Der erboste Präsident
Recep Tayyip Erdoğan duldet keine Kritik. Selbst dann nicht, wenn sie im deutschen Fernsehen als Satire daherkommt.
ANKARA. Humor gehört nicht zu den Stärken des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Und Witze über ihn selbst findet er erst recht nicht komisch. Das erfuhr jetzt der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann. Am Dienstag vor Ostern wurde der Diplomat ins türkische Außenministerium einbestellt. Er sollte sich für eine Satire aus der ARD-Sendung „extra 3“rechtfertigen. Zudem forderte das türkische Außenministerium, das Video solle gelöscht werden.
Ein knapp zwei Minuten langer musikalischer Beitrag der Sendung, die am 17. März ausgestrahlt wurde, erzürnte Erdoğan. Der Refrain des Liedes lautete: „Erdowie, Erdowo, Erdowahn“. Bilder des Prunkpalastes, den sich Erdoğan in einem Naturschutzgebiet in Ankara errichten ließ, wurden mit dem Text unterlegt: „Er lebt auf großem Fuß, der Boss vom Bosporus“. Auch das Thema Meinungsfreiheit wird in dem Spottlied thematisiert: „Ein Journa- list, der irgendwas verfasst, was Erdoğan nicht passt, ist morgen schon im Knast.“
Zumindest diese Zeile des satirischen Songs hat einen durchaus aktuellen und ernsten Bezug: Seit dem vergangenen Freitag verhandelt die 14. Strafkammer in Istanbul gegen zwei Redakteure der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“. Die Zeitung hatte im vergangenen Jahr Dokumente publiziert, die angebliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes MIT an islamistische Extremisten in Syrien belegen sollten. Jetzt droht dem Chefredakteur und dem Hauptstadtkorrespondenten des Blattes wegen „Spionage“und „Umsturzversuch“lebenslange Haft.
Erdoğan persönlich hatte die Journalisten angezeigt und ist Nebenkläger in dem Verfahren. Um ein Zeichen für die Pressefreiheit zu setzen, war Botschafter Erdmann mit einem halben Dutzend anderen ausländischen Diplomaten zum Prozessauftakt im Gerichtssaal erschienen – und brachte damit Erdoğan zusätzlich in Rage: „Wer seid ihr, was habt ihr da zu suchen?“, ging der Präsident die Diplomaten an. „Dies ist nicht euer Land, dies ist die Türkei“, donnerte Erdoğan.
Seit dem Staatsgründer Atatürk hat kein Präsident die Politik der Türkei so stark geprägt wie der kon- servativ-islamische Erdoğan. Für einen Mann mit so viel Macht reagiert er aber erstaunlich dünnhäutig auf Kritik. In den ersten eineinhalb Jahren von Erdoğans Präsidentschaft hat die türkische Justiz 1845 Verfahren wegen „Präsidentenbeleidi- gung“eingeleitet – mehr als in den 14 Amtsjahren seiner Vorgänger Ahmet Necdet Sezer und Abdullah Gül zusammen. Justizminister Bekir Bozdağ klagte kürzlich im Parlament: „Ich bin nicht in der Lage, die schändlichen Kränkungen gegen unseren Präsidenten zu lesen – es treibt mir die Schamesröte ins Gesicht!“
Unter den Beschuldigten sind Karikaturisten, Liedermacher, Journalisten, Schriftsteller und Oppositionspolitiker. Nicht einmal Schulkinder bekommen Pardon: Im vergangenen Oktober nahm die Polizei in der zentraltürkischen Stadt Bünyan einen 14-jährigen Schüler vor einem Internetcafé fest und hielt ihn über Nacht in Gewahrsam. Dem Buben wurde vorgeworfen, im Onlinenetzwerk Facebook Präsident Erdoğan beleidigt zu haben.
Die Produzenten von „extra 3“haben das Satirevideo übrigens nicht gelöscht. Sie haben am Dienstag nachgelegt: Auf Twitter veröffentlichten sie das kritisierte Video erneut – und zwar mit englischen Untertiteln.