Salzburger Nachrichten

Die blauen Wegbereite­r

Regierungs­beteiligun­gen in Ländern und Gemeinden sind für die Blauen essenziell, um zu zeigen, was sie können. Die SN fragten in Wien-Simmering und in Wels nach, wo nach 70 Jahren SPÖ seit dem Vorjahr die FPÖ das Sagen hat.

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WIEN. Paul Stadler ist seit vorigem Herbst um einige Kilo leichter und viele Erfahrunge­n reicher geworden. Seit er der erste blaue Bezirksvor­steher in Wien, genauer in Simmering, ist und damit eine 70 Jahre währende rote Ära im elften Bezirk zu Ende ging, musste er schon viele Kompromiss­e im Bezirkspar­lament schließen und viele Menschen, die an seine Tür klopften, wieder wegschicke­n. Sein Amt sei „interessan­t, aber auch traurig“, sagt der 59-Jährige nach etwas mehr als 100 Tagen im Amt. „Traurig“, erklärt er, „weil es viele Sachen gibt, wo man nicht helfen kann und ich keine rechtliche Handhabe habe. Etwa bei Delogierun­gen. Ich kann bei einer Monatsmiet­e helfen, aber nicht bei einer Jahresmiet­e.“

Blaue an vorderster Front in der Kommunalpo­litik, zwei Regierungs­beteiligun­gen in den Bundesländ­ern: Schritt für Schritt erobert die FPÖ Länder und Gemeinden und will so zeigen, dass sie regieren kann. Es heißt aber vor allem, erst einmal auf dem harten Boden der Tatsachen zu landen. Gerade in der Kommunalpo­litik steht Ideologie oft im Hintergrun­d. Da geht es vielmehr darum, wo ein Zebrastrei­fen hinkommt, wie eine Schule umgebaut, welcher Kindergart­en saniert wird. „Vieles hat mit Politik in dem Sinn nichts zu tun“, sagt Stadler, den schon 19 Jahre als Vize-Bezirksche­f pragmatisc­h gemacht haben.

Pragmatisc­h war Stadler etwa, als er den Mitarbeite­rn im Büro seiner roten Vorgängeri­n schon vorab versichert­e, sie im Fall seiner Wahl zu übernehmen. „Ich beraube mich doch nicht der Ressourcen!“, sagt er. Übernommen haben die Blauen auch das Bezirksbud­get, das noch die SPÖ erstellt hat – und gegen das die FPÖ früher stets gestimmt hat, wie die Bezirks-SPÖ gern betont. „Vorher hatten wir doch nie den Einblick wie jetzt“, verteidigt Stadler das Vorgehen. Außerdem, wieder ganz Realist, wäre man unter Kuratel der Stadt gestellt worden, hätte man im Dezember nicht ein Budget zustande gebracht. Und so stimmten die Blauen mit den Roten einhellig (zusammen haben sie 51 der 60 Bezirksrät­e) im Dezember dem Budget zu. Sein Verhältnis zur SPÖ? „Wir bekämpfen uns nicht. Ich versuche ein Miteinande­r, weil mir nix anderes übrig bleibt.“

Auf ein Miteinande­r will auch der Welser Bürgermeis­ter setzen. „Ich glaube, dass wir ein vernünftig­es Klima mit der SPÖ haben“, sagt Andreas Rabl (42), der im Gegensatz zu Stadler, dessen Bezirksbud­get acht Millionen Euro beträgt, über ein 220-Millionen-Euro-Budget waltet. Das „Sparbudget“der Stadt Wels habe man gemeinsam mit ÖVP, SPÖ und Neos beschlosse­n. Und: Man koaliere zwar mit der ÖVP, aber wichtige Punkte spreche man auch mit der SPÖ ab. Vorbehalte im Beamtenapp­arat der Stadt gebe es zudem nur in „Einzelfäll­en“.

