Salzburger Nachrichten

„Teil des Bergs stürzte auf uns“

Sechs Tote nach einem Lawinenabg­ang in Südtirol. Auch der Direktor der Wirtschaft­skammer Tirol starb in den Schneemass­en. Eine Innsbrucke­rin wurde als Einzige lebend geborgen.

- SN, APA

Eine 42-jährige Innsbrucke­rin ist die einzige Person, die die Helfer lebend aus dem Schnee bergen konnten. Die Frau kam mit einer leichten Knieblessu­r davon, stand jedoch am Sonntag noch unter schwerem Schock: „Die Bergspitze stand vor uns, sie war nur wenige Meter von uns entfernt. Plötzlich habe ich einen riesigen Lärm gehört. Ein Teil des Bergs ist auf uns gestürzt. Die Erde ist mir unter den Füßen weggeglitt­en“, berichtete die Innsbrucke­rin der italienisc­hen Tageszeitu­ng „La Repubblica“.

Bei einem Lawinenabg­ang auf der Nordwestse­ite des Schneebige­n Nocks im Südtiroler Ahrntal sind am Samstag fünf Südtiroler im Alter von 16 bis 43 Jahren, darunter eine 32-jährige Frau, sowie der Direktor der Wirtschaft­skammer Tirol, Horst Wallner (48), ums Leben gekommen. Sie waren erfahrene Tourengehe­r und hatten entspreche­nde Ausrüstung bei sich. Insgesamt wurden 15 Personen verschütte­t, acht konnten sich selbst befreien.

Das jüngste Todesopfer der Katastroph­e ist der 16-jährige Matthias Gruber. Der Schüler aus dem Pustertal wurde von den Schneemass­en erfasst, während sich sein Vater in Sicherheit bringen konnte. Der Mann versuchte vergebens, seinen Sohn zu retten: „Ich will bei ihm bleiben, lasst mich bei ihm bleiben“, flehte der Mann die Helfer an, als er die traurige Gewissheit hatte. „Wir haben Matthias’ Leiche gefun- den, und der Vater hat kein Wort mehr gesagt, während wir die Leiche in den Hubschraub­er hievten. Gestern war für uns ein sehr schwerer Tag“, sagte Walter Unteregels­bacher, Mitglied der Rettungsei­nheiten, laut der Tageszeitu­ng „Corriere della Sera“.

Die Tourengehe­r führten Lawinenson­den mit, einige der Opfer waren sogar mit „Airbags“ausgestatt­et. Aber die Dimension der Lawine war enorm, wie der Chef der Rettungsei­nheiten im Pustertal, Josef Auer, berichtete. Die Bilanz dieses Unglücks hätte daher noch dramatisch­er ausfallen können. Eine Lawine in diesem Ausmaß sei nicht vorhersehb­ar gewesen, meinte Ein- satzleiter Lukas Forer vom Bergrettun­gsdienst. Vier Hubschraub­er, darunter ein Helikopter aus Lienz, und rund 100 Retter mit Suchhunden waren im schwierige­n Großeinsat­z. „Für Hubschraub­er sind Manöver auf einer derartigen Höhe komplizier­t. Außerdem war die Lawinenfro­nt sehr breit. Wir haben die Leichen mit den Lawinenson­den identifizi­eren können, die alle Tourengäng­er bei sich hatten“, sagte Auer.

Die Experten des Lawinenwar­ndienstes des Landes hatten die Lawinengef­ahr am Samstag – auch im Ahrntal – zwar als „mäßig“eingestuft (also auf Stufe 2 der fünfteilig­en Skala). Im Tagesverla­uf steige jedoch die Auslösewah­rscheinlic­hkeit und auch die Gefahr von spontanen Lawinen besonders im südexponie­rten Gelände an, hieß es auf der Internetse­ite des Warndienst­es. Der Schneebige Nock ist mit 3358 Metern Seehöhe nach dem Hochgall der zweithöchs­te Berg der Rieserfern­ergruppe, eines Gebirges im westlichen Teil der Hohen Tauern. Bei dem Lawinenung­lück handelt es sich um den schlimmste­n Vorfall dieser Art in dieser Region in den vergangene­n 20 Jahren. Die Lawine wurde von Augenzeuge­n als 150 Meter breite und 300 Meter lange Schneefron­t beschriebe­n, die sich krachend in Richtung Tal bewegte. Die Rettungsar­beiten seien sehr schwierig gewesen, erzählten Helfer, die mehrere Stunden lang im Einsatz standen. Die Verschütte­ten seien teilweise 100 Meter voneinande­r entfernt vom Schnee begraben worden, hieß es.

Der schneearme und eher milde Winter 2015/16 hat dennoch zu einigen schweren Lawinenung­lücken in den Alpen geführt. Allein in Österreich gab es seit September bereits zwölf Todesopfer. Beim bislang schwersten heimischen Lawinenung­lück starben am 6. Februar in der Wattener Lizum in Wattenberg (Bezirk Innsbruck-Land) fünf tschechisc­he Winterspor­tler.

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BILD: SN/ATHESIA/DOLOMITEN/DLIFE, GRAFIK: APA Die Rettungsar­beiten waren schwierig.

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