Die Angst Wo
Für ihren Film „Grüße aus Fukushima“hat Regisseurin Doris Dörrie direkt in der ehemaligen Sperrzone gedreht.
WIEN. Doris Dörrie hat schon einige Filme in Japan inszeniert. Nun kommt das Drama „Grüße aus Fukushima“ins Kino, in dem eine junge deutsche Schauspielerin vor den Überlebenden der Katastrophe von Fukushima als tröstlicher Clown auftreten will und dabei die Bekanntschaft einer alten Geisha macht, deren Familie im Tsunami umkam. Dörrie drehte nur wenige Kilometer entfernt von dem Reaktor, fünf Jahre nach dem Unglück: „Ich musste mir das dort wenigstens anschauen“, erzählt sie. SN: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich Fukushima als Thema vorzunehmen? Doris Dörrie: Das erste Mal war ich im November 2011 dort, ein halbes Jahr nach der Katastrophe. Ich bin hingefahren, weil meine japanischen Freunde so entsetzt waren, dass alle Ausländer sofort abgehauen sind, und sie sich so verlassen gefühlt haben. Da hab ich mir gedacht: Okay, ich muss mir das wenigstens anschauen. Und als ich da in der Sperrzone und in den Notunterkünften war, hat mich das schon umgehauen. Das ist noch mal was anderes, wenn man da steht und weiß: Das ist da jetzt wirklich alles hoch verstrahlt! Und dann hab ich begonnen zu überlegen, was ich da erzählen könnte, auch aus dieser tiefen Verbundenheit zwischen Deutschland und Japan: Wir in Deutschland sind ja ausgestiegen aus der Atomenergie, genau aufgrund der Katastrophe von Fukushima. Aber in Japan hat man die Lektion nicht so verstanden. SN: Konnte man da einfach so in die Sperrzone hinein? Man brauchte eine Genehmigung. Und die Notunterkünfte waren knapp außerhalb der Sperrzone. Damals waren überall diese großen Anzeigetafeln mit der Strahlenbe- lastung, und die Werte waren irre hoch. Bei den Dreharbeiten hatte die Strahlung schon abgenommen, aber ein mulmiges Gefühl war es trotzdem. Ich bin mit dem Geigerzähler zu jedem Drehort hin und hab ausgemessen. Und da kam raus, dass etwa elf Kilometer vom AKW entfernt, wo wir gedreht haben, die Strahlung in der Luft genauso stark ist wie in München. Wir konnten uns dort also wirklich gefahrlos aufhalten, so wie die Leute aus den Notunterkünften ja auch, die etwa zwölf Kilometer entfernt vom AKW leben. Nur wenn man unter einem Baum sitzt, anfängt, in der Erde zu buddeln oder gar Gemüse anzubauen, wird es gefährlich. Denn die Strahlung im Boden, die ist hoch. SN: Wie ging die Suche nach Drehorten vor sich? Ich habe in den Notunterkünften gedreht, aber ich brauchte auch ein zerstörtes Haus, zu dem die Geisha wieder zurückkehrt. Ich bin da zum Teil in Schlangenlinien durch die Gegend gefahren, weil die Straßen durch den Tsunami großteils gar nicht mehr befahrbar sind. Wobei viele Häuser inzwischen schon abgerissen werden und Trümmer weggeräumt. Die Aufräumarbeiten gehen ja weiter, wohl besonders wegen der Olympischen Spiele 2020: Da wird alles weggeräumt, damit man nichts mehr sieht. Vor die schwarzen Säcke mit der kontaminierten Erde werden weiße Wände gezogen. Aber die Säcke bleiben da. SN: Sie haben wirklich in der Sperrzone gedreht und auch gewohnt, nicht wahr? Ja, aber die Sperrzone war da schon aufgehoben, seit dem 1. Jänner 2015. Das war eine willkürlich gezogene Grenze, die Strahlung innerhalb dieser Zone war an vielen Orten gar nicht so hoch. Die Strahlung an den Hotspots, die zum Teil weiter weg sind, ist aber nach wie vor viel höher.
Aber Radioaktivität verhält sich nicht immer logisch, das regnet halt dann ganz woanders ab. Das kennen wir ja noch von Tschernobyl. Wie es dort weitergeht, ist allerdings immer noch unklar. Man weiß ja auch gar nicht, was mit dem zweiten Reaktor ist, der ist ja auch schwer havariert, und die kriegen ihn nicht in den Griff. Aber Atomkraft kriegt man nicht in den Griff. In Japan stehen 56 AKW! Und die meisten sind wieder am Netz. Aber die japanische Haltung ist da sehr duldsam. Und die meisten wollen einfach, dass der Strom läuft. Ist ja bei uns auch nicht anders. SN: Haben Sie in Japan nach Fukushima eine grundsätzliche Änderung empfunden? Was Sie da von Duldsamkeit sagen, klingt gar nicht danach. Wenn ich mit japanischen Freunden spreche, ist die Wut groß. Aber es ist auch Hilflosigkeit, die ich gut verstehen kann: Man kann tatsächlich nicht ununterbrochen nachdenken, wie verstrahlt etwas ist. Wo wurde dieser Fisch gefangen, wo wurde jenes Gemüse angebaut? Ist das gemessen und deklariert worden? Das schafft man im Alltag nicht. Besonders Mütter mit kleinen Kindern haben ständig Angst. Aber die Sehnsucht, zu vergessen, ist sehr menschlich. Und gleichzeitig ist politisches Engagement nicht wirklich tief verwurzelt in der japanischen Gesellschaft: Dass man sich auf demokratischem Wege zusammentun und auch Regierungen stürzen und Dinge erwirken kann, nein, dieses Bewusstsein ist nicht so wahnsinnig entwickelt. Es gab ja auch keine wirkliche Anti-AKW-Bewegung davor, es gab keine Proteste wie gegen Wackersdorf. Und im japanischen Bewusstsein ist es immer noch so: Die gute Atomkraft war immer der Atomstrom, und die schlechte war die Bombe. SN: Der internationale Titel lautet „Fukushima, mon Amour“. Ist das eine ganz bewusste Anspielung auf Alain Resnais’ „Hiroshima, mon Amour“? Ja, klar, und das ist eine sehr japanische Sichtweise: Es gab zwei Mal eine Katastrophe mit Atomenergie, die Bombe auf Hiroshima und jetzt das Reaktorunglück von Fukushima. Und natürlich ist es für das japanische Selbstbewusstsein besonders schlimm zu sehen, dass diese Katastrophe eine hausgemachte ist.
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