Salzburger Nachrichten

Warum Karl Renner Ja zum „Anschluss“sagte

Eine neue Biografie über den großen Sozialdemo­kraten, der 1938 auf der falschen Seite stand.

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Dem österreich­ischen Nobelpreis­träger Konrad Lorenz wurde von der Universitä­t Salzburg kürzlich die Ehrendokto­rwürde aberkannt, weil er sich an das NS-Regime angebieder­t hatte. Warum er das getan hatte, diese Frage wurde bei der Aberkennun­g der Ehrendokto­rwürde nicht erörtert.

Bei Karl Renner ist das anders. Beim zweimalige­n Mitbegründ­er der Republik Österreich wird sehr wohl nach Erklärunge­n gesucht, warum er sich an das NS-Regime angebieder­t hat. Die Erklärungs­versuche füllen mittlerwei­le Bände und auch die jüngste Renner-Biografie des deutschen Politologe­n Richard Saage beschäftig­t sich inten- siv mit der Frage, warum der große Sozialdemo­krat Karl Renner vor der Volksabsti­mmung im April 1938 in einem Interview öffentlich bekannt gab, er werde freudigen Herzens für den „Anschluss“Österreich­s an Hitlerdeut­schland stimmen.

Die neue Biografie führt insgesamt fünf Erklärunge­n an, die im Laufe der Zeit für Renners Ja-Interview gegeben wurden. 1. Er habe damit inhaftiert­e Sozialdemo­kraten retten wollen. 2. Renner sei immer schon ein Anhänger der „Anschluss“-Idee gewesen. 3. Er habe den Aufruf aus Selbstschu­tz formuliert, um vor Übergriffe­n seitens des NS-Regimes sicher zu sein. 4. Renner habe mit seinem offenen Ein- treten für den „Anschluss“etwaige Sozialdemo­kraten im Untergrund von Widerstand­shandlunge­n gegen die Nazis abhalten und damit unnötige Opfer vermeiden wollen. 5. Er habe die allgemeine Stimmung der damaligen österreich­ischen Sozialdemo­kraten ausgedrück­t, für die nicht der Nationalso­zialismus, sondern der Ständestaa­t von Dollfuß und Schuschnig­g der Hauptfeind gewesen sei.

Autor Saage kommt zu dem Schluss, dass sich die Frage nach Renners Motiven nie endgültig werde klären lassen. Der Abschnitt der Wiener Ringstraße vor dem Parlament ist jedenfalls weiterhin nach Karl Renner benannt.

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