Frau Smith greift zart nach der Erinnerung
Es erweist sich immer mehr, dass Patti Smith eher zufällig als Poetin des Punk berühmt wurde. Im Grund ist sie mitfühlende Dichterin.
Wer an Patti Smith denkt, wer sich in einen ihrer Songs stürzt, hört eine kraftvolle, eine würdevolle Stimme. Diese Stimme dringt von dort zu uns, wo Nachdenklichkeit und Wut sich auf ein Packerl schmeißen und emotionale Dichte kreieren. Daraus wächst die Kraft der unnachahmlichen Poetin des Punk, die sie seit 40 Jahren ist.
Und es muss, wer an diese Patti Smith denkt, immer auch Gedankentiefe, ja Verlust und Sorge mitfühlen. An dieser Schnittstelle des Verlorengehens – im Leben und in Gedanken, in Erinnerungen voller Zärtlichkeit siedelt dann aber eher die Schriftstellerin Smith und nicht die Sängerin.
Ihr neues Buch „M Train“kann so gelesen werden – als eine Erinnerung, in der sich Schönheit und Scherz verbinden. Die ist – trotz vieler Tiefschläge – je nach Sicht heillos oder wundervoll optimistisch. „Ich glaube an Bewegung. Ich glaub an diese unbekümmerte Kugel, die Welt“, steht da. Diese Haltung, keineswegs naiv hippiesk, sondern überzeugt ausdauernd, kommt einem bei jedem Wort, bei jeder Melodie dieser Frau entgegen – und mag sie noch so harsch formulieren oder die Verstärker hochdrehen.
Patti Smith, die im Dezember 70 Jahre alt wird, entblößt sich beim Stöbern in ihrem Leben.
Aber sie tut es nicht so, wie das neuerdings üblich ist: Sie ballert die Welt nicht zu mit Banalitäten, schon gar nicht, weil man damit Werbung in eigener Sache machen möchte. So eine Verblödung auf dem Altar des Marketings und auf den Verkaufsständen der Selbstvermarkter hat Smith nicht nötig. Ohne dieses Buch hätte sie dennoch einen fixen Platz im kulturellen Universum der Gegenwart.
Dort, wo sie den Alltag des Mutterseins, des Ehefrauseins, der Verliebtheit und des Abschieds, ihrer Vielleserei (so viele unverzichtbare Buchtipps wie in „M Train“bekommt man selten) und der Zuneigung zu Kunst erzählt, kriecht Smith immer in ihr Inneres. Und dieses Innere begegnet den „normalen“Dingen des Lebens. Die aber kann sie – wie in einem großen Song – stets mühelos mit der Restwelt verknüpfen.
Was sie erlebt und fühlt beim Muschelsammeln, an den Gräbern ihrer Helden – allen voran Arthur Rimbaud, erlebt nur sie. Was sie in diesem Erleben erkennt, das aber kann für alle zählen. Was sie berichtet – und viel geht es dabei um die Beziehung zu ihrem Ehemann Fred Sonic Smith (der Gitarrist starb 1994 früh im Alter von 45 Jahren, vier Jahre nach dem Tod des gemeinsamen Sohns Robert) –, mag nur ihr passiert sein, es sprengt aber doch den Rahmen des Autobiografischen und bekommt durch ihre Sprache, durch ihr In-sich-Hören einen Bezug zur Welt.
„Just Kids“, nach einigen Gedichtbänden ihr erstes literarisches Erzählwerk, das 2010 erschien und weltweit gefeiert wurde, verfolgt einen klaren Weg. Es zeichnet die Geschichte von der Kindheit bis zur Berühmtheit nach. „M Train“beschreibt keinen solch bestimmten Weg. „M Train“dreht sich weniger darum, Erfolg zu erreichen, als ihn zu überleben – als Künstlerin, mehr noch aber als „normale“Frau, als Mutter, als Ehefrau. Das Leben mit ihrem geliebten Fred, so schreibt sie, erscheine ihr „wie ein Wunder, ein Wunder das nur möglich war durch eine innere Verbundenheit, ein stilles Aufeinander-Abgestimmtsein wie die Zahnrädchen einer Uhr“.
In „M Train“flaniert Smith, sie schlendert und in diesem Schlendern greift sie nach allem, was sie liebt(e), was ihr Herz berührt und ihren Geist weckt. Und auch nach zig Tassen schwarzem Kaffee greift sie. Das ist „ihre Droge“, die einen – wie auch die Kaffeehäuser, in denen sie lesend oder schreibend sinniert – bei Lesen durch das ganze Buch begleitet. Deutlich wird sogar bei der literarischen Umsetzung dieser Hinwendung zu Kaffee, dass da eine Poetin wirkt, eine Dichterin, die das Leben niemals leichtnimmt, aber in Worten fast spielerisch bis in alle Ecken und Tiefen zu fassen bekommt. „Was ich berührte, war lebendig“, schreibt sie.
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