Essen wie Gott in Bogenhausen
Überflieger. Mario Gamba wurde zum besten italienischen Koch außerhalb Italiens gekürt. Der gelernte Übersetzer ist nicht in Paris, London oder New York daheim – sondern in München. Dort wirft er seit 1994 die Frage auf: Lebt Gott wirklich noch in Frank
Das ist der Augenblick, den seine Gäste lieben. Wenn Mario Gamba aus seiner Küche kommt, sein charmantestes Lächeln zeigt, Platz nimmt und fragt: „Hat es geschmeckt?“Die Frage ist rhetorisch – und das weiß er auch. Erst recht nachdem ihm von Amts wegen attestiert wurde, dass er der beste italienische Koch außerhalb Italiens ist. Das italienische Landwirtschaftsministerium hat das gemeinsam mit dem süditalienischen Weinbaugebiet Sannio entschieden. Damit hat Gamba nicht gerechnet. Er ist schließlich kein Schaumschläger. Seinen Anteil am Gelingen seiner Gerichte beziffert er mit 30 Prozent. „In diesen 30 Prozent stecken Technik, Wissen und Zeit“, sagt er trocken. Und die restlichen 70 Prozent? „Die gehören den Zutaten.“Wenn er von diesen erzählt, dann gewinnt man den Eindruck, dass ein Vater von seinen Kindern schwärmt. Er sagt, dass auch ein guter Koch immer wissen sollte, wo die besten Zutaten gerade zu finden seien. Dann beugt er sich verschwörerisch vor und zählt auf: „Das beste Rind kommt aus Fassona und dann erst der Lardo di Collonata: Mmmh.“Der Koch erzählt von roten Gambas aus Sizilien, von Peperoni aus Motta und Radicchio aus Gorizia. Er war übrigens auch einer der Ersten in Deutschland, der Vitello tonnato auf die Speisekarte setzte.
Sein Restaurant Acquarello hat er 1994 in München eröffnet. Ausgerechnet in der Mühlbaurstraße in Bogenhausen. Das ist eine vollkommen unspektakuläre Gegend mit schmucklosen Wohnblöcken und Reihenhäusern. Diese Bemerkung erwidert er achselzuckend so: „Ein guter Koch sucht keinen guten Ort für sein Lokal. Er schafft einen guten Ort für sein Lokal.“Das ist ihm gelungen. Der „beste Italiener der Welt“befindet sich jetzt eben nicht – wie zu erwarten wäre – in Paris, Tokio, London, New York oder Beverly Hills. Nein: Die kulinarische Botschaft Italiens befindet sich in „Bella Bogenhausen“.
Gamba liebt seine neue Heimat. Das spürt man in den vielen Interviews, die er in den vergangenen Wochen gab. Die Wirtschaftswoche fragte kurz und bündig: „SUV oder Cabrio?“Er antwortete: „Cabrio – weil es romantischer ist. Und man kann die wunderschöne bayerische Landschaft fast hautnah erleben.“Wer jetzt meint, dass sich Gamba mit so einer Antwort anbiedern will, der ist auf dem Holzweg. Gamba hat diese seltene Fähigkeit, seine jeweilige Umgebung stets völlig unvoreingenommen beurteilen zu können. Er trennt ständig das Gute vom Schlechten. So einfach entsteht Qualität. Dabei wäre der weltweit beste italienische Küchenchef außerhalb Italiens bald als mittelmäßiger Übersetzer in Bologna geendet. Es übersetzte für ein Architekturbüro Texte ins Spanische und ins Französische. Eines Tages blickte er seinen 20 Jahre älteren Kollegen an und stellte sich die Frage: „Will ich das in 20 Jahren auch noch machen?“Nein. Wollte er nicht.
Gamba begann dann keine Lehre als Kellner und Koch. Er wusste: Jetzt beginnt seine Karriere als Kellner und Koch. Gamba hospitierte bei den besten Köchen Frankreichs, Italiens und Deutschland. Dabei ging er wie ein Geheimagent vor. Die besten Tricks verrät ein Koch nie freiwillig. Wenn Gamba etwas auffiel, dann notierte er das sofort auf kleine Zettelchen. Diese kurzen Geistesblitze archivierte er ohne System in seinen Hemdtaschen. Später fügte er sie in seinem Kopf zu etwas völlig Neuem zusammen. Einmal fielen ihm aus Tollpatschigkeit alle Zettel vor die Füße eines französischen Sternekochs. Dieser hob sie auf, schüttelte ungläubig den Kopf und blickte ihm dann voller Respekt in die Augen. Zum väterlichen Freund und Förderer wurde ihm schließlich Heinz Winkler. Unter Gambas Management erhielt Winklers Restaurant Tristan auf Mallorca zwei Sterne vom Guide Michelin. Einen Stern hat Gamba auch mit seinem Acquarello. Sieht er heute am Abendhimmel eine Sternschnuppe, dann wünscht er sich einen zweiten. Er hätte ihn sicher verdient.
Als Gamba 1994 sein italienisches Restaurant in München eröffnete, dachte er noch durch und durch französisch. Erst in der sprichwörtlichen letzten Sekunde fiel ihm ein, dass er gar kein italienisches Gericht auf der Karte hatte. Alle Speisen waren französischen Ursprungs. Seine Mutter half ihm damals aus der Patsche, indem sie ihm ihr Rezept für Rinderschmorbraten in Barolosauce mit Selleriepüree verriet. Das Gericht steht heute noch auf der Karte. Gamba sagt, er habe damals gelernt, ohne Spoiler zu kochen. Was er damit meint? Alles, was auf den Teller kommt, erfüllt einen Zweck. Weshalb er auch – umgekehrt gedacht – sämtlich Köche der Körperverletzung bezichtigt, die schlechte Produkte verwenden.
So betrachtet ist Gamba ein Doktor der schönen kulinarischen Künste. Ein kompromissloser Verfechter des schönen Lebens. Man verlässt das Acquarello einfach beschwingter und inspirierter, als man es betreten hat. Man fühlt sich – ja: warum soll man es nicht schreiben – wie Gott in Frankreich. Und das mitten in Bogenhausen.