Salzburg zaudert vor der großen Lösung
Der Herzchirurg Felix Unger über das Kunstherz und die Idee eines zukunftsträchtigen Universitätsklinikums in Salzburg. Was die Zauderei der Politik alles verhindert und wie die Europäische Union neu zu ordnen wäre.
SN: Vor 30 Jahren haben Sie das Kunstherz erfunden. Was ist daraus geworden? Felix Unger: Es war ein großer Türöffner und Durchbruch für den Herzersatz. Wir haben damals die erste Operation mit diesem Kunstherzen gemacht. Und wir haben gesehen, dass das funktionieren kann. Das hat Mut gemacht. Es wird heute nicht nur erfolgreich bei Transplantationen eingesetzt oder zur Überbrückung bis dahin. Man hat erstmals auch gesehen, dass sich auch viral angeschlagene Herzen wieder erholen können. Und so manchem ist durch den vorübergehenden Kunstherz-Einsatz dann eine Transplantation erspart geblieben. SN: Aber die ursprüngliche Hoffnung, das Kunstherz könnte ein natürliches Transplantationsherz komplett ersetzen, hat sich nicht bestätigt. Die Idee war tatsächlich zunächst ein totaler Herzersatz. Es hat sich herausgestellt, dass das gar nicht notwendig war. Der große Erfolg war, dass man erstmals die Wartezeit bis zum Finden eines Spenderherzens über einen längeren Zeitrahmen überbrücken konnte. SN: Sie waren ein Wegbereiter für eine moderne Transplantationschirurgie, aber in Salzburg, wo Sie lange als Primar der Herzchirurgie wirkten, hat es gar nie Transplantationen gegeben. Haben Sie das bereut? Unser Krankenhaus war nicht dafür ausgerichtet. Da hätte es zu großer Investitionen bedurft. Aber wir haben mit dem Kunstherzen einen wesentlichen Beitrag für die Transplantationschirurgie an anderen Plätzen geleistet. SN: Was hat sich in den 40 Jahren, in denen Sie als Mediziner tätig sind, wesentlich geändert? Ein Meilenstein ist die Verbesserung der Rekonstruktion der Herz- klappen. In der Schrittmachertechnologie wurde Sensationelles geleistet. Die heutigen Schrittmacher sind so groß wie ein Dragee. Dazu kommen neue Medikamente und die interventionelle Kardiologie. SN: Was hat sich bei den Patienten verändert? Als ich angefangen habe, war ein Alter von 60 Jahren eines Patienten ein Ausschlussgrund. Der wurde nicht mehr operiert. Zuletzt war meine älteste Patientin 96 Jahre. Die Dame hatte einen enormen Lebenswillen und sie hat nach der Operation sechs Jahre wunderbar gelebt. SN: Aber heute dominieren Wirtschaftsleute das Gesundheitswesen. Die werden ihre Zweifel anmelden, wenn Sie eine 96-jährige Frau operieren. Die Wirtschaft ist nicht das Primäre in der Medizin. Medizin muss rein nach dem, was der Patient braucht, gesteuert werden. Ich hatte nie mit den Wirtschaftsexperten ein Problem. Man muss ihnen nur erklären, was man braucht und warum. SN: Sie hatten einst die Idee, die Universitätskliniken Salzburg auf der grünen Wiese völlig neu zu errichten. Daraus ist nichts geworden. Die Idee ist nach wie vor aktuell. Durch die dauernd notwendigen Adaptierungen und Reparaturen an der nicht mehr zeitgemäßen Pavillonstruktur wird sehr viel Geld verbraten. Man könnte mit einem guten Konzept die alten Bestände ja auch verkaufen und damit einen Großteil der Investition hereinbekommen. Das ist eine Einstellungssache. Wenn man nicht den großen Blick dafür hat, wird man sich nicht drübertrauen. SN: Groß heißt ja nicht automatisch besser. Nein, nicht automatisch. Aber schauen wir die Salzburger Landeskliniken an. Die beiden Häuser Landeskrankenhaus und ChristianDoppler-Klinik nebeneinander be- deuten schon einen großen Verschleiß an Material und viele Leerläufe. Außerdem muss man sich sehr oft in alte Bauten zwängen und darunter leidet die ganze medizinische Erneuerung. In den USA wird ein Spital nach 25 Jahren abgerissen und ein neues aufgebaut. SN: Weil Sie die USA ansprechen. Sie hatten seinerzeit sehr enge Kontakte zu Guggenheim und den Bau eines Museums im Mönchsberg mit initiiert. Warum ist daraus nichts geworden? Schuld waren das Zaudern vor einer großen Lösung und das Fehlen eines großen Blicks. Man hätte ein Gefühl dafür entwickeln müssen, was das in 20 oder 30 Jahren bedeutet. Stattdessen ist das Thema in einem kleinkarierten politischen Hickhack untergegangen. Das passt zum Kleinmut und zur in Salzburg üblichen Zerrederei von größeren Projekten. Ich bin jetzt seit 30 Jahren hier. Schauen Sie sich einmal an, was beim Residenzplatz passiert oder beim Schwimmbad. Die Bremser sorgen immer dafür, dass es nicht gehen kann. SN: Was hat Salzburg durch den Nicht-Bau von Guggenheim versäumt? Einen großen Kunstschwerpunkt zusätzlich zu den Festspielen, diesmal das ganze Jahr hindurch. SN: Sie sind Präsident der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Die EU ist gerade dabei zu zerbröseln. Es ist erschütternd. Jetzt rächen sich die Versäumnisse der Vergangenheit. Europa bräuchte eine Verfassung, müsste eine Föderation sein mit einer klaren Regierung. Dass das so nicht funktioniert, sehen wir an der Flüchtlingskrise. SN: Aber Europa rückt nicht zusammen, sondern auseinander. Das ist das Erschreckendste. Dieser Trend zum Nationalismus. Ich kann aber nicht Europa haben wollen, wenn jeder an jeder Ecke etwas anderes macht. Europa braucht jetzt eine klare Führungsstruktur. SN: Kann die Europäische Akademie der Wissenschaften da etwas zur Verbesserung beitragen? Unter dem Titel „Next Europe“haben wir unsere 1900 Wissenschafter in ganz Europa dazu aufgerufen, ihre Vorstellungen vom Europa der Zukunft zu präzisieren. Das bisherige Europa betrachten wir als erledigt. Die erste Fragerunde hat erbracht, dass die Wissenschafter eine europäische Föderation mit einer eigenen Regierung wünschen.
Univ.-Prof. Dr. Felix Unger: