Wie Franziskus seine Kirche verändert hat
Die einen möchten endlich Reformen sehen, die anderen befürchten, dass dieser Papst in der katholischen Kirche keinen Stein auf dem anderen lasse. Was haben die ersten drei Jahre Franziskus gebracht und wie lange kann er durchhalten?
Die SN ziehen Bilanz über drei Jahre Franziskus und fragen, wie lange dieser Papst durchhalten kann. Er selbst hat einmal von „vier, fünf Jahren“gesprochen. Allerdings zeigt Franziskus am Beginn seines vierten Jahres keinerlei Amtsmüdigkeit. Auf dem Reiseprogramm stehen Minsk, Krakau und ein Gedenken im Konzentrationslager Auschwitz. Noch vor Ostern will Franziskus als Ergebnis der Bischofssynode 2015 sein Lehrschreiben über Ehe und Familie unterzeichnen.
VATIKANSTADT. Mit zwei Ereignissen hatten die römisch-katholischen Christen im Februar/März vor drei Jahren nicht gerechnet: dass Papst Benedikt XVI. am Rosenmontag sein Amt zurücklegen und dass am 13. März 2013 tatsächlich ein Papst aus der Dritten Welt gewählt würde. Jorge Mario Bergoglio sagte selbst, die Kardinäle hätten ihn „vom Ende der Welt“geholt.
Eine Bilanz drei Jahre danach und was man noch erwarten darf.
1. Globale Weltkirche statt römischer Zentralismus
Die katholische Kirche hat mit Jorge Mario Bergoglio aufgehört, in ihren Entscheidungsinstanzen eine nur „europäische“Kirche zu sein. Und sie hat sich von einem autokratischen Papsttum abgenabelt, das einsame Entscheidungen trifft – so wie Johannes Paul II. am 22. Mai 1994 „kraft meines Amtes“erklärt hat, „dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben“.
Ganz anders Papst Franziskus in seinem ersten Lehrschreiben „Evangelii gaudium“, Nr. 16: „Ich glaube nicht, dass man vom päpstlichen Lehramt eine endgültige oder vollständige Aussage zu allen Fragen erwarten muss, welche Kirche und Welt betreffen . . . In diesem Sinn spüre ich die Notwendigkeit, in einer heilsamen ,Dezentralisierung‘ voranzuschreiten.“
2. Appell an Bischöfe: „Macht mir mutige Vorschläge“
Zu einer solchen Dezentralisierung gehören aber zwei: Einer, der die Zügel lockerer lässt, und andere, die mehr Verantwortung übernehmen. Franziskus wird keine Reformen „top down“durchsetzen. Er erwartet, dass Bischöfe in Rom nicht als „Jasager“auftreten, sondern couragiert. Die bequemen Zeiten für Bischofskonferenzen sind vorbei. Die Ausrede „Wir würden ja, wenn Rom nicht wäre“gilt nicht mehr.
In der Privataudienz für Bischof Erwin Kräutler am 4. April 2014 in Rom hat der Papst das ganz klar gesagt: Die Bischofskonferenzen soll- ten ihm „mutige Vorschläge“machen. Franziskus verwendete dabei den Begriff „corajudos“, einen Dialektausdruck aus Buenos Aires. Dieser meint eine Zivilcourage im Sinne des griechischen Wortes „Parrhesia“, das in der Apostelgeschichte mehrfach für Freimut, Furchtlosigkeit und Standhaftigkeit steht.
Die brasilianischen Bischöfe arbeiten an solchen „mutigen Vorschlägen“für neue Formen der Gemeindeleitung durch verheiratete Männer und Frauen – einschließlich der Sonntagsmesse.
3. Hinabgestiegen in das Reich der Menschen
Ganz offensichtlich war vom ersten Tag der Regierung des Papstes aus Lateinamerika, dass er den Menschen in ungeteilter Empathie und Solidarität nahe sein will. Bei Franziskus ist die Rede von der „Barmherzigkeit“keine Floskel, sondern täglich gelebte Wirklichkeit.
