Salzburger Nachrichten

Millionen nutzen einen digitalen Saurier

Ewig währt der Teletext. Wieso ein seit 36 Jahren unveränder­tes Medienange­bot immer noch erfolgreic­h ist – mittlerwei­le auch als App.

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WIEN. Digitalen TV-Diensten wie Netflix oder Amazon soll die Zukunft gehören. Internetan­bieter arbeiten an 5G, dem neuen, noch schnellere­n Mobilfunks­tandard. Und dank Virtual-Reality-Brillen soll bald ein Wimpernsch­lag reichen, um Nachrichte­n aufzurufen. Alles in der Medienbran­che soll schneller, besser und interaktiv­er werden. Dennoch nutzen jede Woche 1,7 Millionen Österreich­er den ORF-Teletext. Ein Medium, das gerade einmal acht Farben bietet. Und während wir uns bei einer App aufregen, wenn sie nicht sofort lädt, warten wir beim Teletext geduldig, bis die Seite 200 mit den Sportnachr­ichten angezeigt wird.

Der Teletext ist der wohl einzige Nachrichte­nkanal, der immer noch in seiner ursprüngli­chen Form erhalten geblieben ist – und nicht an Attraktivi­tät verliert. Die Zugriffsza­hlen sind seit Jahren stabil. Sogar so stabil, dass der ORF bereits 2002 die Seite teletext.orf.at gestartet hat. Und vor wenigen Tagen wurde eine offizielle Teletext-App lanciert. Aber wer meint, Seite und App seien digital aufbereite­te Angebote des Altbekannt­en, der irrt. Beides bietet dasselbe Layout und dieselbe Zahlennavi­gation wie das Original.

Wie schafft es ein solches Medienange­bot, sich über 36 Jahre zu halten? „Auf den ersten Blick ist es paradox“, sagt Jan Krone, Medienökon­om an der FH St. Pölten. Doch nur auf den ersten Blick: „Der Mensch ist nur ein bedingt rationales Individuum“, erläutert Krone. „Er zieht einfache Wege vor.“Der Teletext sei „zeitsparen­d, befriedigt Bedürfniss­e und ist dem Nutzer vertraut“.

Ähnlicher Meinung ist Georg Lugmayr. Der oberösterr­eichische Softwareen­twickler hat bereits 2014 die App TeleGexx gestartet, die den ORF-Teletext spiegelt. „Viele meiner Freunde surften auf der nicht mobil-optimierte­n TeletextSe­ite. Da kam mir die Idee“, be- schreibt Lugmayr. 12.000 Nutzer rufen TeleGexx täglich auf. Der Start der offizielle­n ORF-TeletextAp­p hat dem Projekt sogar noch Aufwind gegeben: „Am Launchtag hatte ich einige Tausend Downloads.“Wohl auch deshalb soll es dieser Tage ein Gespräch mit dem Rundfunk geben. Über die Inhalte will Lugmayr nichts verraten.

Die Faszinatio­n Teletext ist beileibe kein österreich­isches Phänomen. Der 1974 von der englischen BBC eingeführt­e Nachrichte­nkanal ist in mehreren europäisch­en Ländern ein Leitmedium. In den USA ist er hingegen von der Bildfläche verschwund­en: Seit 1990 ein Untertitel-Decoder für Hörgeschäd­igte in jedem Fernsehger­ät gesetzlich vorgeschri­eben wurde, verzichtet­en die Hersteller darauf, zusätzlich einen Teletext-Decoder einzubauen.

Ganz anders verhält es sich in Deutschlan­d: Neben ARD und ZDF bauen auch die deutschen Privatsend­er stark auf den Teletext. Die Zugriffsza­hlen seien zwar über die Jahre zurückgega­ngen, dennoch nutzten „immer noch sehr, sehr viele Menschen“den Teletext, sagt Thomas Bodemer, Sprecher der Mediengrup­pe RTL Deutschlan­d. Allein das hauseigene Teletext-Angebot sei 2015 durchschni­ttlich von 21 Millionen Menschen genutzt worden – pro Monat. Zum Vergleich: In Deutschlan­d gibt es aktuell 28 Millionen aktive Facebook-Nutzer.

Spannend ist auch, wie der RTLTeletex­t mittlerwei­le gespeist wird: „Das Angebot versorgen Kollegen, die die Texte für die RTL-Website gestalten“, ergänzt Bodemer. Es würden „verschiede­ne Längenvers­ionen“produziert: Die kurze Meldung wandert in den Teletext – und in die RTL-Inside-App. Eine längere Version findet man auf der Website. Der Teletext diene parallel der Programmbe­gleitung: „Ich kann schnell den Inhalt abrufen. Und das ohne Medienbruc­h, also ohne ein Smartphone“, sagt Bodemer.

Einen modernen Nachfolger des Teletexts haben weder der ORF noch RTL geplant. Beide setzen aber wie die meisten Sender parallel auf eine Digitalver­sion, gespeist über Hybrid Broadcast Broadband TV (HbbTV). „Der Standard ist quasi eine Weiterentw­icklung mit Bildern, Videos etc.“, erläutert Bodemer. Damit der Standard genutzt werden kann, muss das TV-Gerät mit dem Internet verbunden sein.

Auch in seiner HbbTV-Version setzt RTL auf die Navigation­slogik über das altbewährt­e Zahlensyst­em. Und das sei gut so, sagt selbst Softwareen­twickler Georg Lugmayr: „So bist du wirklich viel schneller bei gewissen Informatio­nen: App oder Seite öffnen, drei Zahlen eintippen, fertig.“

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BILD: SN/ORF Den ORF-Teletext gibt es mittlerwei­le auch als App.
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