Salzburger Nachrichten

Das Loch-Ness-Monster hat Geschwiste­r bekommen

Zwei Mal im Jahr steigt die Erregung über die Zeit. Die Umstellung auf Sommerzeit soll mittlerwei­le an fast allem schuld sein.

- VIKTOR.HERMANN@SALZBURG.COM

Die Aufregung ist jedes Jahr dieselbe – und das (im Gegensatz zum Theater um das Loch-NessMonste­r im Sommer) gleich zwei Mal: ein Mal im Frühling, ein Mal im Herbst. Die Umstellung der Uhren auf die Sommerzeit ist manchen Menschen solch ein Ärgernis, dass sie tagelang darüber diskutiere­n können. Da geraten Flüchtling­sproblem und internatio­naler Terrorismu­s nahezu in Vergessenh­eit, kaum jemand spricht mehr über die Präsidents­chaftswahl­en in den USA oder die Möglichkei­t, dass die Briten die Europäisch­e Union verlassen könnten, das Zika-Virus, das noch vor ein paar Wochen als apokalypti­sche Bedrohung über uns allen zu schweben schien, ist wie weggewisch­t aus der öffentlich­en Debatte. Denn jetzt geht’s gegen die Sommerzeit.

Die Bauern und ihre Kühe müssen herhalten als Zeugen – im Frühjahr, weil die Kühe eine Stunde später gemolken werden, im Herbst, weil sie plötzlich früher Milch geben sollen. Die Kinder und Jugendlich­en leiden in der Schule an der Zeitumstel­lung, der Büroschlaf kommt durcheinan­der, jüngst tauchte eine Statistik auf, die einen direkten Zusammenha­ng zwischen der Umstellung auf Sommerzeit und der Häufigkeit von Herzinfark­ten unterstell­te.

Seltsam dabei sind gleich ein paar Dinge. Zum einen hat sich von jenen, die jetzt über die Unerträgli­chkeit der Sommerzeit jammern, noch keiner über die maßlose Unbeständi­gkeit der Natur beklagt. Denn immerhin geht an keinen zwei Tagen des ersten Halbjahres die Sonne zur gleichen Zeit auf. Wir verlassen im Winter das Haus in stockfinst­erer Nacht und werden im Sommer zu nachtschla­fender Zeit von der Sonne geweckt. Wollte jemand tatsächlic­h im vollen Einklang mit der Natur leben, müsste er sich wohl diesem Rhythmus anpassen – na, das ergäbe Zeitversch­iebungen ganz anderer Dimensione­n.

Seltsam ist auch, dass viele jener, die die „gestohlene Stunde“beklagen, nichts dabei finden, schnell einmal für ein verlängert­es Wochenende nach London zu fliegen und diese Zeitumstel­lung von einer Stunde zwei Mal binnen vier Tagen zu erleiden. Viele Leute machen in Thailand Ferien (Zeitunters­chied im Winter sechs Stunden), brauchen die erste Urlaubswoc­he dazu, den Jetlag zu verkraften, und kämpfen nach dem Urlaub eine Woche im Büro mit dem Schlaf – wiederum wegen der Zeitumstel­lung.

Und Statistike­n können jeden Zusammenha­ng beweisen und das Gegenteil davon auch gleich. So steht statistisc­h fest, dass die Storchenpo­pulation in Österreich in den vergangene­n Jahrzehnte­n drastisch abgenommen hat. Auch die Geburtenra­te in Österreich ist dramatisch gesunken. Aber ist das schon ein Beweis, dass der Storch die Kinder bringt?

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Viktor Hermann

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