Salzburger Nachrichten

Kein Grund für Optimismus

- Marianne Kager war fast 20 Jahre lang Chefökonom­in der Bank Austria. Heute ist sie selbststän­dige Beraterin. WWW.SALZBURG.COM/KAGER

Im Herbst haben die Konjunktur­prognosen für 2016 noch verhaltene­n Optimismus gezeigt, sowohl für die Weltwirtsc­haft als auch für Europa. Dafür gibt es mittlerwei­le nur noch wenig Grund.

Die EU und die Eurozone haben die Phase nach der Finanzkris­e weniger gut gemeistert als die USA. In den vergangene­n fünf Jahren lag das Wachstum mit durchschni­ttlich 1 (in der EU) beziehungs­weise 0,3 Prozent (in der Eurozone) pro Jahr weit unter jenem der USA (2,1 Prozent). Auch für heuer ist der Unterschie­d beträchtli­ch, 1,9 (EU) beziehungs­weise 1,6 Prozent (Eurozone) stehen 2,8 Prozent in den USA gegenüber.

Das hat viel damit zu tun, wie man mit der Krise in der Eurozone in den Jahren 2010 bis 2015 umgegangen ist. Oder damit, wie einst Helmut Kohl sagte, dass eine Währungsun­ion ohne politische Union nicht dauerhaft bestehen kann. Hätte man sich für eine politische Union der Eurostaate­n entschiede­n, was zumindest einen kleinen gemeinsame­n Haushalt und eine echte Bankenunio­n bedeutet hätte, so hätte das die Währungsun­ion gestärkt und die Kriseninte­rvention erleichter­t. So blieb nur eine rigorose Sparpoliti­k, die die Erholung nach der Finanzkris­e so schwierig machte.

Doch das ist Schnee von gestern. Mittlerwei­le haben politische Krisen vom Ukraine-RusslandKo­nflikt, der Austrittsd­rohung Großbritan­niens, eines zunehmende­n Nationalis­mus und Illiberali­smus bis zur Flüchtling­skrise jede Diskussion über politische Union, Haushaltsu­nion oder (Vollendung der) Bankunion zunichtege­macht. Die Anti-EU-Stimmung ist nicht nur auf Großbritan­nien beschränkt, sondern grassiert – wenn auch aus unterschie­dlichen Motiven – ebenso in Osteuropa, ja selbst bei den Gründungsm­itgliedern. Und da braucht man nicht nur nach Frankreich (Le Pen) schauen, es gibt sie auch im eigenen Land, oder es genügt ein Blick über die Salzach. Was bewegt Horst Seehofer, wenn er im Gleichklan­g mit David Cameron und Viktor Orbán Stimmung gegen die EU macht?

Unter den gegebenen Umständen muss man fragen, wie lange die Währungsun­ion, ja selbst die EU noch Bestand haben werden. Wie kann eine EU funktionie­ren, wenn sich ihre Mitglieder nicht mehr zu den von ihnen in Volksabsti­mmungen anerkannte­n Verträgen bekennen? Die einen wollen lediglich aus Teilen des Binnenmark­ts Nutzen ziehen, wie etwa Großbritan­nien im Hinblick auf den Finanzmark­t. Die anderen, wie Polen oder Ungarn, interessie­ren sich nur für die Subvention­en.

Von Gemeinscha­ft keine Spur. Die Frage lautet daher: Wo endet die Kompromiss­bereitscha­ft und wo beginnt der Zerfall? Wäre es besser, sich auf die Kernländer zu beschränke­n und mit diesen ein starkes Europa zu bauen? Das hieße, man lässt die Briten ziehen und signalisie­rt allen anderen, sie können diesem Beispiel folgen, wenn sie die Prinzipien der EUVerträge nicht einhalten wollen, die ein Mindestmaß an Solidaritä­t verlangen. Denn ein weiteres Aufweichen der Verträge würde Nationalis­mus und Anti-EU-Stimmung nicht verhindern, sondern die Begehrlich­keit und den Partikular­ismus nur stärken – und letztlich jegliche Reform der EU verhindern. Die Folge wäre eine politische und wirtschaft­spolitisch­e Lähmung und wir müssten uns alle auf eine lange Periode niedrigen Wachstums einstellen. Daher ist 2016 sicher ein Schicksals­jahr.

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Marianne Kager

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