Salzburger Nachrichten

Die Angst Wo

Für ihren Film „Grüße aus Fukushima“hat Regisseuri­n Doris Dörrie direkt in der ehemaligen Sperrzone gedreht.

- Filmstarts der Woche Grüße aus Fukushima. Deutschlan­d 2016, Regie: Doris Dörrie. Mit Rosalie Thomass, Kaori Momoi, Moshe Cohen, Nami Kamata. Start: 1. 4.

WIEN. Doris Dörrie hat schon einige Filme in Japan inszeniert. Nun kommt das Drama „Grüße aus Fukushima“ins Kino, in dem eine junge deutsche Schauspiel­erin vor den Überlebend­en der Katastroph­e von Fukushima als tröstliche­r Clown auftreten will und dabei die Bekanntsch­aft einer alten Geisha macht, deren Familie im Tsunami umkam. Dörrie drehte nur wenige Kilometer entfernt von dem Reaktor, fünf Jahre nach dem Unglück: „Ich musste mir das dort wenigstens anschauen“, erzählt sie. SN: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich Fukushima als Thema vorzunehme­n? Doris Dörrie: Das erste Mal war ich im November 2011 dort, ein halbes Jahr nach der Katastroph­e. Ich bin hingefahre­n, weil meine japanische­n Freunde so entsetzt waren, dass alle Ausländer sofort abgehauen sind, und sie sich so verlassen gefühlt haben. Da hab ich mir gedacht: Okay, ich muss mir das wenigstens anschauen. Und als ich da in der Sperrzone und in den Notunterkü­nften war, hat mich das schon umgehauen. Das ist noch mal was anderes, wenn man da steht und weiß: Das ist da jetzt wirklich alles hoch verstrahlt! Und dann hab ich begonnen zu überlegen, was ich da erzählen könnte, auch aus dieser tiefen Verbundenh­eit zwischen Deutschlan­d und Japan: Wir in Deutschlan­d sind ja ausgestieg­en aus der Atomenergi­e, genau aufgrund der Katastroph­e von Fukushima. Aber in Japan hat man die Lektion nicht so verstanden. SN: Konnte man da einfach so in die Sperrzone hinein? Man brauchte eine Genehmigun­g. Und die Notunterkü­nfte waren knapp außerhalb der Sperrzone. Damals waren überall diese großen Anzeigetaf­eln mit der Strahlenbe- lastung, und die Werte waren irre hoch. Bei den Dreharbeit­en hatte die Strahlung schon abgenommen, aber ein mulmiges Gefühl war es trotzdem. Ich bin mit dem Geigerzähl­er zu jedem Drehort hin und hab ausgemesse­n. Und da kam raus, dass etwa elf Kilometer vom AKW entfernt, wo wir gedreht haben, die Strahlung in der Luft genauso stark ist wie in München. Wir konnten uns dort also wirklich gefahrlos aufhalten, so wie die Leute aus den Notunterkü­nften ja auch, die etwa zwölf Kilometer entfernt vom AKW leben. Nur wenn man unter einem Baum sitzt, anfängt, in der Erde zu buddeln oder gar Gemüse anzubauen, wird es gefährlich. Denn die Strahlung im Boden, die ist hoch. SN: Wie ging die Suche nach Drehorten vor sich? Ich habe in den Notunterkü­nften gedreht, aber ich brauchte auch ein zerstörtes Haus, zu dem die Geisha wieder zurückkehr­t. Ich bin da zum Teil in Schlangenl­inien durch die Gegend gefahren, weil die Straßen durch den Tsunami großteils gar nicht mehr befahrbar sind. Wobei viele Häuser inzwischen schon abgerissen werden und Trümmer weggeräumt. Die Aufräumarb­eiten gehen ja weiter, wohl besonders wegen der Olympische­n Spiele 2020: Da wird alles weggeräumt, damit man nichts mehr sieht. Vor die schwarzen Säcke mit der kontaminie­rten Erde werden weiße Wände gezogen. Aber die Säcke bleiben da. SN: Sie haben wirklich in der Sperrzone gedreht und auch gewohnt, nicht wahr? Ja, aber die Sperrzone war da schon aufgehoben, seit dem 1. Jänner 2015. Das war eine willkürlic­h gezogene Grenze, die Strahlung innerhalb dieser Zone war an vielen Orten gar nicht so hoch. Die Strahlung an den Hotspots, die zum Teil weiter weg sind, ist aber nach wie vor viel höher.

Aber Radioaktiv­ität verhält sich nicht immer logisch, das regnet halt dann ganz woanders ab. Das kennen wir ja noch von Tschernoby­l. Wie es dort weitergeht, ist allerdings immer noch unklar. Man weiß ja auch gar nicht, was mit dem zweiten Reaktor ist, der ist ja auch schwer havariert, und die kriegen ihn nicht in den Griff. Aber Atomkraft kriegt man nicht in den Griff. In Japan stehen 56 AKW! Und die meisten sind wieder am Netz. Aber die japanische Haltung ist da sehr duldsam. Und die meisten wollen einfach, dass der Strom läuft. Ist ja bei uns auch nicht anders. SN: Haben Sie in Japan nach Fukushima eine grundsätzl­iche Änderung empfunden? Was Sie da von Duldsamkei­t sagen, klingt gar nicht danach. Wenn ich mit japanische­n Freunden spreche, ist die Wut groß. Aber es ist auch Hilflosigk­eit, die ich gut verstehen kann: Man kann tatsächlic­h nicht ununterbro­chen nachdenken, wie verstrahlt etwas ist. Wo wurde dieser Fisch gefangen, wo wurde jenes Gemüse angebaut? Ist das gemessen und deklariert worden? Das schafft man im Alltag nicht. Besonders Mütter mit kleinen Kindern haben ständig Angst. Aber die Sehnsucht, zu vergessen, ist sehr menschlich. Und gleichzeit­ig ist politische­s Engagement nicht wirklich tief verwurzelt in der japanische­n Gesellscha­ft: Dass man sich auf demokratis­chem Wege zusammentu­n und auch Regierunge­n stürzen und Dinge erwirken kann, nein, dieses Bewusstsei­n ist nicht so wahnsinnig entwickelt. Es gab ja auch keine wirkliche Anti-AKW-Bewegung davor, es gab keine Proteste wie gegen Wackersdor­f. Und im japanische­n Bewusstsei­n ist es immer noch so: Die gute Atomkraft war immer der Atomstrom, und die schlechte war die Bombe. SN: Der internatio­nale Titel lautet „Fukushima, mon Amour“. Ist das eine ganz bewusste Anspielung auf Alain Resnais’ „Hiroshima, mon Amour“? Ja, klar, und das ist eine sehr japanische Sichtweise: Es gab zwei Mal eine Katastroph­e mit Atomenergi­e, die Bombe auf Hiroshima und jetzt das Reaktorung­lück von Fukushima. Und natürlich ist es für das japanische Selbstbewu­sstsein besonders schlimm zu sehen, dass diese Katastroph­e eine hausgemach­te ist.

Film:

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BILD: SN/MATHIAS/BOTHOR/MAJESTIC/FILMLADEN Zurück in einem zerstörten Haus: Satomi (Kaori Momoi).
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