Das Loch-Ness-Monster hat Geschwister bekommen
Zwei Mal im Jahr steigt die Erregung über die Zeit. Die Umstellung auf Sommerzeit soll mittlerweile an fast allem schuld sein.
Die Aufregung ist jedes Jahr dieselbe – und das (im Gegensatz zum Theater um das Loch-NessMonster im Sommer) gleich zwei Mal: ein Mal im Frühling, ein Mal im Herbst. Die Umstellung der Uhren auf die Sommerzeit ist manchen Menschen solch ein Ärgernis, dass sie tagelang darüber diskutieren können. Da geraten Flüchtlingsproblem und internationaler Terrorismus nahezu in Vergessenheit, kaum jemand spricht mehr über die Präsidentschaftswahlen in den USA oder die Möglichkeit, dass die Briten die Europäische Union verlassen könnten, das Zika-Virus, das noch vor ein paar Wochen als apokalyptische Bedrohung über uns allen zu schweben schien, ist wie weggewischt aus der öffentlichen Debatte. Denn jetzt geht’s gegen die Sommerzeit.
Die Bauern und ihre Kühe müssen herhalten als Zeugen – im Frühjahr, weil die Kühe eine Stunde später gemolken werden, im Herbst, weil sie plötzlich früher Milch geben sollen. Die Kinder und Jugendlichen leiden in der Schule an der Zeitumstellung, der Büroschlaf kommt durcheinander, jüngst tauchte eine Statistik auf, die einen direkten Zusammenhang zwischen der Umstellung auf Sommerzeit und der Häufigkeit von Herzinfarkten unterstellte.
Seltsam dabei sind gleich ein paar Dinge. Zum einen hat sich von jenen, die jetzt über die Unerträglichkeit der Sommerzeit jammern, noch keiner über die maßlose Unbeständigkeit der Natur beklagt. Denn immerhin geht an keinen zwei Tagen des ersten Halbjahres die Sonne zur gleichen Zeit auf. Wir verlassen im Winter das Haus in stockfinsterer Nacht und werden im Sommer zu nachtschlafender Zeit von der Sonne geweckt. Wollte jemand tatsächlich im vollen Einklang mit der Natur leben, müsste er sich wohl diesem Rhythmus anpassen – na, das ergäbe Zeitverschiebungen ganz anderer Dimensionen.
Seltsam ist auch, dass viele jener, die die „gestohlene Stunde“beklagen, nichts dabei finden, schnell einmal für ein verlängertes Wochenende nach London zu fliegen und diese Zeitumstellung von einer Stunde zwei Mal binnen vier Tagen zu erleiden. Viele Leute machen in Thailand Ferien (Zeitunterschied im Winter sechs Stunden), brauchen die erste Urlaubswoche dazu, den Jetlag zu verkraften, und kämpfen nach dem Urlaub eine Woche im Büro mit dem Schlaf – wiederum wegen der Zeitumstellung.
Und Statistiken können jeden Zusammenhang beweisen und das Gegenteil davon auch gleich. So steht statistisch fest, dass die Storchenpopulation in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten drastisch abgenommen hat. Auch die Geburtenrate in Österreich ist dramatisch gesunken. Aber ist das schon ein Beweis, dass der Storch die Kinder bringt?