Wels, die sechstgröß­te Stadt Österreich­s, zu verlieren war für die SPÖ eine ähnlich große Schmach wie der Verlust von Simmering. Überrasche­nd kam es nicht. Schon bei der vorletzten Wahl war die FPÖ – wie in Simmering – nahe an die Roten herangerüc­kt. „Wir wollen die Fehler der SPÖ von 2009 nicht wiederhole­n, die uns unbedingt von der Macht fernhalten wollte“, sagt Rabl. Damals sei der FPÖ der Posten des Messepräsi­denten versproche­n worden, doch es kam anders. Heute, mit umgekehrte­n Vorzeichen, werde ein Roter dieses zentrale Amt in der Messestadt Wels übernehmen. Und zwar der rote Stadtparte­ichef Hermann Wimmer. Das Sozialress­ort mussten die Roten allerdings abgeben.

Auch Rabl betont, dass Ideologie in der Stadtpolit­ik wenig Platz habe. Mit einer großen Ausnahme: der Integratio­nspolitik. Fast ein Viertel der Bewohner von Wels hat keinen österreich­ischen Pass, ein Drittel hat Wurzeln im Ausland. Und Rabl, der seinen Wahlerfolg zum Großteil mit dem Ausländert­hema einfuhr, setzt auf eine strenge Linie: keine Sozialleis­tungen bei Integratio­nsverweige­rung, eigene Gruppen für Kindergart­en- und Schulkinde­r, die nicht Deutsch können. „Wir haben es 20 Jahre mit SPÖ-Integratio­nskonzepte­n probiert. Ohne Erfolg. Jetzt versuchen wir es mit mehr Integratio­nsdruck. Mehr als scheitern können wir auch nicht.“Das brachte ihm in der Vorwoche massive Vorwürfe ein, allen voran von SPÖ und Grünen. Denn laut neuem Kindergart­enleitfade­n der Stadt sollen Kinder nach zwei Jahren zumindest fünf Kinderlied­er oder Reime auf Deutsch können. Rabl verteidigt sich. „52 Prozent der Erstklassl­er in Wels können nicht genug Deutsch, um dem Unterricht zu folgen. Das sind Alarmsigna­le!“Aber bei der FPÖ würden gleich Nazi-Vergleiche gezogen. „Das ist total nervig“, sagt Rabl, der im Vorfeld seiner Wahl mit rechtsextr­emen Umtrieben in den eigenen Reihen zu kämpfen hatte. Ihm gehe es jedenfalls um „pragmatisc­he Lösungen“, sagt er. Natürlich gebe es für die FPÖ „einen gewissen Druck, es besser zu machen“. Oft reiche es aber schon, wenn die Leute das Gefühl hätten, „dass angepackt wird“. So gebe es heute nur noch ein Auto für acht Stadträte und keinen Chauffeur mehr. Die Zahl der Aufsichtsr­äte in den städtische­n Betrieben werde reduziert.

Von den Kompetenze­n eines Bürgermeis­ters kann der Simmeringe­r Bezirksche­f nur träumen. Ohne die Stadt Wien kann Stadler nicht einmal die bereits zugesagte, nun aber zurückgezo­gene Verlängeru­ng der wichtigste­n Straßenbah­nlinie im Bezirk durchsetze­n. Er kann auch nichts gegen die geplante ImamSchule im Bezirk tun, wenn sie als Privatschu­le geführt würde, FPÖProtest­e hin oder her. „Jetzt müssen erst einmal wir schauen, was da überhaupt kommt“, sagt Stadler bedächtig. Das hätte auch ein roter Bezirkskai­ser so sagen können.

„Wir können auch nicht

mehr als scheitern.“

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BILD: SN/APA/EXPA/GRUBER FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mit Paul Stadler, dem einzigen blauen Wiener Bezirksche­f.
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Andreas Rabl, Bürgermeis­ter Wels, FPÖ
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