Kein Grund für Optimismus
Im Herbst haben die Konjunkturprognosen für 2016 noch verhaltenen Optimismus gezeigt, sowohl für die Weltwirtschaft als auch für Europa. Dafür gibt es mittlerweile nur noch wenig Grund.
Die EU und die Eurozone haben die Phase nach der Finanzkrise weniger gut gemeistert als die USA. In den vergangenen fünf Jahren lag das Wachstum mit durchschnittlich 1 (in der EU) beziehungsweise 0,3 Prozent (in der Eurozone) pro Jahr weit unter jenem der USA (2,1 Prozent). Auch für heuer ist der Unterschied beträchtlich, 1,9 (EU) beziehungsweise 1,6 Prozent (Eurozone) stehen 2,8 Prozent in den USA gegenüber.
Das hat viel damit zu tun, wie man mit der Krise in der Eurozone in den Jahren 2010 bis 2015 umgegangen ist. Oder damit, wie einst Helmut Kohl sagte, dass eine Währungsunion ohne politische Union nicht dauerhaft bestehen kann. Hätte man sich für eine politische Union der Eurostaaten entschieden, was zumindest einen kleinen gemeinsamen Haushalt und eine echte Bankenunion bedeutet hätte, so hätte das die Währungsunion gestärkt und die Krisenintervention erleichtert. So blieb nur eine rigorose Sparpolitik, die die Erholung nach der Finanzkrise so schwierig machte.
Doch das ist Schnee von gestern. Mittlerweile haben politische Krisen vom Ukraine-RusslandKonflikt, der Austrittsdrohung Großbritanniens, eines zunehmenden Nationalismus und Illiberalismus bis zur Flüchtlingskrise jede Diskussion über politische Union, Haushaltsunion oder (Vollendung der) Bankunion zunichtegemacht. Die Anti-EU-Stimmung ist nicht nur auf Großbritannien beschränkt, sondern grassiert – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven – ebenso in Osteuropa, ja selbst bei den Gründungsmitgliedern. Und da braucht man nicht nur nach Frankreich (Le Pen) schauen, es gibt sie auch im eigenen Land, oder es genügt ein Blick über die Salzach. Was bewegt Horst Seehofer, wenn er im Gleichklang mit David Cameron und Viktor Orbán Stimmung gegen die EU macht?
Unter den gegebenen Umständen muss man fragen, wie lange die Währungsunion, ja selbst die EU noch Bestand haben werden. Wie kann eine EU funktionieren, wenn sich ihre Mitglieder nicht mehr zu den von ihnen in Volksabstimmungen anerkannten Verträgen bekennen? Die einen wollen lediglich aus Teilen des Binnenmarkts Nutzen ziehen, wie etwa Großbritannien im Hinblick auf den Finanzmarkt. Die anderen, wie Polen oder Ungarn, interessieren sich nur für die Subventionen.
Von Gemeinschaft keine Spur. Die Frage lautet daher: Wo endet die Kompromissbereitschaft und wo beginnt der Zerfall? Wäre es besser, sich auf die Kernländer zu beschränken und mit diesen ein starkes Europa zu bauen? Das hieße, man lässt die Briten ziehen und signalisiert allen anderen, sie können diesem Beispiel folgen, wenn sie die Prinzipien der EUVerträge nicht einhalten wollen, die ein Mindestmaß an Solidarität verlangen. Denn ein weiteres Aufweichen der Verträge würde Nationalismus und Anti-EU-Stimmung nicht verhindern, sondern die Begehrlichkeit und den Partikularismus nur stärken – und letztlich jegliche Reform der EU verhindern. Die Folge wäre eine politische und wirtschaftspolitische Lähmung und wir müssten uns alle auf eine lange Periode niedrigen Wachstums einstellen. Daher ist 2016 sicher ein Schicksalsjahr.