in Form von Kursgewinnen verzeichnen. So legte der japanische Nikkei-Index rund neun Prozent zu und beendete damit das Jahr 2015 auf dem höchsten Jahresendstand seit 1996. Auch der deutsche Börsenindex Dax konnte rund zehn Prozent dazugewinnen, der heimische ATX sogar elf Prozent.
Damit haben die großen Börsenplätze einer Reihe widriger Einflussfaktoren getrotzt. Erwähnt seien nur die weiteren geopolitischen Zuspitzungen, die GriechenlandKrise, die Sorgen um die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft, die VW-Affäre und zuletzt die geränderte Politik der US-Notenbank. Die Federal Reserve Bank (Fed) begann nämlich im Dezember erstmals seit sieben Jahren wieder, die Leitzinsen vom historischen Tiefstand von praktisch null Prozent anzuheben. Damit rückt sie erstmals seit dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 von der Notversorgung des Finanzmarkts mit Billigstgeld ab. Und anstatt über Kredite und Investitionen die Wirtschaft anzukurbeln, floss ein großer Teil dieser Mittel in die Aktienmärkte.
Internationale Finanzanalysten rechnen mit einer Serie weiterer bevorstehender Zinserhöhungen in den USA, die längerfristig eine Veranlagung in festverzinsliche Staatsanleihen attraktiver machen und somit zulasten einer Unternehmensbeteiligung in Form von Aktien gehen sollten. Offen ist, in welchem Tempo die Zinserhöhungen gehen werden. Ein Blick auf die Zinserhöhungszyklen der Jahre 1977, 1986, 1991 und 2004 zeigt, dass es damals immer zwei bis drei Schritte im ersten Jahr gab. Diesmal könnte es freilich langsamer gehen, erwarten Experten. Im Unterschied zu den USA dürfte die Europäische Zentralbank EZB an ihrer Politik des billigen Geldes festhalten.
Was zusätzlich für Aktien spricht, sind erwartete steigende Unternehmensgewinne und verbesserte konjunkturelle Aussichten für die meisten Volkswirtschaften – von China einmal abgesehen. So meint etwa Erste-Bank-Chefanalyst Friedrich Mostböck: „Wir sind in einer Phase, in der man Aktien nach wie vor eher zukaufen sollte – das Wachstum wird sich 2016 fortsetzen und Aktien begünstigen.“
Damit meint er speziell europäische Titel aus den Bereichen Gesundheit, Technologie und Konsum. Das gelte insbesondere auch für österreichische Aktien, denen wieder die starke Ausrichtung auf die Länder Mittel- und Osteuropas zugutekomme. Rund 80 Prozent der heimischen börsenotierten Unternehmen sind stark mit dieser Region verbunden, die als Wachstumsmarkt wieder an Bedeutung gewinnt.
Allerdings wird an den Börsen die Luft schon dünner. Chefanalyst Peter Brezinschek von der Raiffeisen Zentralbank RZB etwa weist darauf hin, dass sich die Aktienmärkte nach dem siebten Jahr mit Steigerungen bereits in einem „reifen Stadium“befänden. Nicht nur er sieht daher, dass sich die Fantasie bei Aktien weg von der erwarteten Kursentwicklung hin zu den Dividendenerträgen verlagern dürfte. Also nicht die Wertsteigerung der Aktie dürfte damit künftig im Vordergrund stehen, sondern der Anteil am Unternehmensgewinn, den die Firmen als Dividende an die Aktionäre – ihre Eigentümer – ausschütten.
Attraktiv sehen von diesem Standpunkt für die RZB etwa die Post oder die Uniqa-Versicherung aus, die aktuell eine Dividendenrendite (Verzinsung auf das eingesetzte Kapital) von sechs Prozent aufweisen. Darüber liegt Atrium, die vormalige Meinl European Land MEL, mit sieben Prozent, während es Werte wie EVN, voestalpine oder Agrana immerhin auf vier Prozent Ertrag jährlich bringen. Noch ertragreicher sind tschechische Werte: Komercni Banka wirft 6,5 Prozent Dividendenrendite ab, der Stromerzeuger CEZ sogar neun.
Monika Rosen, die Chefanalystin im Bank Austria Private Banking, weist auch auf einen möglichen Einfluss der US-Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 hin. In der Regel gebe es in einem Wahljahr Gewinne an der Wall Street. Allerdings sei 2015 bereits eine andere langjährige Tradition durchbrochen worden, wonach das Jahr vor einer Präsidentenwahl für die Börse besonders günstig verlaufe.
Grundsätzlich sieht auch Gerold Humer, Landesdirektor Österreich Mitte bei der Schoellerbank, trotz der US-Zinserhöhung eine „positive Marktentwicklung für Aktien“. Streuung sei das oberste Prinzip, „das haben wir aus der Finanzkrise gelernt“. Er rechnet damit, dass sich Europa und die Eurozone in Richtung Wachstumskurs bewegen.
Asien sei überzugewichten, während die Schoellerbank Schwellenländer – und damit ganz Osteuropa und auch Lateinamerika – völlig ausklammert. Man setzt auf Aktien großer Player im Finanzwesen wie Berkshire Hathaway unter Führung von Warren Buffett, weiters im Gesundheitswesen, Energie sowie Konsumgüter und Informationstechnologie. Das Portfolio ist also konservativ nach dem Motto: Qualitätsunternehmen zu einem attraktiven Preis. Damit habe man auch
„Wachstum sollte Aktien begünstigen.“
keine Autos im Portfolio, „die sind uns zu zyklisch“, sagt Humer.
Weniger optimistisch ist der Salzburger Anlageexperte für die USA. Er begründet das mit dem Blick auf zwei Indizes. Einerseits auf den Index, der die Einschätzungen der 100 größten US-Börsenbriefverfasser abbilde. Seien die Einschätzungen dort zu positiv, müsse man raus aus den US-Aktien. Andererseits lasse der US-Einkaufsmanagerindex auf ein Ende des Wachstums dort schließen. Und „eine Rezession in den USA wäre die größte Gefahr für die Weltwirtschaft“. Doch die Zinserhöhung in den USA werde langsam vor sich gehen, lautet die allgemeine Überzeugung.
Bei anderen Anlageklassen raten Experten generell zur Vorsicht. Anleihen gelten überhaupt als Herausforderung. Die Schoellerbank rät allenfalls zu solchen mit kurzen Laufzeiten unter vier Jahren. Gute Chancen werden bei „inflationsgeschützten Anleihen“gesehen – Papiere, deren Zinskupon an die Inflation gekoppelt ist. Bei Fremdwährungen gelten kanadischer und australischer Dollar als interessant, ebenso das britische Pfund und der Schweizer Franken.