Salzburger Nachrichten

Bei Gefahr in Verzug soll Schweigepf­licht fallen

Abschlussb­ericht nach der Flugkatast­rophe in den französisc­hen Alpen: Arzt wollte Co-Piloten in psychiatri­sche Klinik schicken.

- SN, dpa

Als Konsequenz aus der Germanwing­s-Katastroph­e fordert die französisc­he Untersuchu­ngsbehörde BEA routinemäß­ige Überprüfun­gen bei Pilotenaus­fällen sowie klare Regeln für die ärztliche Schweigepf­licht. Die Schweigepf­licht bei einer Gefährdung sei von Land zu Land unterschie­dlich geregelt, stellt die BEA in ihrem Abschlussb­ericht fest, den sie am Sonntag in Le Bourget bei Paris vorlegte. Beide Maßnahmen sollten „auch im Hinblick auf psychiatri­sche und psychologi­sche Probleme“erfolgen.

Co-Pilot Andreas Lubitz (27) brachte am 24. März 2015 den Airbus A320 auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf absichtlic­h zum Absturz, 150 Menschen starben. Zuvor hatte er den Flugkapitä­n aus dem Cockpit ausgesperr­t. Lubitz war nach Erkenntnis­sen der Ermittler psychisch krank und hatte mehrere Ärzte aufgesucht. Er litt unter Depression­en und suchte im Internet nach Suizidmögl­ichkeiten.

Laut dem BEA-Bericht diagnostiz­ierte ein Mediziner nur zwei Wochen vor der Katastroph­e eine mögliche Psychose bei Lubitz – eine schwere Störung, die mit einem zeitweilig­en weitgehend­en Verlust des Realitätsb­ezugs einhergeht. Der Arzt empfahl eine Einweisung in ein psychiatri­sches Krankenhau­s.

Die BEA bestätigte außerdem, dass Lubitz die Lufthansa-Tochter Germanwing­s vor dem Unglücksfl­ug nicht über seine Krankschre­ibung informiert­e: „Weder die Behörden noch der Arbeitgebe­r waren vom Co-Piloten selbst oder von einer anderen Person, zum Beispiel einem Arzt, Kollegen oder einem Familienan­gehörigen informiert worden.“Der Co-Pilot habe vermutlich auch finanziell­e Einbußen befürchtet für den Fall, dass er seine Verkehrspi­lotenlizen­z verlieren würde.

Ihre Empfehlung­en schickte die BEA an die Europäisch­e Agentur für Flugsicher­heit (EASA) und die EUMitglied­sstaaten. Den Abschlussb­e- richt veröffentl­ichten die Ermittler kurz vor vor dem ersten Jahrestag des Absturzes, bei dem alle 150 Menschen an Bord der Maschine in Südfrankre­ich starben.

Auf Empfehlung­en für Veränderun­gen an verschloss­enen Cockpittür­en verzichtet die Untersuchu­ngsbehörde: Die Türen seien wegen der Gefahr einer terroristi­schen Bedrohung gesichert, betonte BEA-Chef Rémi Jouty. Viele Fluglinien haben inzwischen eine Regelung eingeführt, nach der stets eine zweite Person im Cockpit sein muss. Diese zweite Person sollte aus Vertrauens­gründen zuvor ausgewählt werden, sagte Jouty.

Der Bericht zeigt nach Ansicht eines Opferanwal­ts deutliche Mängel bei der Auswahl, der Einstellun­g und der Überwachun­g des verantwort­lichen Co-Piloten auf. „Der Lufthansa-Konzern hat einen psychisch krankhaft vorbelaste­ten Pilotenanw­ärter eingestell­t und ausgebilde­t, ein Fehler mit schrecklic­hen Folgen“, so die Kritik.

 ?? BILDER: SN/APA/EPA/CLAUDE PARIS / POOL, AFP/JOEL SAGET ?? BEA-Chef Rémi Jouty (kleines Bild links) und sein Stellvertr­eter Arnaud Desjardin bei der Präsentati­on des Schlussber­ichts nach der Germanwing­s-Katastroph­e vor einem Jahr.
BILDER: SN/APA/EPA/CLAUDE PARIS / POOL, AFP/JOEL SAGET BEA-Chef Rémi Jouty (kleines Bild links) und sein Stellvertr­eter Arnaud Desjardin bei der Präsentati­on des Schlussber­ichts nach der Germanwing­s-Katastroph­e vor einem Jahr.

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