Was nicht perfekt ist, landet im Müll
Genormt und makellos müssen unser Obst und Gemüse sein. Der Lebensmittelhandel wirft deshalb jährlich 36.000 Tonnen weg.
WIEN. Was immer man sich an Obst und Gemüse in den Einkaufswagen legt – es sollte perfekt aussehen. Keine Dellen, keine Buckel, keine Schrumpel, nicht der kleinste Fleck. Am besten das ganze Jahr über, tagtäglich bis in die Abendstunden. Doch diese allgegenwärtige Verfügbarkeit hat ihren Preis. Laut einer Studie von ECR Austria landen im heimischen Lebensmittelhandel pro Jahr rund 36.000 Tonnen Obst und Gemüse im Müll. Weit mehr dürfte allerdings in der Landwirtschaft verloren gehen. In Bayern wurden 2012 knapp 290.000 Tonnen Obst und Gemüse geerntet, die nie den Endverbraucher erreichten. Ursachen: Transport- und Lagerverluste sowie Schädlingsbefall.
Für Österreich gibt es solche Zahlen noch nicht – Schätzungen schon: „Bei Erdäpfeln, Karotten und Zwiebeln werden je nach Qualität und Ernte 30 bis 40 Pro- zent ausgeschieden. Diese enormen Mengen, die am Feld liegen bleiben, werden so gut wie nicht erhoben“, sagt Tobias Judmaier. Der Tiroler hat sich auf das Aufspüren weggeworfener Lebensmittel speziali- siert, die er in schmackhafte Speisen verwandelt und anschließend via Lieferservice oder Catering unter die Leute bringt. Er ist also sowohl „Waste Diver“als auch „Waste Cooker“. Dass man derart viel zur Ausschussware erklärt, liegt zum Teil an den Lebensmittelnormen. Ein Beispiel: Die Vermarktungsnorm für Äpfel ist 24 Seiten stark und enthält exakte Richtlinien zu Mindestfärbung, Schalenfehler, Berostung, Beschaffenheit des Fruchtfleisches, Mindestgrößen, Mindestgewicht, Gleichmäßigkeit im Millimeterbereich, Verpackung und Identifizierung. „Dabei dreht sich nicht alles nur um die Handelsnor- men. Der größte Teil hat Kratzer und kleine Schäden und wird deshalb ausgesondert“, präzisiert Judmaier, der mit der „totalen Überversorgung“hart ins Gericht geht: „Wir haben völlig verlernt, einen Speiseplan für die Woche zu erstellen, wir finden es spitze, fünf Minuten vor sieben in den Supermarkt zu gehen und zu überlegen, was wir essen wollen.“Sein Ansatz: Der Konsument sollte regional und saisonal einkaufen. Denn die Verluste bei Überseetransporten seien noch viel höher. Knoblauch aus China, Petersilie aus Kenia – die Politik habe da einen Aufklärungsauftrag. „Ich bin für mündige Konsumenten, doch man kann ihnen nicht aufbürden, durch ihr Kaufverhalten die Welt zu verändern.“
Einige Lebensmittelketten denken bereits um. Bei Hofer werden etwa Obst und Gemüse nicht bis zum Ladenschluss nachgefüllt. Was weg ist, ist weg. Und bei Billa werden Wunderlinge, also Ernteprodukte mit eigenwilligem Aussehen, angeboten. Beim Gemüse-Großproduzenten LGV Wien ginge der Ausschuss ohnehin gegen null, so Vorstand Michael Wehofer. Ein Großteil der 37.200 Jahrestonnen werde nämlich im Glashaus gezüchtet, weshalb es viel einfacher sei, den Normen zu entsprechen.