Religion sei nicht dazu da, den Menschen schwere Lasten aufzulegen, betonte der Papst bereits in „Evangelii gaudium“– und berief sich dabei auf höchste Autoritäten der katholischen Tradition: „Der heilige Thomas von Aquin betonte, dass die Vorschriften, die dem Volk Gottes von Christus und den Aposteln gegeben wurden, ,ganz wenige‘ sind.“Später hinzugefügte Vorschriften dürften den Gläubigen das Leben nicht schwer machen und das Christentum nicht in eine Sklaverei verwandeln.
4. Nicht jede Lehre ist gleich bedeutsam
Viel genauer als seine Vorgänger unterscheidet Franziskus zwischen zentralen und weniger wichtigen Lehren der Kirche. Er hat die sogenannte „Hierarchie der Wahrheiten“neu entdeckt. So sagte er in einem Interview für die Jesuitenzeitschrift „Civiltà Cattolica“(deutsch am 19. September 2013): „Die Lehren der Kirche – dogmatische wie moralische – sind nicht alle gleichwertig . . . Wir können uns nicht nur mit der Abtreibung befassen, mit homosexuellen Ehen, mit Verhütungsmethoden. Das geht nicht.“
Franziskus hält an moralischen Grundsätzen fest, aber er verurteilt nicht. Auf dem Rückflug vom Welt- jugendtag in Brasilien am 29. Juli 2013 sagte er auf die Frage nach seiner Haltung zur Homosexualität: „Wenn jemand schwul ist, den Herrn sucht und guten Willen hat, wer bin ich, über ihn zu urteilen?“
5. Seine Kapitalismuskritik tut weh
Der Papst aus Argentinien weiß, was Ausgrenzung und Armut bedeuten. Er sprach daher von „einer Wirtschaft, die tötet“– wozu die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“meinte, Franziskus vertrete „einen besonders grobschlächtigen Antikapitalismus“. Tatsächlich steht alles, was der Papst zu Wirtschaft und Ausbeutung gesagt hat, in der katholischen Soziallehre. Aber die ist abstrakte Theorie und tut keinem weh. Der Papst schon. Der Mann auf dem Stuhl Petri ist zwar bei Gott kein Linker. Aber was er sagt, findet breite Resonanz. Das stört die geschlossenen Kreise der Geldwirtschaft. Die Tageszeitung „Die Welt“hat treffsicher erkannt, dass Franziskus bei seiner Kritik an einem menschenverachtenden Turbokapitalismus nicht nur naiv „daherredet“. Nein, „er führt seine Kirche ganz durchdacht und konsequent, also jesuitisch, auf neue Pfade“.
6. Er muss sich nicht autoritär gebärden
Franziskus „residiert“im Gästehaus Santa Marta, Appartement 201. Dazu erzählt eine Episode: Ein junger Kardinal soll Franziskus förmlich gefragt haben: „Heiliger Vater, darf ich mich zu Ihnen setzen?“Der Papst soll geantwortet haben: „Aber bitte doch, heiliger Sohn.“
Wer befürchtet hatte, dass unter einem solchen persönlichen Umgang auf Augenhöhe die Autorität des Papstes leiden müsse, wurde eines Besseren belehrt. Gerade weil Franziskus auf die äußeren Insignien seines Amtes – einschließlich Hochsicherheitskarosse – demonstrativ verzichtet, hat er Autorität.
