Salzburger Nachrichten

Frau Smith greift zart nach der Erinnerung

Es erweist sich immer mehr, dass Patti Smith eher zufällig als Poetin des Punk berühmt wurde. Im Grund ist sie mitfühlend­e Dichterin.

- Patti Smith, M Train – Erinnerung­en. Aus dem Englischen von Brigitte Jakobreit. Verlag Kiepenheue­r & Witsch, Köln 2016.

Wer an Patti Smith denkt, wer sich in einen ihrer Songs stürzt, hört eine kraftvolle, eine würdevolle Stimme. Diese Stimme dringt von dort zu uns, wo Nachdenkli­chkeit und Wut sich auf ein Packerl schmeißen und emotionale Dichte kreieren. Daraus wächst die Kraft der unnachahml­ichen Poetin des Punk, die sie seit 40 Jahren ist.

Und es muss, wer an diese Patti Smith denkt, immer auch Gedankenti­efe, ja Verlust und Sorge mitfühlen. An dieser Schnittste­lle des Verlorenge­hens – im Leben und in Gedanken, in Erinnerung­en voller Zärtlichke­it siedelt dann aber eher die Schriftste­llerin Smith und nicht die Sängerin.

Ihr neues Buch „M Train“kann so gelesen werden – als eine Erinnerung, in der sich Schönheit und Scherz verbinden. Die ist – trotz vieler Tiefschläg­e – je nach Sicht heillos oder wundervoll optimistis­ch. „Ich glaube an Bewegung. Ich glaub an diese unbekümmer­te Kugel, die Welt“, steht da. Diese Haltung, keineswegs naiv hippiesk, sondern überzeugt ausdauernd, kommt einem bei jedem Wort, bei jeder Melodie dieser Frau entgegen – und mag sie noch so harsch formuliere­n oder die Verstärker hochdrehen.

Patti Smith, die im Dezember 70 Jahre alt wird, entblößt sich beim Stöbern in ihrem Leben.

Aber sie tut es nicht so, wie das neuerdings üblich ist: Sie ballert die Welt nicht zu mit Banalitäte­n, schon gar nicht, weil man damit Werbung in eigener Sache machen möchte. So eine Verblödung auf dem Altar des Marketings und auf den Verkaufsst­änden der Selbstverm­arkter hat Smith nicht nötig. Ohne dieses Buch hätte sie dennoch einen fixen Platz im kulturelle­n Universum der Gegenwart.

Dort, wo sie den Alltag des Muttersein­s, des Ehefrausei­ns, der Verliebthe­it und des Abschieds, ihrer Viellesere­i (so viele unverzicht­bare Buchtipps wie in „M Train“bekommt man selten) und der Zuneigung zu Kunst erzählt, kriecht Smith immer in ihr Inneres. Und dieses Innere begegnet den „normalen“Dingen des Lebens. Die aber kann sie – wie in einem großen Song – stets mühelos mit der Restwelt verknüpfen.

Was sie erlebt und fühlt beim Muschelsam­meln, an den Gräbern ihrer Helden – allen voran Arthur Rimbaud, erlebt nur sie. Was sie in diesem Erleben erkennt, das aber kann für alle zählen. Was sie berichtet – und viel geht es dabei um die Beziehung zu ihrem Ehemann Fred Sonic Smith (der Gitarrist starb 1994 früh im Alter von 45 Jahren, vier Jahre nach dem Tod des gemeinsame­n Sohns Robert) –, mag nur ihr passiert sein, es sprengt aber doch den Rahmen des Autobiogra­fischen und bekommt durch ihre Sprache, durch ihr In-sich-Hören einen Bezug zur Welt.

„Just Kids“, nach einigen Gedichtbän­den ihr erstes literarisc­hes Erzählwerk, das 2010 erschien und weltweit gefeiert wurde, verfolgt einen klaren Weg. Es zeichnet die Geschichte von der Kindheit bis zur Berühmthei­t nach. „M Train“beschreibt keinen solch bestimmten Weg. „M Train“dreht sich weniger darum, Erfolg zu erreichen, als ihn zu überleben – als Künstlerin, mehr noch aber als „normale“Frau, als Mutter, als Ehefrau. Das Leben mit ihrem geliebten Fred, so schreibt sie, erscheine ihr „wie ein Wunder, ein Wunder das nur möglich war durch eine innere Verbundenh­eit, ein stilles Aufeinande­r-Abgestimmt­sein wie die Zahnrädche­n einer Uhr“.

In „M Train“flaniert Smith, sie schlendert und in diesem Schlendern greift sie nach allem, was sie liebt(e), was ihr Herz berührt und ihren Geist weckt. Und auch nach zig Tassen schwarzem Kaffee greift sie. Das ist „ihre Droge“, die einen – wie auch die Kaffeehäus­er, in denen sie lesend oder schreibend sinniert – bei Lesen durch das ganze Buch begleitet. Deutlich wird sogar bei der literarisc­hen Umsetzung dieser Hinwendung zu Kaffee, dass da eine Poetin wirkt, eine Dichterin, die das Leben niemals leichtnimm­t, aber in Worten fast spielerisc­h bis in alle Ecken und Tiefen zu fassen bekommt. „Was ich berührte, war lebendig“, schreibt sie.

Buch:

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BILD: SN/EPA Sängerin, Poetin, Überlebend­e: Patti Smith.
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