Zersplitterung bis zum politischen Stillstand
In Deutschland zerfranst nach dem linken nun auch das bürgerliche Lager. Koalitionen zu bilden wird immer schwieriger.
Lange Zeit blickten besorgte Österreicher mit einem gewissen Neid auf die politische Landschaft in Deutschland. Dort war bis vor Kurzem rechts von den Unionsparteien kein Platz. Das Gehabe der bayerischen CSU-Politiker mit ihrem Kurs ziemlich weit rechts von der doch maßvoll-bürgerlichen CDU hatte sogar eine Art folkloristischen Unterhaltungswert. Da bei bundesweiten Wahlen kein Spitzenpolitiker aus Bayern, nicht einmal Franz Josef Strauß, nördlich des Weißwurstäquators vermittelbar gewesen wäre, blieb die Bedrohung von rechts für die Bundesrepublik auch überschaubar.
Auf der anderen Seite zersplitterte sich das linke Lager zuerst durch die Gründung der Grünen, die der Sozialdemokratie einen wesentlichen Teil des Wählerpotenzials wegnahm, dann durch das Wegbrechen des linken Randes, der sich mit den abgehalfterten Resten der DDR-Staatspartei zur „Linken“zusammenfand. Damit hatte es die linke Reichshälfte ge- schafft, sich endgültig von der Hoffnung zu verabschieden, sie könnte je wieder allein die Richtung Deutschlands bestimmen. Ganz ähnlich wie in Österreich wurde damit zunächst die Große Koalition von Union und SPD zur einzig funktionierenden Basis einer Regierungsbildung.
Die Flüchtlingskrise und das Auftreten einer rechtsextremen selbsternannten Retterin des Abendlandes in gleich zwei Gestalten änderten diese Konstellation grundlegend. Die Pegida als Sprachrohr gegen jeden Moslem, der nach Deutschland kommt, und die AfD, die sich mehr vor der Einigkeit der Europäer fürchtet als vor der Wiederkehr jenes massenmörderischen Nationalismus, der das 20. Jahrhundert in Blut getaucht hat, besetzen jetzt den Platz rechts von der CDU. Dort treffen die beiden seit Kurzem auf den bajuwarischen Möchtegern-König Seehofer, der seine CSU immer mehr von der CDU loslöst. Offenbar glaubt er, nur so könne er seinen Platz an der Sonne in München bewahren. Also bilden die Unionsparteien keine Union mehr – zumindest, solange Seehofer seinen Kurs verfolgt.
Damit zersplittert sich das politische Spektrum in Deutschland in drei Parteien auf der Linken (SPD, Linkspartei und Grüne) und bald vier Parteien rechts bis ganz weit rechts der Mitte (CDU, FDP, CSU und AfD).
Das sind Konstellationen, wie wir sie in der Vergangenheit vor allem von Italien kannten, wo Regierungen sich auf die Zusammenarbeit von weit mehr als zwei oder drei Parteien zu stützen hatten und trotzdem das Schiff irgendwie am Laufen hielten. Freilich sieht man am Beispiel Italien auch, wie Entscheidungsprozesse im Morast der Parteienverhandlungen stecken bleiben und der Staatskarren schließlich blockiert ist.
VIKTOR.HERMANN@SALZBURG.COM