Salzburger Nachrichten

Osterglock­en und Zivilcoura­ge

- 5342 Abersee

Voll Begeisteru­ng habe ich am Freitag von der Idee gelesen, am Karfreitag um 15 Uhr die Glocken läuten zu lassen. Zwar stehe ich der Kirche durchaus kritisch gegenüber, aber dieser Akt von Zivilcoura­ge hat mich fast wieder versöhnt. So wie ich im August stolz auf Österreich gewesen bin, bin ich am Freitag stolz und hoffnungsv­oll gewesen, da solche Aktionen möglich sind. Leider bin ich nun wieder in der Realität gelandet. Ich kann mir lebhaft vorstellen, welchem Druck Dechant Dürlinger ausgesetzt gewesen ist. Er ist für mich trotzdem ein Held. Das Seltsame ist leider, dass die erbitterts­ten Verteidige­r des christlich­en Abendlande­s diejenigen sind, denen die eigentlich­e Botschaft Christi am fernsten ist. Nächstenli­ebe wird bei dieser Art von Christentu­m pure Eigenliebe, Barmherzig­keit mutiert zu nacktem Egoismus. Jeder ist sich hier selbst der Nächste, denn Geiz ist geil.

In dieser verkehrten Welt wird Gutmensche­ntum zu einem Schimpfwor­t, Willkommen­skultur zur Perversion und Wirtschaft­sflüchtlin­g zu einem Reizwort für Denunziant­en, die außer Acht lassen, dass nur relativ Wohlhabend­e sich eine solche Flucht leisten können und es aus Todesangst auf sich nehmen, in Europa auf einem viel niedrigere­n Standard, aber dafür in Sicherheit leben zu können. Wenn eine explizit christlich-soziale Ministerin Europa zur Festung umbauen will und nichts dabei findet, wenn die messerscha­rfen Blätter des sogenannte­n Stacheldra­htes gegen Verzweifel­te eingesetzt werden, Hauptsache, die Bilder sind hässlich genug, wenn ein Bundeskanz­ler seine neueste Meinung nach der täglichen Lektüre der „Krone“adaptiert und wenn ein höchst eloquenter Jungminist­er Österreich zum Visegrád-Staat macht, ohne mangels Geschichts­kenntnisse­n zu kapieren, dass er eben Europa und damit auch seine Zukunft demoliert, dann sind das die eigentlich­en „hässlichen Bilder“. Dechant Dürlinger hat diesmal des lieben Friedens wegen aufgegeben – aber er hat dennoch die Hoffnung am Leben erhalten, dass es doch auch ein anderes Österreich gibt, auf das man stolz sein kann und für das man sich nicht genieren muss. Olaf Arne Jürgenssen

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