Und Franziskus ist „fast österreichisch gemütlich“, wie Bischof Erwin Kräutler aus seiner Privataudienz berichtet. „Man hat das Gefühl, einem äußerst umgänglichen Menschen zu begegnen, der nicht nur keinen Wert auf das Protokoll legt, sondern der dir in einer unkompli- zierten und unvoreingenommenen Offenheit begegnet.“
7. Er treibt Reformen langsam, aber stetig voran
Auf die Frage der SN, was man von Papst Franziskus an konkreten Reformen erwarten dürfe, sagte Luis Edmundo Zambrano Rojas, Priester und Poet am Titicacasee in Peru: „Nicht viel, auch wegen seines Alters. Aber er ist der Erste in einer Reihe von Päpsten aus der Dritten Welt. Daher dürfen wir von ihm und seinen Nachfolgern viel erwarten.“
Franziskus selbst glaubt, „dass man immer genügend Zeit braucht, um die Grundlagen für eine echte, wirksame Veränderung zu legen“. Bezeichnend dafür war, wie sich der Papst an die Bischofssynode über Ehe und Familie im Oktober 2015 „herangepirscht“hat. Zuerst setzte er durch eine weltweite Onlinebefragung ein Wegzeichen, dann ließ er im Oktober 2014 die Bischöfe in einer Vor-Synode in Rom alle Pro und Kontra diskutieren. Und welche Schlüsse er aus der eigentlichen Synode im Oktober 2015 in Rom zieht, hat er sich selbst vorbehalten. Dem Vernehmen nach wird Franziskus sein Schreiben zu Ehe und Familie am Tag des heiligen Josef, dem 19. März, veröffentlichen.
Der Rom-kritische Theologe Hermann Häring ist mit diesem Tempo nicht einverstanden. „Ich habe manchmal das Gefühl“, sagte Häring im SN-Interview, „dass Franziskus in seinem Papstamt noch nicht richtig angekommen ist. Er müsste irgendwann dogmatisch etwas erklären. Er kann nicht immer sagen, das mit dem Zölibat sei schwierig, und gleichzeitig daran festhalten, dass diese Tür zubleibt. Es läge am Papst, dass er sagt, wir eröffnen eine Diskussion – oder er schlägt selbst neue Lösungen vor.“
Tatsächlich gibt es dafür noch wenig Beispiele. Aber die Bischofssynode über Ehe und Familie ging ganz genau in diese Richtung.
8. Ein „wirklicher Papst“und globaler Player
Ein jüngerer, aus der Kirche ausgetretener Mann meinte in einem Gespräch über Franziskus: „Der ist ein wirklicher Papst.“Auf die Frage, was das heiße, sagte er: „Man glaubt ihm, dass es ihm um die Menschen und die wirkliche christliche Botschaft der Nächstenliebe und Barmherzigkeit geht. Er wäre tatsächlich ein Grund, wieder in die Kirche einzutreten.“
Auf den globalen Stellenwert von drei Jahren Papst Franziskus haben unlängst der Salzburger Dogmatiker Hans-Joachim Sander und der Grazer Pastoraltheologe Rainer Bucher hingewiesen. Sie meinen, dass der Kampf zwischen Arm und Reich härter werde. Daher würden Religionsgemeinschaften aufblühen, „die dem individuellen Erfolg wie dem öffentlichen Wohl Raum geben, speziell in Megastädten“.
Einem Menschen wie Papst Franziskus werde in dieser globalen Auseinandersetzung um Ressourcen und Verteilungsgerechtigkeit viel zugetraut. „Um die von Armut gebeutelte Ohnmacht verorten zu können und sie in Gerechtigkeit zu wandeln, braucht es einen globalisierungsfähigen Repräsentanten. Dafür ist die Figur dieses Papstes wie geschaffen.“
9. Wie lange halten er und seine Gesundheit durch?
Bleibt die bedrängende Frage, wie lange Jorge Mario Bergoglio, der seit jungen Jahren mit nur einem Lungenflügel lebt, den aufreibenden Job in Rom durchhalten kann. Im August 2015 hat der Papst über einen möglichen Rücktritt gesprochen. Sollten seine gesundheitlichen Beschwerden überhandnehmen, werde er dem Beispiel seines Vorgängers Benedikt XVI. folgen und sein Amt zurücklegen. „Ich habe das Gefühl, dass mein Pontifikat kurz sein wird. Vier oder fünf Jahre“, sagte Franziskus. Damals.
Drei Jahre sind jetzt vorbei – und neue Reisen bereits geplant.